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Gesundheit: „Mut zur Spitze“

Der Chemiker und Schering-Preisträger Thomas Tuschl über seine Forschung und die Reform der deutschen Wissenschaft

Die RNSInterferenz, abgekürzt RNAi genannt, hat die Erforschung von vielfältigen Vorgängen in der Zelle innerhalb weniger Jahre revolutioniert. Herr Tuschl, was ist eigentlich RNAi?

Im Prinzip hat RNAi zwei Aufgaben. Zum einen ist sie ein Schutzmechanismus und wird zum Beispiel durch ein Virus ausgelöst, das in die Zelle eingedrungen ist. Zum anderen benutzt die Zelle von sich aus RNAi, um zu steuern, welche Gene aktiviert werden.

Welche Rolle haben Sie bei diesen Entdeckungen gespielt?

Es war schon bekannt, dass doppelsträngige Ribonukleinsäure RNAi auslöst. Wir haben herausgefunden, dass es ganz bestimmte kurze Schnipsel von Ribonukleinsäure sind, die die entscheidende Rolle dabei spielen. Und dann haben wir als erste RNAi in menschlichen Zellen ausgelöst. Das heißt, wir haben damit in diesen Zellen gezielt einzelne Gene ausgeschaltet. Das war vorher niemandem geglückt.

Und Sie haben als Erster mit künstlich hergestellten RNS-Molekülen erfolgreich auf diesem Gebiet gearbeitet.

Wir konnten RNS auf chemischem Wege schnell herstellen. Dadurch hatten wir einen Vorsprung von mehreren Monaten.

Sie sagen Vorsprung – das war also ein umkämpftes Gebiet?

Wir konkurrierten mit vielen anderen Gruppen, aber wir hatten auch ein gutes Umfeld am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen.

Trotzdem sind Sie 2003 in die USA gegangen, an die New Yorker Rockefeller-Universität.

Je erfolgreicher ein Forschungsgebiet sich entwickelt, umso mehr wird investiert. Und dann ist es für deutsche Institute schwierig, mit der Kreativität der Mitarbeiter und der Finanzkraft amerikanischer Labors mitzuhalten. Die setzen den Standard.

Können Sie sich vorstellen, nach Deutschland zurückzukommen?

Anfragen habe ich genug, und am Geld liegt es zumindest augenblicklich auch nicht. Aber das Umfeld für meine Forschung ist in den USA besser. Ich kann in New York sehr gute Nachwuchswissenschaftler einstellen, oft aus Deutschland. In Deutschland dagegen gibt es für Ausländer kaum Karrierechancen, weil die keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Ich bin seit zweieinhalb Jahren in den USA und habe schon ein dauerhaftes Bleiberecht.

Wie bewerten Sie die deutsche Forschungspolitik?

Die ist mir zu anwendungsorientiert, wenn ich mir die biomedizinischen Forschungsprogramme so ansehe. Das ist zu kurzfristig gedacht und ein schwerer Fehler. Die wirklichen Fortschritte kommen aus der Grundlagenforschung. Das gilt auch für meine Arbeit. Schon jetzt zeigt sich ein großes praktisches Potenzial. So sind medizinische Anwendungen der RNAi-Technik bei Krankheiten wie Alzheimer, Virusinfektionen oder Krebs denkbar.

Was würden Sie im deutschen Forschungssystem ändern?

Man muss die Universitäten stärken, die Forschung dorthin zurückverlegen. Dann muss man die Hierarchien abschwächen, dem Nachwuchs mehr Chancen geben und gute Forschergruppen deutlich besser unterstützen.

Heißt das, dass aus Ihrer Sicht die Max-Planck-Institute oder die Institute der Helmholtzgemeinschaft zurück an die Hochschulen sollen?

So etwas könnte ich mir vorstellen. Die Max-Planck-Institute könnte man zum Beispiel in Hochschulen integrieren. Ein weiteres Problem ist, dass diese Institute über das Land verstreut sind. Deutschland braucht wissenschaftlich starke Hochschulen und Zentren. Im Moment sind zum Beispiel die Max-Planck-Institute kein großer Magnet für ausländische Wissenschaftler mehr, wie das vor knapp 100 Jahren zu Zeiten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft der Fall war. Man muss international wieder attraktiv werden. Berlin, die deutsche Hauptstadt, braucht ein großes und herausragendes wissenschaftliches Zentrum, wie es etwa das Massachusetts Institute of Technology darstellt, oder eine starke Universität mit ähnlichen Strukturen. Man ist zu zaghaft geworden, hat den Mut verloren, in eine Elite zu investieren.

Zwar vermeidet man das Wort Elite, aber immerhin gibt es in Deutschland jetzt einen Exzellenzwettbewerb für die Hochschulen mit zusätzlichen Fördermitteln.

Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Damit können Sie mal gerade die Mensa oder das Dach reparieren.

Verliert Deutschland also den Anschluss?

So schlecht sieht es gar nicht aus. Man muss die eine oder andere grundsätzliche Reform machen und die Mittel umverteilen. Die Universitäten haben einen guten Standard, nur der Mut zur Spitze fehlt.

Das Gespräch führte Hartmut Wewetzer.

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