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Gesundheit: Neues Ersatzmaterial: Knochen aus der Tube

Ein Handgelenk ist bei einem schweren Sturz gebrochen. Dabei wurde es so sehr eingedrückt, dass eine Knochenhöhle entstand.

Ein Handgelenk ist bei einem schweren Sturz gebrochen. Dabei wurde es so sehr eingedrückt, dass eine Knochenhöhle entstand. Sie soll überbrückt werden, damit das Gelenk seine Arbeit wieder reibungslos verrichten kann. Rund 200 000 Mal im Jahr wird heute in Deutschland ein solcher "knochenplastischer" Eingriff an verschiedensten Stellen des Körpers gemacht. Doch woher kommt die fehlende Knochensubstanz?

Man kann sie zum Beispiel an anderer Stelle gewinnen, wo der Patient mehr davon zur Verfügung hat. Dafür ist dann allerdings eine zweite Operation fällig. Eine solche Knocheneigenspende wird häufig aus dem Hüftkamm gewonnen. Dafür wird das umliegende Muskelgewebe freigelegt, dann der Knochen geöffnet und mit einem scharfen Löffel bearbeitet, um die weiche Substanz zu entnehmen. Ganze Blöcke können auch mit der Säge entfernt werden.

Bei diesem Eingriff werden allerdings manchmal Nerven verletzt. Manche Patienten leiden danach dauerhaft am "Unterhosensyndrom": Jeder eng anliegende Stoff verursacht Schmerzen, Gürtel können sie nicht mehr tragen. Einschließlich der Wundheilungsstörungen liegt die Komplikationsrate heute bei etwa zehn Prozent. Zudem steht vor allem bei älteren Patienten oft nicht genug stabiler Ersatz aus dem eigenen Körper zur Verfügung.

Kommt der Knochen dagegen von fremden Spendern, so entfällt zwar der zweite schmerzliche Eingriff für den Patienten. Dafür sind aber Übertragungen von Krankheitserregern nie grundsätzlich auszuschließen. Außerdem gibt es natürlich das leidige Problem der Abstoßungsreaktionen, das bei allen biologischen Fremdmaterialien besteht.

Die Alternative könnte in Zukunft aus der Tube kommen. Neuestes Ergebnis der Suche von Unfallchirurgen, Orthopäden und einschlägigen pharmazeutischen Firmen nach einem unbegrenzt verfügbaren, verträglichen und ungefährlichen Ersatz ist jedenfalls ein Zement, der, mit Kochsalz vermischt, eine geschmeidige Paste ergibt, die sich zum Modellieren und Injizieren eignet und bei Körpertemperatur schnell hart wird. Er ist in seiner Zusammensetzung weitgehend identisch mit dem natürlichen Knochenmineral, einer Calciumphosphat-Verbindung.

Schon seit zehn Jahren sind synthetische oder aus biologischen Ausgangsmaterialien gewonnene Keramiken im Einsatz, aus denen poröse Formkörper oder Granulate hergestellt werden. Die Hydroxylapatit-Keramik Endobon etwa wird aus Rinderknochen gewonnen, der während der Herstellung extrem hohen Temperaturen von über 1000 Grad Celsius ausgesetzt und dadurch von allen Eiweißbestandteilen gereinigt wird. Der Knochenersatz ist deshalb nicht nur gut verträglich, sondern auch frei von Bakterien, Viren und Prionen.

Ziel des Einbaus von Fremdmaterial nach Knochenbrüchen ist ein belastungsfähiger Knochen, in dem die Bruchstücke gut miteinander verbunden sind. Das Ersatzmaterial selbst kann keinen neuen Knochen bilden. Es kann allenfalls günstige Bedingungen dafür schaffen. Der umgebende Knochen muss für den Einbau der Fremdsubstanz sorgen. Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg ist deshalb die Implantation in ein vitales, nicht infiziertes, gut durchblutetes Knochenlager und ein Reiz zur Knochenneubildung, der meist durch Bewegung erfolgt. Schadstellen an Schienbein und Fersenbein sind derzeit die bevorzugten Orte für die festen Implantate.

Gegenüber den Formkörpern hat der neue synthetische Calciumphosphat-Zement, wie der Chemiker Norbert Klas, Mangaging Director der Hersteller-Firma Biomet Merck, betont, den großen Vorteil, dass er durch eine dicke Kanüle geschickt werden kann. Das mit Kochsalzlösung vermischte Pulver kann deshalb auch bei minimal-invasiven Eingriffen zum Einsatz kommen, zum Beispiel bei tüftligen Operationen am Handgelenk. Dass man mit ihm modellieren kann, macht den Zement auch für die plastische Chirurgie oder für die Verankerung von Zahnimplantaten bei fehlender Knochensubstanz im Kiefer interessant.

Bestechend ist die Idee, Keramiken oder Zement mit therapeutisch wirksamen Stoffen zu versetzen. So befindet sich der Zusatz von Antibiotika gegen Infektionen schon im Stadium der klinischen Erprobung. Noch eine Zukunftsvision ist es dagegen, dem Knochenersatz Wachstumsfaktoren beizugeben, die dafür sorgen sollen, dass die körpereigene Substanz sich schneller nachbildet. Im Tierversuch an Minischweinen, der an der Klinik für Unfallchirurgie der Universität Gießen durchgeführt wurde, zeigte sich schon vor einigen Jahren, dass Keramikimplantate, die mit Knochenwachstumsfaktoren beschichtet waren, nach einigen Wochen gut in die knöcherne Umgebung einwachsen können.

Im Rahmen des Kompetenzzentrums für Biomaterialien der Universität Ulm läuft derzeit eine Studie, für die synthetische Trägermaterialien mit Wachstumsfaktoren kombiniert wurden. Man erhofft sich, dass die Knochenbildung angeregt und das künstliche Material schneller resorbiert wird. Von der Kombination des Knochenersatzmaterials mit gentechnisch hergestellten Wachstumsfaktoren verspricht sich Klas für die Zukunft nicht weniger als den Durchbruch zur "Turbo-Heilung" von Knochendefekten.

Adelheid Müller-Lissner

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