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Mukoviszidose: „Ich will die Krankheit beherrschen“

Von Geburt an leidet Nicole Neubert an der unheilbaren Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose. Das Berliner Christiane Herzog Zentrum behandelt – bundesweit einmalig – junge und ältere Patienten

Von Sabine Beikler

Normalerweise sei sie kein nachtragender Mensch, sagt sie. Nur einmal wollte sie sich keine weitere Erklärung anhören. Nach einer Party nahm ein Freundespaar Nicole Neubert im Auto mit. Während der Fahrt musste sie viel husten und bekam kaum noch Luft. Danach hörte sie, wie der Mann herumerzählt hat, er würde „die“ nicht mehr mitnehmen, „aus Angst, sie kotzt mir ins Auto“, erzählt die 39-Jährige. „So etwas muss ich in meinem Leben nicht haben“, sagt sie, schüttelt den Kopf und rückt den Sauerstoffschlauch in ihrer Nase zurecht.

Nicole Neubert führt seit ihrer Geburt ein „Muko-Leben“. „Mukos“ nennen sich die an der unheilbaren Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose erkrankten Menschen. Sie muss dreimal am Tag inhalieren, zweimal wöchentlich Physiotherapie machen, täglich mehr als ein Dutzend Kapseln Kreon schlucken, das die fehlenden Bauchspeicheldrüsenenzyme ersetzt. Sie schätzt die Gesamtzahl ihrer täglichen Medikamente auf „mindestens 20 Tabletten“. Wegen der gestörten Fettverdauung muss die 39-Jährige hochkalorisch essen. Doch irgendwann können Mukoviszidose-Kranke nicht mehr massenweise Süßigkeiten, Sahnejoghurts oder mayonnaisegetränkte Brötchen essen. Seit 14 Jahren trägt Nicole Neubert eine Magensonde durch ihre Bauchdecke. Sie nimmt nachts über einen langen Sondenschlauch 500 Milliliter kalorienreiche „Astronauten-Nahrung“ auf.

Bis sie 20 Jahre alt war, lebte sie mit ihrer Krankheit fast problemlos. Sie arbeitete als Verkäuferin, führte ein normales Leben mit eigener Wohnung. Doch dann kamen die für „Mukos“ typischen Lungenentzündungen. Sie wurde immer schwächer und schaffte es nicht mehr, ein normales Leben zu führen. „Dann kam der Absturz, ich hatte keine Lust mehr“, erzählt sie. Ihre Eltern bauten damals ein Haus und boten ihr an, in eine eigene Wohnung miteinzuziehen. Das nahm sie dankbar an. Ihre Arbeit musste sie aufgeben. Seit 13 Jahren ist Nicole Neubert berentet.

Ihre Blutwerte waren damals „nicht so toll“ sagt sie. Ihr FEV 1-Wert – das ist die maximale Menge Sauerstoff, die ein Mensch pro Sekunde ausstoßen kann – lag bei 20 bis 25 Prozent, Gesunde haben Werte zwischen 80 und 100 Prozent. Nicole Neubert bekam Flüssigsauerstoff. Bei Belastung braucht sie zwei Liter pro Minute, nachts einen Liter pro Minute. Irgendwann ging es ihr so schlecht, dass die Ärzte mit ihr über eine Lungentransplantation sprachen. 60 Prozent der Transplantierten überleben die ersten fünf Jahre. „Manchmal gibt es keine Alternative: Entweder Du willst weiterleben oder Du stirbst“, sagt sie. Obwohl eine ebenfalls kranke Freundin die Transplantation nicht überlebt hatte, stimmte Nicole Neubert zu. „Der Tod gehört bei uns dazu.“ Mit viel Disziplin hat sie ihre Therapie durchgezogen. Ihr Zustand hat sich soweit verbessert, dass ihr FEV 1-Wert wieder zwischen 30 und 35 Prozent liegt und sie zurzeit nicht aktiv für die Transplantation gelistet ist.

Trotzdem muss sie wie alle Mukoviszidose-Kranken zwei- bis dreimal im Jahr eine intravenöse Antibiotika-Therapie im Christiane Herzog Zentrum auf dem Charité Campus Virchow machen. Die verstorbene Frau des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog engagierte sich viele Jahre für Mukoviszidose-Patienten. 1999 wurde in Berlin das bundesweit erste Christiane Herzog Zentrum in der damaligen Lungenklinik Heckeshorn eröffnet. Vor einem Jahr nahm das Zentrum seine Arbeit in der Charité auf. Es ist die erste Einrichtung bundesweit, in der sowohl erwachsene als auch junge Patienten behandelt werden. Wurden Mukoviszidose-Kranke früher kaum älter als 18 Jahre, liegt die Lebenserwartung heute bei 40 Jahren. „Wir haben an dem Standort nicht nur eine gute Vernetzung zwischen Forschung und Medizin, sondern auch zwischen Fachärzten für Kinder und für Erwachsene“, sagt die leitende Oberärztin Doris Staab. 279 Patienten werden hier betreut, von denen ein Drittel das Erwachsenenalter erreicht hat. Es gibt 20 stationäre Plätze und eine Ambulanz. Damit sich die Patienten nicht untereinander mit aggressiven Keimen anstecken, werden viele in Einzelzimmern untergebracht. Der Platz reicht nicht aus, deshalb soll das Zentrum erweitert werden. Die Behandlung ist sehr komplex: Außer den Ärzten und dem Pflegepersonal arbeiten Physiotherapeuten, Diätassistenten und Psychologen. „Ohne die Hilfe der Stiftung könnten wir das nicht finanzieren“, sagt Doris Staab.

Nicole Neubert wurde am Freitag nach zwei Wochen Klinikaufenthalt entlassen. Ihr Zustand ist stabil. Optimistisch sagt sie: „Ich will, dass ich die Krankheit beherrsche und nicht sie mich.“

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