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Nachtruhe: Tiefschlaf in der richtigen Härtezone

Vor dem Matratzenkauf sollten Kunden auf Unterlagen nicht nur Probe liegen, sondern auch Probe schlafen.

Stechen in der Schulter, Ziehen im Nacken: Fast 80 Prozent der Menschen ärgern sich mindestens einmal im Leben mit Rückenschmerzen herum. In zehn Prozent der Fälle werden die Schmerzen sogar chronisch. Eine Plage für die Patienten – und ein gutes Geschäft für die Bettenindustrie: Viele Matratzen sind inzwischen mit bis zu sieben weichen und harten Zonen ausgestattet, die den Körper stützen sollen. Die Modelle mit scheinbar orthopädisch sinnvollen Noppen, Wellen und Rillen auf dem Bezug landen immer öfter auf dem Lattenrost, die alten Liegen auf dem Sperrmüll.

Totaler Unsinn, meint Marcus Schiltenwolf. Aus seiner Erfahrung als Fachleiter für orthopädische Schmerztherapie an der Universitätsklinik Heidelberg weiß er: Durchgelegene Matratzen sind keine Ursache für Rückenschmerzen. „Das meinen nur Verkäufer, die mit damit ihr Geld verdienen“, sagt der Wissenschaftler.

Schiltenwolf zitiert eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO. In deren Auftrag haben Mediziner weltweit 85 000 Menschen über Rückenschmerzen befragt. Das überraschende Ergebnis: Überall auf der Welt leiden ähnlich viele Menschen an Rückenschmerzen. Egal, ob sie auf Matratzen mit abgenutzten Sprungfedern, auf dem nackten Fußboden oder – wie im Westen – auf Nobelunterlagen mit sieben Härtezonen schlafen.

Solchen Zonen stehen auch die Fachleute der Stiftung Warentest skeptisch gegenüber. Sie konnten bei ihren letzten Messungen keine Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Zonen messen – und erst recht nicht beim Probeliegen spüren.

Doch wer morgens gerädert aufwacht, ist mit wissenschaftlicher Skepsis schlecht bedient. Irgendwoher muss das Stechen und Ziehen doch kommen. Schiltenwolf: „Wir wissen inzwischen, dass unruhiger Schlaf und Schmerzen zusammenhängen.“ Die Folge: Wer nachts nicht durchschlafen kann, weil der Partner schnarcht oder der Berufsstress nicht locker lässt, klagt häufiger über Rückenschmerzen. „Deshalb wird ein Teil der Schmerzpatienten auch psychotherapeutisch behandelt.“

Eine neue Matratze macht aus medizinischer Sicht nur Sinn, wenn sich die Schlafgewohnheiten des Patienten ändern. „Wer früher weich gelegen hat, schläft zehn Jahre später lieber hart – das kommt öfters vor“, meint der Experte. In dem Fall hilft nur, verschiedene Modelle auszuprobieren. Denn eine orthopädisch perfekte Matratze gibt es nicht.

Dafür ist die Auswahl riesig: Taschenfederkernmatratzen bestehen aus vielen kleinen tonnenförmige Stahlfedern, die einzeln in Vliessäckchen verpackt sind, andere bestehen aus Kaltschaum. „Bei schweren Menschen geben Matratzen mit Federkernen schneller nach“, sagt Marion Bürmcke, Physiotherapeutin in der Praxis Albatros aus Charlottenburg. Schaumstoffmatratzen sind dagegen strapazierfähig – und haben ihren schlechten Ruf hinter sich gelassen. Die Bettunterlagen galten nämlich lange Zeit als Billigheimer, Füllungen aus Kaltschaum waren meist mit dem Ozonkiller FCKW angereichert. Heute verzichtet die Industrie nach Auskunft der Stiftung Warentest weitestgehend auf Schadstoffe. Ein weiterer Vorteil: Die Kunststoffmatratzen sind relativ leicht und damit beim Drehen und Wenden einfach zu handhaben. Das spricht sich in der Kundschaft rum: Von den rund sechseinhalb Millionen Matratzen, die jedes Jahr in Deutschland verkauft werden, sind inzwischen 60 Prozent aus Weichschaum. Ihr Marktanteil ist damit ähnlich groß wie der der Federkernmatratzen. Materialien wie Latex oder Kokos spielen kaum eine Rolle.

Nur Wasserbetten kommen ohne Zonen aus. Sie gelten als Geheimtipp unter schlaflosen Kraftfahrern, Sportlern und Büroangestellten mit verspannten Muskeln. Sogar in Altersheimen werden sie eingesetzt. Doch: „Für schwere Menschen eignet sich das Wasserbett eher nicht“, meint dagegen Marion Bürmcke. „Sie versinken tiefer in der Matratze als Leichte, drehen sich mühsam im Schlaf – und werden öfters wach.“

Ob eine Matratze für einen das Richtige ist, weiß man nach einer Viertelstunde Probeliegen im Bettenhaus nicht. „Besser ist, sich eine Matratze auszuleihen und einige Nächte zu testen“, sagt Physiotherapeutin Bürmcke.

Diesen Service bietet zum Beispiel der Matratzendiscount aus Charlottenburg an. Für teurere Modelle ab 800 Euro gibt es Leihmatratzen, die man bis zu zwei Wochen lang ausprobieren kann. Betten-Bunge aus Tempelhof vermietet Muster für fünf bis zehn Euro pro Tag übers Wochenende. Wenn am Montagmorgen die Schulter zwickt, muss das nächste Modell her. Philipp Eins

Weitere Informationen unter:

www.test.de

Philipp Eins

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