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Gesundheit: Operation Xenon

Der Kreislauf bleibt stabil, der Patient fühlt sich besser: Ärzte testen ein Edelgas als Narkosemittel

Von Adelheid

Müller-Lissner

Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Element entdeckt, in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts beschäftigte sich die Forschung schon mit seiner einschläfernden Wirkung. 1951 wurde es zum ersten Mal für eine Narkose eingesetzt. Trotzdem blieb das Edelgas Xenon in den Operationssälen lange Zeit das, was es seinem griechischen Namen nach ist: das Fremde.

Seit 1998 wurde Xenon jedoch in zwei großen klinischen Studien getestet, die unter Federführung der Universitätskliniken Aachen und Hamburg in mehreren europäischen Zentren stattfanden – erfolgreich. Somit könnte das „Fremde“ als Narkosegas bald vertrauter werden. Derzeit laufen einige Anwendungsstudien, die zur letzten Phase im Rahmen des Zulassungsverfahrens beim Bundesamt für Arzneimittelsicherheit gehören.

Im Evangelischen Waldkrankenhaus in Berlin-Spandau wird das Edelgas im Rahmen einer solchen Studie bei Hüftgelenksoperationen eingesetzt, und zwar im Vergleich mit einem gebräuchlichen Narkosegas-Gemisch. Damit ist das Krankenhaus am westlichen Stadtrand derzeit noch das einzige in Berlin, das Xenon für Narkosen verwendet.

Alle Patienten, denen ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt werden soll und die an der Untersuchung teilnehmen, bekommen eine Kombination aus Vollnarkose und gezielter Betäubung der Operationsregion. Bei der Hälfte von ihnen wird für die Vollnarkose Xenon, bei der anderen ein herkömmliches Gemisch aus Lachgas und dem Narkosegas Isofluran eingesetzt. Fast alle Operationen, die für die Studie ausgewertet werden sollen, haben schon stattgefunden.

Zeit für eine erste Bilanz: „Die Erwartungen, die schon durch die früheren Studien geweckt wurden, wurden bisher auch bei uns erfüllt“, sagt Stefan Reyle-Hahn, Leiter der Abteilung für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin im Waldkrankenhaus. Die Xenon-Narkose kann besonders für Patienten mit Herz- und Kreislaufproblemen Fortschritte bringen: „Der Kreislauf bleibt unter Xenonnarkose extrem stabil, der Blutdruck fällt nur selten ab. Wir müssen also deutlich weniger unterstützende Medikamente einsetzen.“ Die Operierten kommen nach dem Eingriff schneller zu sich und können auch schneller aus der Intensivstation in eine normale Station verlegt werden. Auch im subjektiven Erleben zeigten sich deutliche Unterschiede: Auf die Frage, ob sie diese Narkose noch einmal machen lassen würden, wenn es denn nötig sei, antworteten aus der Xenon-Gruppe 90 Prozent, aus der Vergleichsgruppe nur 60 Prozent mit „Ja“. „Nur eine Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt: Übelkeit und Erbrechen, die bei einer Minderheit nach einer Narkose auftreten, sind auch unter Xenon nicht seltener geworden und müssen mit speziellen Medikamenten behandelt werden.“

Reyle-Hahn arbeitete an der Charité, bevor er vor einigen Jahren an die Uniklinik Aachen ging, ein deutsches Zentrum der Xenon-Forschung. Seit er vor zwei Jahren am Waldkrankenhaus seine neue Wirkungsstätte gefunden hat, beteiligt er sich auch an einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt der Charité. Im Tierversuch werden dort die Kreislauf-Eigenschaften des Narkosegases genauer untersucht. Dabei geht es auch um die Frage, ob Xenon-Narkosen besonders günstig sind, wenn Patienten operiert werden müssen, die unter Schock stehen – etwa nach einem Unfall.

Dass Xenon bisher als Narkosegas noch nicht Karriere gemacht hat, hat nicht zuletzt mit der Kostbarkeit des Edelgases zu tun. Das Gas liegt zwar buchstäblich in der Luft, jedoch macht es nur einen winzigen Bruchteil der uns umgebenden Atmosphäre aus. Die Gewinnung ist ausgesprochen teuer.

Um den Einsatz bezahlbar zu machen, sind geschlossene Narkosesysteme nötig, die erst seit etwa sechs Jahren und längst noch nicht überall verfügbar sind. Ihre Besonderheit: Das ausgeatmete Gasgemisch geht nicht verloren, sondern wird dem Patienten wieder zugeführt. Nach einer anfänglichen Phase des „Auftankens“, in der zehn Liter Xenon gebraucht werden, liegt der Verbrauch deshalb nur noch bei einem Liter pro Stunde, während in einem offenen System alle zwei Minuten ein Liter gebraucht würde. Kostenpunkt: derzeit 15 Euro pro Liter.

Auch nach der Zulassung werden es wahrscheinlich immer besondere Patientengruppen bleiben, die die Anästhesisten mit dem Edelgas in die zeitweilige Bewusstlosigkeit führen. Im Unterschied zu anderen Narkosegasen geht das Edelgas Xenon im Körper keine chemischen Verbindungen ein. Es wird nicht „verstoffwechselt“, sondern unverändert wieder ausgeatmet. Das könnte Xenon für Operationen in der Transplantationschirurgie interessant machen, zum Beispiel für Patienten, die eine Spenderleber bekommen.

Auch für Patienten mit Mehrfach-Allergien könnte Xenon eines Tages das Narkosegas der Wahl werden, denn es kann keine Allergien hervorrufen. Hoffnungen richten sich auf den Einsatz in der Frühschwangerschaft und bei lebenswichtigen Operationen an empfindlichen Frühgeborenen.

Bei aller Begeisterung für die Möglichkeiten, die das Edelgas als Narkosemittel bietet, ist für den engagierten Anästhesisten klar: „Man wird Xenon wahrscheinlich nie für eine einfache Blinddarmoperation benutzen.“

AdelheidMüller-Lissner

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