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Gesundheit: Mit Richtern ringen

Die Asten dürfen sich nicht allgemeinpolitisch äußern. Jetzt wollen sich Berliner Studierende wehren

Wofür dürfen Studentenvertreter das Geld der Studierenden ausgeben – und wozu dürfen sie sich im Namen aller Kommilitonen äußern? Schon oft mussten Gerichte entscheiden, ob die Asten überhaupt zu politischen Themen Stellung beziehen dürfen, die nichts mit dem Universitätsleben zu tun haben, und auch, ob die Studentenvertreter die Semesterbeiträge ihrer Kommilitonen dafür zweckentfremden. Jetzt geht die Auseinandersetzung vor das Bundesverfassungsgericht. Der „Refrat“, die Studierendenvertretung der Berliner Humboldt-Universität, hat die Karlsruher Richter angerufen.

Die HU-Studentenvertreter wollen in Karlsruhe mehrere Urteile Berliner Gerichte anfechten. Darin wurde ihnen untersagt, sich zu allgemeinen politischen Fragen zu äußern und allgemeinpolitische Aktivitäten finanziell zu unterstützen. Weil sie wiederholt gegen das Verbot verstoßen haben, verurteilten sie die Richter bereits zu mehr als 20 000 Euro Strafe – das ist die wohl höchste Summe, zu der jemals eine Studentenvertretung in Deutschland verurteilt wurde.

Das allgemeinpolitische Mandat ist seit den siebziger Jahren ein Dauerstreitthema an den Unis. Immer wieder haben sich in ganz Deutschland Asten (die Allgemeinen Studierendenausschüsse) im Namen aller Studenten nicht nur zu Fragen der Hochschulpolitik geäußert, sondern auch zu anderen Fragen – und auch Geld der Studenten für Veranstaltungen ausgegeben, die nicht unmittelbar etwas mit der Uni zu tun haben. Die HU-Studentenvertreter etwa mussten sich vor Gericht verantworten, weil sie einen Kongress mit dem Thema „Staatliche Diskriminierung im Asyl- und Ausländerinnenrecht“ unterstützten. Auch in der vom Refrat finanzierten Zeitschrift „Huch!“ erschienen Artikel, die sich etwa mit Angela Merkel oder der von Globalisierungsgegnern heftig gewünschten Besteuerung des internationalen Devisenhandels beschäftigten.

Immer wieder sind die Studentenvertreter deswegen von zumeist konservativen Kommilitonen verklagt worden. Die Gerichte haben den Klägern immer Recht gegeben – in bundesweit mehr als hundert Fällen. Schließlich wird jeder Student mit der Immatrikulation zwangsweise Mitglied in der verfassten Studierendenschaft und überweist ihr seinen Semesterbeitrag, ob er will oder nicht. An der HU sind es derzeit sechs Euro. Im Jahr 2005 nahm die Studentenschaft so knapp 400 000 Euro ein. Wenn die Studentenvertreter sich im Namen aller Studierenden allgemeinpolitisch äußern und dafür womöglich auch noch deren Geld ausgeben, würden sie in die Grundrechte ihrer Kommilitonen eingreifen, argumentierten die Gerichte. Denn nicht jeder Student vertritt in der großen Politik schließlich die Meinungen des Asta.

Ähnlich wie der Asta der Freien Universität (wir berichteten) wurden auch die Studierendenvertreter der Humboldt-Uni gleich mehrfach verklagt. Aus den Gerichtsurteilen, die dem Tagesspiegel vorliegen, geht hervor, dass die Studierendenvertreter sich wenig um die Warnungen der Richter scherten, die ankündigten, bei erneuten allgemeinpolitischen Äußerungen zu härteren Strafen greifen zu wollen:

23. November 1999: Der Refrat muss sich vor dem Berliner Verwaltungsgericht verantworten. Die Richter untersagen ihm allgemeinpolitische Äußerungen. Noch ersparen sie den Studierendenvertretern aber ein Ordnungsgeld. Sie drohen allerdings, bei einer Wiederholung könne eine Strafe von bis zu 500 000 Mark fällig werden.

17. April 2000: Der Refrat wird nach neuen unerlaubten Äußerungen zu einem Ordnungsgeld von 5000 Mark verurteilt.

6. März 2001: Nach weiteren rechtswidrigen Äußerungen setzt das Gericht erneut eine Strafe von 5000 Mark fest und warnt vor einem „deutlich höheren Ordnungsgeld bei weiteren Zuwiderhandlungen“.

22. November 2001: Der Refrat verstößt wieder in mehreren Fällen gegen das Verbot. Er habe „zu erkennen gegeben, dass er dieses auch in Zukunft nicht in gebotenem Maße beachten werde“, rügen die Richter – und erhöhen das Strafgeld auf 10 000 Mark.

