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Gesundheit: Operation Cockpit

Was Ärzte und Chirurgen von Piloten lernen können

Kann man die Flugsicherheit mit der Sicherheit der modernen Medizin vergleichen? Versuchen wir’s mal.

Höchstens ein tödlicher Unfall auf drei Millionen transportierte Passagiere: Das ist das Sicherheitsniveau, das heute in der internationalen Luftfahrt gilt. Auf Intensivstationen von Krankenhäusern passieren dagegen, einer US-Studie zufolge, pro Patient und pro Tag 1,7 Fehler. Bei mehr als zehn Prozent aller Patienten, die auf der Intensivstation eines Krankenhauses landen, ist vorangegangenes ärztliches Fehlhandeln die Ursache; 13 Prozent dieser Patienten sterben. „Statistisch sind wir im Flugzeug sicherer als im Krankenhaus“, folgerte vor einiger Zeit der amerikanische Mediziner Mark Lema. Und stellte die nicht ganz ernst gemeinte Frage: „Liegt die Lösung im fliegenden Operationssaal?“

Vergleiche hinken bekanntlich, aber man kann aus ihnen lernen. Ärzte können eventuell Gefahren verringern, indem sie einen Blick auf die Pilotenwelt werfen. Aus diesem Grund war zum Hauptstadtkongress für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der vergangene Woche in Berlin stattfand, auch Albrecht Schiewe eingeladen, der als Psychologe bei der Lufthansa für das Sicherheitstraining zuständig ist. Schiewe berichtete vom strengen Auswahlverfahren für Piloten und ihrem Training im Cockpit-Simulator. Pilotenfehler, hielt der Experte darüber hinaus fest, ereignen sich meist, wenn die Voraussetzungen schon vorher nicht stimmen: Stress, Störungen der Kommunikation im Team und Neigung zu einsamen Entscheidungen sind die Ursache für das, was man als „menschliches Versagen“ bezeichnet.

Nun stellt ein Flug von Frankfurt nach Buenos Aires andere Anforderungen als die Operation eines Leistenbruchs oder einer Gallenblase. „Aber auch wir sollten Strukturen einbauen, die Fehler minimieren“, sagte der Anästhesist Werner Kuckelt vom Zentralkrankenhaus Links der Weser in Bremen. Für Fehler im Krankenhaus, die sich auf das Behandlungsergebnis auswirken, mache man statt dessen heute noch allzu selbstverständlich Einzelpersonen verantwortlich. Auch die Ärzte selbst sehen sich eher als Einzelkämpfer. In einer schottischen Studie bejahten 53 Prozent der Experten für Anästhesie und Intensivmedizin die Aussage: „Meine Arbeit mache ich am besten allein und in Ruhe.“

Torsten Schröder von der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin der Berliner Charité, Campus Mitte, schwört dagegen auf Kurse, in denen Teamwork im OP-Saal am „Anästhesie-Simulator“ geübt wird. Da liegt statt eines Kranken zwar nur eine sprechende Puppe auf dem OP-Tisch. Doch die Teilnehmer nehmen ihre Rollen als Narkoseärzte, Operateure und Pflegekräfte wie im richtigen Leben ein. Bei Betrachtung der Videoaufzeichnungen kann sich das Team ein Bild von der Arbeitsatmosphäre und ihrer Kommunikation machen – und daraus lernen.

Neben der zuverlässigen Verständigung sind, beim Fliegen wie in der Medizin, verlässliche Standards für das Handeln wichtig, um die Fehlerquote zu senken. „Klinische Pfade“, die bei Operationsnarkosen, bei der Schmerzbekämpfung und in der Behandlung schwer kranker Intensivpatienten beschritten werden sollten, standen im Mittelpunkt des diesjährigen Kongresses. Motto: Verfahren wissenschaftlich überprüfen und sich von Mythen verabschieden.

Beispiel: „Es ist ein Mythos, dass ein Patient vor der OP immer sehr lang nüchtern sein muss“, sagte die Charité-Anästhesistin Claudia Spies. Meist kann er sechs Stunden vor dem Eingriff noch etwas essen. Studien zeigen sogar, dass dann direkt danach mit weniger Übelkeit zu rechnen ist. Bis zu zwei Stunden vor der Operation können außerdem klare Flüssigkeiten getrunken werden. Tabletten, die der Patient regelmäßig einnehmen muss, kann er also auch am Operationstag wie gewohnt mit etwas Wasser oder Tee schlucken.

An Bord eines Billigfliegers, wo man inzwischen immer öfter auf Getränke verzichten muss, ist das keine Selbstverständlichkeit mehr.

Adelheid Müller-Lissner

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