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Gesundheit: „Phantasie ist wichtiger als Wissen“

Die Einsteins von morgen: Was können Schule und Universitäten tun, um kreative Geister zu fördern? Fünf Experten antworten

Die „Freude, die heilige Neugier des Forschens“, so hat Albert Einstein einmal geschrieben, sei ein „delikates Pflänzlein“, das neben der Anregung „hauptsächlich der Freiheit“ bedarf. Seine Münchner Gymnasisallehrer hätten dieses Pflänzlein in ihm erdrosselt. Was kann die Bildungspolitik von Einstein, seinem Werdegang und seinen Ideen lernen? Wie kann sie den Boden bereiten, auf dem kreative Geister wie Einstein sich entfalten? Wir haben Experten und Politiker gefragt.

Edelgard Bulmahn (SPD), Bundesbildungsministern:

Einstein lehrt uns, dass sich Freude am Denken und Neugierde lohnen. Dass die Menschen offen sein müssen für Veränderungen und für ihre Überzeugungen einstehen – allen Widrigkeiten zum Trotz! Die Persönlichkeit Einsteins und seine wissenschaftliche Leistung sind einzigartig. Einsteins Lebensgeschichte zeigt, dass man dazu bereit sein muss, seinen Horizont zu erweitern, keine Angst vor neuen Erfahrungen haben darf.

Johanna Wanka (CDU), Präsidentin der Kultusministerkonferenz:

Für mich zeigt das Beispiel Einsteins die Bedeutung von Freiheit, Phantasie, Neugier und Wissensdrang für ein erfolgreiches Schulleben und für erfolgreiche Forschung. Einstein hat immer betont, dass man ihm in seinem Münchner Gymnasium durch Zwang und autoritäres Denken „die heilige Neugier des Forschens erdrosselt habe“, während seine Schweizer Schule durch ihren liberalen Geist und die natürliche Autorität der Lehrer ihn förderte. Die Freude am Schauen und Suchen: Wenn wir sie in Kindergarten, Schule und Studium fördern und erhalten können, dann ist der Grundstein gelegt für eine erfolgreiche Entwicklung unserer Kinder und unseres Landes gelegt.

„Phantasie ist wichtiger als Wissen. Wissen ist begrenzt, Phantasie aber umfasst die ganze Welt.“ Auch diese Aussage Einsteins ist hochaktuell, gerade in der Wissensgesellschaft. Denn die sinkende Halbwertzeit des Wissens ist uns nur zu bewusst. Bildung heute sollte vor allem das Umgehen mit Wissen und seinen Veränderungen, Offenheit für Neues – und eben Phantasie fördern. Denn dann können unsere Kinder im Leben bestehen, egal, wie sich die Bedingungen auch verändern mögen. Einsteins Vergleich zwischen seiner deutschen und seiner schweizerischen Schule entstammt übrigens auch die Einsicht, „...wie sehr die Erziehung zu freiem Handeln und Selbstverantwortlichkeit jener Erziehung überlegen ist, die sich auf Drill, äußere Autorität und Ehrgeiz stützt. Echte Demokratie ist kein leerer Wahn.“ .

Jürgen Mlynek, Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin:

Wissen ist der einzige Rohstoff, der sich bei Gebrauch vermehrt. Bildung ist dafür die Grundlage. Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Wer zu den Quellen will, muss gegen den Strom schwimmen.“ Dafür steht Einstein in besonderem Maße. Wir brauchen mehr Mut zum Querdenken und größere Freiräume jenseits von Nützlichkeitserwägungen.

Ein Patentrezept dafür, wie man den Boden für neue Einsteins bereiten kann, gibt es nicht, aber Universitäten können eine wichtige Rolle spielen: Sie sind Orte, an denen neues Wissen erzeugt und vermittelt wird. Sie dienen der Suche nach Wahrheit. Inspiration und intellektuelles Abenteuer stehen hier im Vordergrund genauso wie Muße zum Nachdenken. Eine Rückbesinnung auf diese universitären Tugenden kann den Boden für neue Einsteins bereiten. Wir brauchen also Freiräume des Geistes, insbesondere für junge Menschen.

Allein mehr Geld oder weniger Bürokratie bringen noch keine Einsteins, auf die richtigen Köpfe und die richtige Mentalität kommt es an. Einstein hat schließlich seine Ideen im Berner Patentamt, wo er Muße und Zeit hatte, unabhängig von Geld, Forschungsmitteln oder Bürokratie entwickelt.

Katherina Reiche, bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Bundestag:

„Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung.“ Dieses Zitat von Einstein trifft auf unsere gesamte Bildungsbiografie zu. Wir brauchen bessere Schulen, die die Grundlagen bilden, auf denen ein ganzes Leben aufgebaut werden kann. Wir müssen unsere Hochschulen leistungsorientiert, wettbewerbsfähig und vor allem frei gestalten. Einstein hat uns ja gelehrt, dass auch das Unmögliche gedacht und gesagt werden muss, und das kann nur in einem Klima der Freiheit von Forschung und Lehre geschehen. Momentan haben wir aber ein Klima der Zögerlichkeit und des Pessimismus.

Wir brauchen wieder Zukunftsoptimismus, Mut und Neugier auf unbekannte Zukunftsfelder. Daran mangelt es bei den politischen Eliten, aber auch insgesamt in der Gesellschaft: In den Schulen sollte viel stärker der Forschergeist, in den Familien der Entdeckergeist geweckt werden. Ein Klima von Freiheit und Offenheit ist ganz entscheidend für wissenschaftliche Exzellenz. Wer etwa grüne Gentechnik und Kerntechnik verteufelt, schafft ein Klima, in dem sich auch andere Forschung nicht mehr zu Hause fühlt.

Peter Gaehtgens, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz:

Einstein lehrt uns, dass Kreativität ein wichtiges Element aller Bildungsanstrengungen ist. Es reicht nicht, stromlinienförmig zu lehren und forschen. Der Beitrag des Einzelnen, eines ungewöhnlichen Individuums wie Einstein, ist wichtig. Einstein war nicht nur ein eminenter Physiker, sondern hatte auch starke musikalische und literarische Interessen; seine Kreativität beschränkte sich nicht auf die Wissenschaft. Zu solcher Vielseitigkeit neigen Wissenschaftler mehr als andere Berufsgruppen, weil sie die für die Wissenschaft nötige Kreativität auch auf andere Bereiche ausdehnen. Diese Vielseitigkeit befähigt zu herausragenden Leistungen.

Damit kreative Geister wie Einstein sich entfalten können, ist es wichtig, dass die Organisationsrahmen von Wissenschaft möglichst große Flexibilität bieten. Es darf keine bürokratischen Einengungen geben, die Querdenker stoppen. Heutzutage wird oft von der Wissenschaft gesprochen, als sei sie eine Schraubenfabrik, die auf möglichst effiziente Weise Ergebnisse produzieren soll. Wissenschaft aber ist nicht mit einem industriellen Fertigungsprozess zu vergleichen, wir produzieren keine normierten Produkte.

Aufgezeichnet von Dorothee Nolte

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