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Gesundheit: Mlynek und Bensel im Interview: Neue Partner gemeinsam für Berlin

Partner. Jürgen Mlynek ist Physiker und vor einem Jahr von der Universität Konstanz nach Berlin gekommen.

Partner. Jürgen Mlynek ist Physiker und vor einem Jahr von der Universität Konstanz nach Berlin gekommen. Der jetzige Präsident der Humboldt-Universität ist Mitbegründer der Partnerschaftsinitiative "Wirtschaft und Wissenschaft". Zu den Initiatoren der Partnerschaft gehört auch Norbert Bensel vom Vorstand von DaimlerChrysler Services.

Seit Jahren fordern Wirtschaft und Hochschulen von den Politikern, klare Prioritäten für die Zukunftsgestaltung in Berlin zu setzen - das heißt Priorität für die Wissenschaft und Forschung. Warum haben Sie jetzt die Partnerschaft Wirtschaft und Wissenschaft gegründet?

BENSEL: Wir wollen das Thema Bildung, Wissenschaft und Forschung in Berlin in den Vordergrund rücken und die Politiker in diesem Wahlkampf für dieses Thema einnehmen. Wissenschaft und Forschung stellen für den Standort Berlin eine der wesentlichen Ressourcen dar. Der Hauptvorteil der Wissensregion Berlin ist das Wissen in den Köpfen. In der Vergangenheit stand dieses Thema zu wenig im Fokus. Man muss sich nur anschauen, welchen Stellenwert Wissenschaftspolitik im Parlament hat. Hier sollten alle Parteien ohne Ausnahme dieses Thema stärker fokussieren.

Haben Sie, Professor Mlynek, als Präsident der Humboldt-Universität die Angst, dass in dieser Partnerschaft die Wissenschaft zu kurz kommen könnte?

MLYNEK: Ich bin von Hause aus Naturwissenschaftler und habe nie Berührungsängste mit der Wirtschaft gehabt. Noch hat man nicht alle Synergieeffekte zwischen Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen in Berlin ausgenutzt. Für uns von der Humboldt-Universität greifen diese Aspekte am Standort Adlershof ineinander. Zusammen mit Kollegen aus der Wirtschaft entstand die Idee, jetzt vor den Wahlen Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam antreten zu lassen, um die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, dass Wissenschaft ein Wirtschaftsfaktor für diese Stadt ist und Bildung ein Zukunftsfaktor. Dieses Zusammenspiel hat bisher gut funktioniert. Es macht richtig Spaß.

Berlin zeichnet sich durch das Phänomen aus: Die Politiker erklären in der alten wie in der neuen Koalition die Bildung zur Priorität, meinen damit aber nur die Schulen. Die Bildung hört für unsere Stadtpolitiker jenseits des Abiturs auf und schließt bisher nicht das Studium bis zum Hochschulabschluss ein. Sind die Politiker auf dem Stand der Zeit?

BENSEL: Ich glaube nicht, dass die Politiker auf dem Stand der Zeit sind. Alle wissen, dass eine gute Ausbildung, sei es die Erstausbildung, die duale Ausbildung oder die Hochschulbildung, unentbehrlich ist. Bildung ist Zukunftssicherung für jeden Einzelnen. Das muss man den Bürgern bewusst machen. Jeder Bürger muss wissen, wenn er in seine Bildung investiert, investiert er in seine Zukunft. Das müssen unsere Politiker stärker zu spüren bekommen. Heute verfügen zwölf Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 20 und 29 Jahren über keinen Bildungsabschluss. Mit 16 Prozent Hochschulabsolventen pro Jahrgang sind wir im OECD- Vergleich sogar unterdurchschnittlich. Das zeigt, wie groß der Nachholbedarf ist.

Was muss geschehen? Wir haben drei Massenuniversitäten in der Stadt mit all den negativen Eigenschaften, die nun einmal Massenuniversitäten bieten. Fangen wir mit den Studienplätzen an. Ist uns mehr damit gedient, wirklich 85 000 Studienplätze ausfinanziert zu bekommen oder die Stadt auf 100 00 Studienplätze zu orientieren?

