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Gesundheit: „Nur die relevanten Fächer fördern“

Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) verteidigt seine umstrittenen Sparpläne für die Hochschulen – und macht neue brisante Vorschläge

WISSENSCHAFTSKALENDER

Mittwoch (14. 5.): Juristische Gesellschaft; Fritjof Haft „Mediation“, 12 Uhr 15, Kammergericht, Elßholzstraße 3033.

Herr Sarrazin, die Zahlen, mit denen Sie geplante Sparauflagen für die Berliner Universitäten begründen, werden angezweifelt. So vergleichen Sie Berlin mit dem Durchschnitt der anderen Länder. Müsste man nicht einzelne große Universitätsstädte miteinander vergleichen, beispielsweise Berlin mit München?

Mir geht es um die Gesamtrechnung, das ist meine Aufgabe. Universitätsausgaben sind Landesausgaben. Deshalb ist der Vergleich mit anderen Ländern für mich der einzig relevante, und die Zahlen sind eindeutig: Wir geben 73 Prozent mehr aus als andere. Im Hochschulbereich liegen die Kosten der Lehre pro Absolvent an den drei Berliner Universitäten gut 56 Prozent über dem Niveau von Hamburg. Allein hier sehe ich ein Sparpotenzial von 110 Mio Euro.

Der Maßstab für das Niveau der Universitäten in Berlin ist für Sie der Bundesdurchschnitt der Hochschulausgaben?

Nein, der Maßstab ist die Finanzierbarkeit. Wir können nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen.

In Berlin wird bereits seit 1992 an den Hochschulen gespart. Bei der ersten Welle waren es 500 Millionen Euro, jetzt sollen noch mal insgesamt fast 350 Millionen dazu kommen. Freie und Technische Universität haben ihren Professorenbestand um die Hälfte verringert, die Humboldt-Uni um ein Drittel. Es sind tausende Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter abgebaut worden.

Die Zahl von 350 Millionen weiterer Einsparungen haben sie genannt. Die konsumtiven Zuschüsse an die Hochschulen sind von 933 Millionen Euro 1991 auf 1160 Millionen im Jahre 2003 gestiegen. Daraus ergibt sich ein Zuwachs von rund 230 Millionen.

Dennoch wirft Ihnen Wissenschaftssenator Flierl eine „Kampagne gegen die Hochschulen“ vor. Die Unis drohen mit flächendeckendem Numerus Clausus, Einschreibungs- und Einstellungsstopp und dem Ende der Verhandlungen über die Hochschulverträge. Offensichtlich haben Sie ein Vermittlungsproblem.

Ich habe kein Vermittlungsproblem. Ich habe die Universitätspräsidenten schon vor einem Jahr in Einzelgesprächen über die Berliner Haushaltslage informiert und ihnen geraten, eigene Vorschläge zu machen. Die derzeit massive Kritik ist unfair und bedient sich teilweise billiger Tricks, weil sie keine sachliche Basis hat. Gegen sie steht die normative Kraft des Faktischen.

Berliner Professoren glauben nicht, dass sie so viel teurer sein sollen als andere.

Nicht der Hochschullehrer ist teurer, sondern der Apparat, der ihn umgibt. Lehrstuhlinhaber haben hier mehr Assistentenstellen und mehr Hilfskräfte als anderswo. Das gilt besonders für FU und TU.

Im Vergleich zu anderen großen technischen Universitäten ist die TU mit Assistenten und Hilfskräften unterausgestattet.

Einsparungen sind durch Steigerung der Effizienz zu erzielen. Die Universitäten sollten sich auf ihre Stärken konzentrieren und ihre Kräfte bündeln. Eine Ausbildung von Lehrern und Juristen über den Berliner Bedarf hinaus hat wirklich nichts mit dem Wissenschaftsstandort Berlin zu tun. Außerdem wäre es sinnvoll 20 000 Studienplätze auf die Fachhochschulen umzuschichten. Dort kostet die Ausbildung nur die Hälfte. Das ergibt ein Sparpotenzial von bis zu 140 Millionen Euro bei gleicher Studienplatzzahl. Insgesamt müssen wir stärkere Akzente dort setzen, wo es dem Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Berlin wirklich nützt.

In der Wirtschaft heißt es allerdings, dass Sie dem Standort schaden. Siemens und Schering betonen, sie bräuchten leistungsfähige Unis.

Siemens und Schering haben meine volle Unterstützung. Die Industrie stützt sich aber im Wesentlichen auf natur- und ingenieurwissenschaftliche Absolventen. Niemand plant im Ernst, in diesen Bereichen zu sparen. Ein steigender Anteil der Abiturienten drängt aber in die Fächer, die weniger relevant sind für den Wirtschaftsstandort und die nicht zu den produktiven gehören. Da muss es Verschiebungen geben: Heute werden die Berliner Hochschulen jährlich mit knapp 1,4 Milliarden Euro bezuschusst; Chemie, Mathematik und Physik erhalten im Bereich der Lehre davon aber nur 48,5 Millionen. Gleichwohl sind die Studienplätze in diesen drei Fächern zu 40 Prozent nicht besetzt. Entscheidend ist die Frage: Wie macht man die Unis in den nicht ausgelasteten Bereichen attraktiver?

Die überlasteten geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer sollen abgebaut werden?

Es geht um die Konzentration knapper Mittel auf Aktivitäten, die für den Standort besonders wichtig sind.

Ist das ein Plädoyer für Fächerfusionen?

