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Gesundheit: Mitschreiben und auswendig lernen

"Madrid me mata", Madrid macht mich fertig, sagte man früher gerne mal in der Spanischen Hauptstadt. Weil es einfach zu viel Bewegung und fiesta, viel nachtschlafraubende Aktivitäten gab.

"Madrid me mata", Madrid macht mich fertig, sagte man früher gerne mal in der Spanischen Hauptstadt. Weil es einfach zu viel Bewegung und fiesta, viel nachtschlafraubende Aktivitäten gab. Gibt es immer noch. Wenn man aber in Madrid ankommt, um dort zu studieren, dann gibt es erst mal ganz andere Gründe festzustellen: Madrid me mata. Das hat mit so praktischen Dingen wie der Wohnungssuche zu tun oder mit dem Versuch, an der Universität klar zu kommen. Beides ist mitunter relativ frustrierend. Beides lässt sich aber lösen. Und dann wird zum größten Studienfeind eben doch früher oder später die fiesta.

Dass es in Spanien nicht nur mehr Sonne gibt, hat sich offenbar auch bis Deutschland schon herumgesprochen. Denn an den zwei großen Universitäten in Madrid, der "Complutense" und der "Autónoma" sowie an einigen privaten Hochschulen ist man als Deutscher keineswegs mehr ein Exot. Die vielen Plätze für Austauschstudenten im "Sokrates"-Programm der EU machen es inzwischen relativ einfach, hier für ein oder zwei Semester zu studieren. Dieses Programm lohnt sich besonders, wenn der Studienplatz an einer der privaten Universitäten liegt, denn die dort teilweise horrenden Studiengebühren werden übernommen. So kommt man in den Genuss kleiner Kurse, bemühter Dozenten und guter Betreuung.

Wahrscheinlicher ist es allerdings, an die Universidad Complutense zu geraten - und die ist groß. Genau genommen ist sie eine der größten Universitäten Europas und stellt Deutschlands "Massenuniversitäten" leicht in den Schatten: mehr als 130 000 Studenten sind dort immatrikuliert. Das großzügige Campusgelände im Norden Madrids erinnert mit seinen weiten Rasenflächen, kleinen Wäldchen und großen Alleen ein bisschen an amerikanische Universitäten. Die Gebäude der Fakultäten sind in ihrer Mehrzahl keine architektonischen Glücksfälle, ihr Innenleben gleicht den sprichwörtlichen Bienenstöcken: Studentenmassen, Rauchschwaden und Stimmengewirr, ein unübersichtliches Nebeneinander von Ebenen, Fluren, Eingängen und Vorlesungssälen. Die erste Anlaufstelle für Ausländische Studenten ist das "Sokratesbüro". Dort gibt es Informationen zum Studium und zur Einschreibung. Damit hat die Erstversorgung allerdings schon ein Ende. Den Studienalltag gilt es alleine zu erobern.

Die erste Begegnung mag ernüchtern: mit oft über fünfzig Studenten gut gefüllte Säle und eine Atmosphäre gymnasialer Oberstufe. Bei den ersten Worten des Dozenten wird kollektiv der Stift angehoben und bis zum Ende der 45 Minuten oder anderthalb Stunden mitgeschrieben. Wörtlich. Am Ende des Semesters werden diese Mitschriften auswendig gelernt, um sie dann in den Prüfungen wiederzugeben. Es stimmt: Das Studium in Spanien ist immer noch stark auf passives Aufnehmen ausgerichtet, selbstständiges Arbeiten ist wenig gefordert und wenn überhaupt im letzten Studienjahr. Zwar gibt es zunehmend Professoren, die dagegen steuern. Eine Diskussions-Situation, wie man sie im Idealfall von Seminaren in Deutschland gewohnt ist, charakterisiert trotzdem erst die Doktorandenseminare.

Schwierige Kontaktaufnahme

Das gesamte Studiensystem ist sehr viel verschulter. Die spanischen Studenten - deutlich jünger als die Deutschen - belegen nur ein Fach, eine carrera, dessen Ablauf während der drei bis sechs Studienjahre weitgehend festgelegt ist. Austausch-Studenten sind diesen vorgeschriebenen Stundenplänen zwar nicht unterworfen und können ihre Kurse frei wählen. Kontakt mit spanischen Studenten aufzunehmen,wird dadurch erschwert, dass diese ihr Studium in recht stabilen Gruppen durchlaufen und sich kennen. Der Kontakt zu anderen ausländischen Studenten stellt sich dagegen schneller her, auch wegen der guten Organisation der "Sokrates"-Aktivitäten, die von Sprachkursen über Exkursionen bis hin zu den schon legendären Partys reichen.

Auch bei der Wohnungssuche ist es wahrscheinlich, auf nicht-spanische Kommilitonen zu treffen. Die von der Universität vermittelten Wohngemeinschaften werden so ausschließlich von Ausländern gebildet. Obwohl vielen Neuankömmlingen der Vorteil spanischer Mitbewohner bewusst ist - wie kann man besser Spanisch lernen? - bleibt die Nachfrage groß. Denn die Konfrontation mit dem angespannten Wohnungsmarkt in der Millionenmetropole kann mehr als entnervend sein. Insbesondere zu Semesterbeginn sind WG-Zimmer heiß begehrt. Die Preise sind vergleichbar mit denen deutscher Großstädte, die Zimmer jedoch deutlich kleiner. Studentenwohnheime, in denen man immerhin mehr Spanier findet, sind nur selten eine bessere Alternative. Ungewohnte Hausregeln und Serviceleistungen wie Voll- oder Halbpension und Wäschereinigung sind üblich, die Zimmer entsprechend teuer.

Mag der Kontakt zu anderen Austauschstudenten anfangs eine Hilfe sein, auf längere Sicht kann er einiges verbauen: gegenseitige Bestätigungen über langweilige Veranstaltungen, unsinnige Prüfungen und Unsicherheit über spätere Anerkennung führen oft dazu, dass die Uni-Besuche mit der Zeit sporadischer werden. Man bleibt unter sich. Und Ablenkung gibt es in Madrid genug. Nicht ohne Grund gilt die Metropole als Hauptstadt des Nachtlebens. Staus auf den Straßen um drei Uhr morgens sind keine Seltenheit. Und dann ist da natürlich auch noch die Sonne, die selbst im Winter zu Parkbesuchen einlädt.

Verborgene Schätze

Dabei hat die Universität mehr zu bieten, als auf den ersten Blick zu sehen ist. Nicht nur zahlreiche Veranstaltungen, sondern auch reguläre Lehrveranstaltungen bei den renommierten Professoren an der Complutense. Die Lehrenden zeigen sich allgemein gegenüber ausländischen Studenten aufgeschlossen. Sie lassen mit sich verhandeln, wenn die Gaststudenten lieber eine Prüfung gegen eine Hausarbeit tauschen wollen, die oft an der Heimuniversität leichter anerkannt wird. Und mit Bibliotheken ist man in Madrid gut versorgt, selbst wenn diese oft gewöhnungsbedürftige Praktiken bei der Ausleihe an den Tag legen. Die Nationalbibliothek braucht man ohne das Empfehlungsschreiben eines Professores gar nicht erst zu betreten.

Insgesamt hilft aber, was einen ohnehin in Madrid am weitesten bringt: Hartnäckigkeit und Draufzugehen.

Jennifer Wilton

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