BENSEL: Erstmal müssen wir die 85 000 Studienplätze, die wir heute in der Stadt haben, vernünftig gestalten und entsprechend ausstatten, bevor wir den nächsten natürlich wichtigen Schritt gehen, mehr Studienplätze anzubieten. Im Rahmen der Lehre ist es wichtig, dass die Studierenden gerne in die Hochschulen kommen und ihnen dort auch etwas geboten wird. Forschung und Lehre müssen in gut ausgestatteten Räumen absolviert werden. Das muss nicht Hochglanzstil sein, aber zumindest darf nicht der Putz von den Wänden fallen.

MLYNEK: Die Stadt verrottet. Das gilt für die Schulen wie für die Hochschulen und die Universitäten. Ursächlich hierfür ist die katastrophale finanzielle Situation von Berlin. Der Zustand der Stadt ist in Teilen deprimierend. Das Positive ist die intellektuelle Unruhe, die Stimulanz, die man durch vielfältige Begegnungen erfährt. Das macht die Attraktivität Berlins aus und ist das Pfund, mit dem wir wuchern können - trotz aller Defizite.

Ich will nicht von amerikanischen Verhältnissen sprechen, wo ein Professor zehn Studenten zu betreuen hat. Aber Berliner Verhältnisse in einigen Massenfächern sind unerträglich, wo ein Professor auf 150 bis 200 Studenten kommt. Welches Betreuungsverhältnis sollten wir anstreben, wenn wir die Massenuniversität erträglich gestalten wollen?

MLYNEK: Wir müssen natürlich günstigere Betreuungsverhältnisse erreichen. Das ist einfacher gesagt als getan. Wir haben an der Humboldt-Universität schon in vielen Studiengängen einen Numerus clausus, an der Freien Universität und an der Technischen Universität ist es ähnlich. Allein an der Humboldt-Universität ist in den Studiengängen mit Zulassungsbeschränkungen die Zahl der Bewerbungen im Vergleich zum Vorjahr von 9000 auf 11 000 hochgelaufen. Wir fahren Überkapazität, weil wir den vielen jungen Leuten, die nach Berlin kommen, Bildung und Ausbildung vermitteln wollen. Dieses Entgegenkommen betrachten wir auch als gesellschaftliche Verpflichtung. Andererseits dürfen wir die jungen Leute nicht enttäuschen. Ich habe von den Erstsemestern per E-Mail erste Rückmeldungen bekommen, wo sie der Schuh drückt. Die meisten Klagen haben mit der mangelnden finanziellen Ausstattung zu tun. Bei manchen Baulichkeiten werden wir mit Einrichtungen der Dritten Welt verglichen. Im Service haben wir auch nicht die personellen Ressourcen, um ein Angebot wie das an amerikanischen Privatuniversitäten zu bieten.

Sprechen wir von der Forschung: Die Partnerschaftsinitiative hat bestimmte Kompetenzfelder benannt, bei denen die Aussichten besonders günstig sind, über die Forschung zu neuen wissensbasierten Arbeitsplätzen zu kommen. Warum ist diese Konzentration auf die Kompetenzfelder so wichtig?

MLYNEK: Eine Universität kann heute nicht mehr alles machen. Genau wie eine Universität ein Profil ausbilden muss, muss auch eine Stadt oder eine Region ein Profil finden. Stärken stärken und Schwächen abbauen - darum geht es. In Berlin gibt es einige Themenfelder - ich nenne die Biotechnologie, die Verkehrstechnik, Informations- und Kommunikationstechnologie, die optischen Technologien. Hier sind unsere Stärken, die man konsequent ausbauen muss. Wenn wir Spitzenberufungen haben wollen, müssen wir, wenn eine Hochschule allein das nicht stemmen kann, zusammengehen. Dann geht vielleicht die erste Berufung an die Freie Universität, die nächste an die Humboldt-Universität, die dritte an die Technische Universität. Wenn es finanziell noch klemmt, muss auch die Wirtschaft Hilfen bereitstellen, um jemandem den letzten Anstoß zu geben, dass er nach Berlin kommt.

