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Gesundheit: Mittelohrentzündung: Nuckeln, bis die Ohren schmerzen

Mehr als drei Viertel aller Kinder der westlichen Länder haben in ihren ersten Lebensmonaten das kleine Ding aus Plastik im Mund. Doch für die medizinischen Folgen der Benutzung von Schnullern haben sich bisher eigentlich nur die Zahnärzte interessiert.

Mehr als drei Viertel aller Kinder der westlichen Länder haben in ihren ersten Lebensmonaten das kleine Ding aus Plastik im Mund. Doch für die medizinischen Folgen der Benutzung von Schnullern haben sich bisher eigentlich nur die Zahnärzte interessiert. Durch die Arbeit einiger Forscher der Universität Oulu in Finnland könnte sich das jetzt ändern.

Die Kinder- und Hals-Nasen-Ohrenärzte fanden heraus: Säuglinge und Kleinkinder, die regelmäßig einen Schnuller im Mund haben, erkranken häufiger an einer Mittelohrentzündung als ihre Altersgenossen, die den Mund meist frei behalten. Die Finnen konnten den Verdacht, den sie schon vor ein paar Jahren äußerten, jetzt durch eine Studie erhärten, deren Ergebnisse in der Septemberausgabe der amerikanischen Fachzeitschrift "Pediatrics" veröffentlicht wurden.

Die Mediziner nahmen dafür die Daten von fast 500 Kindern im Alter bis 18 Monate unter die Lupe, die zusammen mit ihren Eltern zu Beratungsterminen in örtlichen Gesundheitszentren erschienen. 14 solche Beratungsstellen wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: In der einen Gruppe erhielten die Eltern unter anderem auch Informationen darüber, dass sich ihre Kinder durch den Dauergebrauch des Schnullers Mittelohrinfekte einhandeln könnten.

Die Mediziner rieten den Eltern, den Säuglingen den Schnuller nach dem ersten halben Jahr nur noch zum Einschlafen zu geben, nach dem zehnten Monat überhaupt nicht mehr. In der Kontrollgruppe bekamen die Eltern diese Ratschläge nicht. Alle Eltern wurden indessen gebeten, über Infekte der Kinder und den Gebrauch des Schnullers in den Monaten nach der Beratung genau Buch zu führen.

Insgesamt traten in der Gruppe der Kinder, die den Sauger ständig im Mund hatten, etwa ein Drittel mehr Fälle von Mittelohrentzündung auf als bei denjenigen, die gar keinen Schnuller hatten oder ihn von ihren Eltern nur zum Einschlafen in den Mund gesteckt bekamen. Das bedeutet bei einer häufigen Krankheit wie der Mittelohrentzündung einen beträchtlichen Unterschied.

Nicht zuletzt macht dieser sich auch im Verbrauch von Antibiotika bemerkbar: Mittelohrentzündungen sind der häufigste Grund für deren Verordnung an Kinder. Im Gegensatz zu den anderen wichtigen Risikofaktoren - Betreuung der Kleinkinder in Institutionen und erblich bedingte Veranlagung - kann der Risikofaktor Schnuller vermieden oder eingedämmt werden.

Das zeigt auch der Erfolg der Beratungsgespräche im Rahmen der finnischen Studie: Die Auswertung ergab, dass in der Gruppe, die man über die Risiken aufgeklärt hatte, der Dauereinsatz des Schnullers um 21 Prozent zurückging. Die Forscher machen ausdrücklich darauf aufmerksam, dass Eltern so mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen können. Denn der Schnuller führt häufig auch zu Zahnfehlstellungen und erhöht, wie Zahnmediziner inzwischen wissen, das Kariesrisiko durch Besiedelung mit einschlägigen Bakterien.

Die Ärzte hatten die Krankenschwestern, die die Elterngespräche führten, bei der vorhergehenden Schulung aber bewusst angehalten, behutsam vorzugehen, keine radikalen Lösungen vorzuschlagen und keine elterlichen Schuldgefühle wegen des Schnullergebrauchs zu wecken. Die Befragung nach Abschluss der Studie ergab: Über 70 Prozent der Eltern hielten die Informationen für wichtig, elf Prozent zeigten sich beunruhigt, dass sie den schädlichen Effekt des Dauer-Lutschens nicht zuvor - solange ihre älteren Kinder klein waren - erkannt hatten, und nur sieben Prozent der Teilnehmer gaben ihrem Unwillen über die ungefragte Belehrung Ausdruck.

Wie das mutmaßlich erhöhte Ohrentzündungs-Risiko zustande kommt, ist noch nicht restlos aufgeklärt. Infektionen der Atemwege nehmen durch den Schnuller-Einsatz offensichtlich nicht zu. Die Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten vermuten, dass Veränderungen der Druckverhältnisse zwischen Mittelohr und Nasenrachenraum - sie sind durch einen Gang ("Ohrtrompete") verbunden - beim Dauernuckeln mit verstopfter Nase zur Entzündung des Mittelohrs führen können.

Ähnliches bewirkt übrigens auch die nächstbeste Alternative zum Schuller: Der Daumen behindert durch eine Belastung des Gaumenbogens den Druckausgleich im Mittelohr. Den Schnuller einfach durch ein anderes Nuckelwerkzeug zu ersetzen, ist also nicht der richtige Weg.

Die finnischen Ärzte sind sich jedoch sicher, dass schon viel Ohrenschmerz verhindert werden kann, wenn der Schnuller und seine Verwandten lediglich als Einschlafhilfe eingesetzt werden: "Die akute Mittelohrentzündung tritt bei Kindern so häufig auf, dass sogar kleine Änderungen im täglichen Leben der Kinder große Effekte haben können."

Adelheid Müller-Lissner

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