22. Mai 2002: Die Richter legen nach neuen Vorfällen eine Strafe von 15 000 Euro fest. „Bei der Höhe des Ordnungsgeldes hat das Gericht dem Umstand Rechnung getragen, dass (der Refrat) sich durch die bisherigen Ordnungsgelder und die Androhung eines deutlich höheren Ordnungsgeldes nicht von weiteren Verstößen hat abhalten lassen. Die Kammer weist nochmals eindringlich darauf hin, dass bei weiteren Zuwiderhandlungen ein noch höheres Ordnungsgeld in Betracht zu ziehen sein wird“, mahnt das Gericht. Juristen sagen, das sei im Richterdeutsch die Formulierung für: „Jetzt reicht’s wirklich!“

Die Richter stützen sich in ihrer Argumentation auf ein Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1979, das ein so genanntes „allgemeinpolitisches Mandat“ der verfassten Studierendenschaft – also ihr Recht, sich über hochschulpolitische Themen hinaus zu äußern – für verfassungswidrig erklärt hat.

Die Studierendenvertreter hoffen dennoch auf einen Erfolg in Karlsruhe. Unterstützt werden sie von der HU-Juristin Rosemarie Will, die auch Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg ist und den Studenten ein Rechtsgutachten für den Gang nach Karlsruhe geschrieben hat. Will und die Studierenden berufen sich auf eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes, das 2002 von der ehemaligen Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) in Richtung auf das allgemeinpolitische Mandat vorsichtig geöffnet wurde. Der Berliner Wissenschaftssenator Thomas Flierl (Linkspartei) hatte die Formulierungen ins Berliner Landesgesetz übernommen.

Allgemeinpolitische Bildung dürften Studentenvertreter seitdem sehr wohl unterstützen, solange sie auf Pluralität achten, argumentiert Will. Sie bemängelt, die Berliner Gerichte würden „holzschnittartig“ urteilen: „Es wurde nicht zur Kenntnis genommen, dass sich die Landesgesetzgebung inzwischen geändert hat.“ Allerdings hat das Berliner Oberverwaltungsgericht erst 2005 in einem Beschluss festgestellt, dass das neue Gesetz den Studierendenschaften keineswegs ein neues Recht zur Ausübung des allgemeinpolitischen Mandats zugestehe. Der Hochschulbezug müsse auch jetzt „deutlich erkennbar bleiben“. Bei „Äußerungen, Erklärungen und Forderungen zu Themen wie Kosovo-Krieg, Globalisierung, Asylpolitik, Ausländerrecht, Menschenrechte politischer Gefangener (...) fehlt jedoch der notwendige Hochschulbezug“.

Der Gang nach Karlsruhe birgt einige juristische Fallstricke. Die Studierenden wollen in Karlsruhe prüfen lassen, ob die Berliner Urteile überhaupt mit dem Berliner Landesgesetz vereinbar sind. Lässt das Verfassungsgericht die Klage zu, würden die Richter nicht automatisch darüber entscheiden, ob das allgemeinpolitische Mandat nun doch verfassungskonform ist. Ein Sieg der Studierenden in Karlsruhe könnte sogar zu einem Pyrrhussieg werden. Wenn nämlich die Karlsruher Richter beim Urteil anregen, die entsprechenden Passagen des Berliner Landesgesetzes doch einmal auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen, und dabei herauskommt, dass es der Verfassung nicht entspricht. Die Studierendenvertreter könnten allerdings auch auf das Gegenteil hoffen und darauf setzen, dass das Bundesverfassungsgericht die Weichen jetzt neu stellt.

Das Bundesverfassungsgericht äußert sich zum Verfahren nicht. Eine Sprecherin bestätigte lediglich den Eingang der Klage und sagte, es könne noch Monate dauern, bis die Karlsruher Richter sich der Sache annehmen.

Die Klagen gegen den Refrat strengte der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) an, der CDU-Nachwuchs an den Unis. Anders als die Studierendenvertreter es oft darstellen, kritisieren aber auch parteipolitisch nicht gebundene Studenten die Ausgabenpraxis des Refrats. „Nicht nachvollziehbar“ sei, wie die Gelder verteilt werden, sagen unabhängige Studierende aus dem Studentenparlament, die nicht zu den zahlreichen linken Gruppen gehören, die den Refrat stellen.

Tausende zusätzliche Euro haben die Studentenvertreter bereits für die Anwälte ausgegeben. Bei den vom Gericht festgesetzten Ordnungsgeldern mussten sie mindestens 6000 Euro für Rechtsanwaltskosten bezahlen. Das geht aus dem Gebührenrecht für Anwälte hervor. Eine „Kriegskasse“ habe der Refrat für die Prozesse angelegt, sagen Insider. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt bereits, ob der Tatbestand der Veruntreuung vorliegt, wenn die Semesterbeiträge für die Ordnungsgelder und Prozesskosten draufgingen. Es drohen also weitere Geldstrafen für die Studierendenvertreter.

Was sagen die Studierendenvertreter zu ihrem Gang nach Karlsruhe – und zu den Vorwürfen, die gegen sie erhoben wurden und werden? Der Refrat wollte sich dazu nicht äußern.

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