BENSEL: Ich denke, diese Kompetenzzentren sollen auch ein Brutkasten für die Gründung von Unternehmen sein, die für neue Arbeitsplätze in Berlin wichtig sind. Wenn wir uns hier auf diese Bereiche konzentrierten - in Buch und Adlershof - haben wir die Chance, jungen Absolventen der Hochschulen die Basis zu geben, sich selbstständig zu machen. Dazu gehört, dass in den Universitäten mehr studiert wird, wie man Unternehmer wird. Das heißt, in den Natur- und Ingenieurwissenschaften soll stärker das Thema Betriebswirtschaftlehre, Rechnungswesen und Controlling gelehrt werden. Wir sollten unsere Studierenden nicht nur zu Abteilungsleitern für DaimlerChrysler, Siemens oder Telekom ausbilden, sondern auch zu Unternehmern. Die Existenzgründerveranstaltungen an den Hochschulen weisen in die richtige Richtung.

Die Senatsbildung steht bevor: Welchen Ressortzuschnitt schlagen Sie vor?

BENSEL: Da gibt es natürlich in der Initiative unterschiedliche Meinungen. Ich trete ganz klar für die Trennung von Kultur und Wissenschaft ein. Der Zuschnitt des Ressorts heute mit Wissenschaft und Kultur überfordert den jeweiligen Stelleninhaber. Ein eigenständiger Wissenschaftssenator oder eine Senatorin hat ein Reformprogramm vor sich, das viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Gleichzeitig sollte er auch die weitere Geldbeschaffung und die Zusammenarbeit mit internationalen Institutionen auf die Agenda setzen. Die Wissenschaftsverwaltung könnte sich stärker zu einer Dienstleisterin für Hochschulen und Forschung entwickeln.

MLYNEK: Ich sehe die Aufteilung des Ressorts genauso. Wir brauchen auch frisches Geld. Der neue Senat wird nicht umhin können, sich mit dem Thema Studiengebühren zu beschäftigen.

Bisher gab es viele Hochglanzversprechungen, aber eine nicht immer garantierte Verlässlichkeit der Politiker in Berlin. Was erwarten Sie vom neuen Senat?

BENSEL: Ich erwarte, dass die Hochschulverträge beibehalten werden. Sie lassen zwar hinsichtlich der Höhe des Geldes zu wünschen übrig. Da werden wir auf hohem Niveau jammern. Auf der anderen Seite gibt es Verlässlichkeit für die nächsten Jahre, auf deren Basis die Hochschulen planen können. Aber es muss möglich sein, über Fundraising zu weiteren Geldquellen zu kommen, und die Diskussion über Studiengebühren muss sicher mit der Politik weitergeführt werden. Ich erwarte weiterhin, dass die Einsparungen in der Medizin in Höhe von 145 Millionen Mark noch überdacht werden.

MLYNEK: Erstens: Die Planungssicherheit ist ganz entscheidend. Von daher kommt den Hochschulverträgen ein außerordentlich hoher Stellenwert zu. Andererseits können wir das Professorenerneuerungsprogramm nicht so durchführen, wie es nötig wäre, wenn man wettbewerbsfähig mit Bayern und Baden-Württemberg sein will. Zweitens: Mich wundert, dass die Medizin immer in Verbindung mit Biotechnologie, Wissenstransfer und mit Unternehmensgründungen als besonders erfolgreich von den Politikern genannt wird, andererseits aber gerade in diesem Bereich harte Einschnitte vorgenommen werden. Drittens: Der Zukunftsfonds in Berlin ist leider von einst 250 Millionen Mark auf nur 20 Millionen zusammengestrichen worden. Andere Bundesländer haben hier Hunderte von Millionen Mark zur Verfügung gestellt, um wissensbasierte Arbeitsplätze zu schaffen. In Baden-Württemberg und Bayern gilt Wissenschaft als Wirtschaftsfaktor. Die Politiker in Berlin müssen auch hier Einsicht zeigen: Der Zukunftsfonds muss wieder aufgefüllt werden.

Seit Jahren fordern Wirtschaft, Hochschulen von

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