Es gibt ganz unterschiedliche Wege, um Synergien zu schöpfen. In Fächern, in denen die wirklichen Kapazitäten fehlen, muss man doch fragen: Brauchen wir da drei Fakultäten? Man muss auch sehen, dass es im riesigen Wissenschaftsbereich mit seinen vielen tausend Mitarbeitern auch unproduktive Ressourcen gibt, die aber Mittel binden.

Bleiben wir bei den Geisteswissenschaftlern. Sie haben Ängste vor einer großen „Kulturvernichtung“ geweckt.

Niemand will die Germanistenausbildung abschaffen. Man braucht gute Geisteswissenschaftler. Aber der durchschnittliche Lehramtskandidat hat 17 Semester studiert, und für viele ist es ein Verlegenheitsstudium.

Könnte eine Expertenkommission aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, wie sie in Hamburg eingesetzt wurde, die verfahrene Lage klären, indem sie die zentralen Zukunftspotenziale für Berlin beschreibt?

Ich bin immer für Expertenkommissionen, wenn sie richtig besetzt sind und wenn man ihnen die richtigen Fragen stellt. Zum Wissenschaftsstandort könnten Experten sicher wichtige Anregungen geben. Aber an der Tatsache, dass Berlin in allen Bereichen, also auch im Hochschulbereich, zu viel ausgibt und deshalb mit weniger Geld auskommen muss, kommen auch sie nicht herum.

Wollen Sie wirklich ab 2005 allgemeine Studiengebühren einführen, wie jetzt an den Universitäten vermutet wurde?

Der Ökonom Thilo Sarrazin ist seit 20 Jahren für Studiengebühren. Da werden Gelder abgeschöpft, die in der deutschen Gesellschaft objektiv vorhanden sind. Soziale Staffelungen sind selbstverständlich nötig. Aber wenn es Gebühren gibt, können Unis auch ihre Qualität ganz anders messen. Es wird einen positiven Wettbewerb zwischen den Hochschulen geben, sie müssen besser und effizienter werden.

Planen Sie, den Unis mögliche Gebühreneinnahmen von vornherein abzuziehen, damit diese sich das Geld dann von den Studenten zurückholen?

Wie mit Studiengebühren verfahren wird, hängt davon ab, wie der Zuschuss des Landes an die Hochschulen in die gesamten Konsolidierungsbemühungen passt. Es ist denkbar, dass Gebühren ein Teil des Zuschusses sind, es kann aber auch sein, dass Unis durch eine Effizienzsteigerung insgesamt mit einen Teil der Mittel bestimmte Bereiche gezielt ausbauen.

Wie kann Berlin trotz massiver Sparpolitik gegenüber den Hochschulen sein Image als „Stadt des Wissens“ erhalten?

Für Berlin ist wichtig, dass die Stadt überdurchschnittlich viele intelligente und kreative Menschen anzieht. Dafür sind verschiedene Komponenten ausschlaggebend, und nur ein kleiner Teil dieser Anziehungskraft beruht auf staatlichen Aktivitäten. Für Wissenschaft ist wichtig, dass wir attraktiv sind für die besten Köpfe, und zwar insbesondere im Bereich der Naturwissenschaften. Das verbessert unsere Aussichten bei der Wirtschaftsansiedlung.

Nun gilt ja zwischen den Bundesländern die grundsätzliche Vereinbarung: 40 Prozent eines Jahrgangs sollen studieren. Wenn sich ein Land radikal von dieser Vereinbarung verabschiedet und Studienplätze deutlich reduziert, werden sich andere anschließen. Wäre das nicht verheerend für die Gesellschaft?

Ich fordere nicht den Abbau von Studienplätzen. Aber Berlin muss seinen Vorteil suchen. Es sind immer die Länder am reichsten, die auch am sparsamsten sind. In München gibt es einen strengeren Numerus Clausus, dort bilden sie die Besten aus, und die bleiben der Stadt dann auch erhalten.

Berlin hat aber einen überregionalen Einzugsbereich und ist deshalb in einer anderen Situation. Eine Stadt sollte stolz darauf sein, wenn sie bei Studenten begehrt ist.

Auch andere Städte ziehen Studenten von anderswo an, besonders dann, wenn sie in bestimmten Bereichen sehr gut sind. Der Massenbildung dürfen wir uns nicht verschließen, aber beim Thema Wissenschaftsstandort geht es nun mal vor allem um die Bestenbildung. Aber da will ja keiner ran.

Wie würden Sie denn da rangehen?

Wir geben 73 Prozent mehr aus als der Bundesdurchschnitt. Daraus folgt erstens: Selbst wenn wir nur 50 Prozent mehr ausgeben als der Durchschnitt, haben wir die Mittel, eine überdurchschnittliche Hochschullandschaft zu organisieren. Zweitens: Der Anteil der für den Standort Berlin besonders relevanten Hochschulausgaben muss steigen, bei allem Respekt vor den Geisteswissenschaften. Drittens: Es gibt im System in erheblichem Umfang die Möglichkeit, die Effizienz zu steigern. Viertens: Im Vergleich zum angelsächsischen System haben wir Nachteile, an denen wir arbeiten müssen. Fünftens: Die Universitäten haben die Möglichkeit, besser zu kooperieren. Wer dann sagt, mit einem niedrigeren Zuschuss könnten die Universitäten ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen, sagt einfach etwas Falsches.

Das Gespräch führten Amory Burchard, Lorenz Maroldt und Uwe Schlicht.

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