zum Hauptinhalt

Gesundheit: Plaudertaschen-Pädagogik

Neue Leistungsstudie „Desi“: Ein Lehrer redet doppelt so viel wie alle Schüler zusammen

Im Englischunterricht an deutschen Schulen redet besonders einer: der Lehrer spricht im Schnitt doppelt so viel wie die Schüler zusammen, heißt es in der ersten großen deutschen Schulleistungsstudie „Deutsch Englisch Schülerleistungen International“ (Desi), die am Freitag von der Kultusministerkonferenz in Berlin vorgestellt wird und dem Tagesspiegel vorliegt. Die Forscher vermuten, dass die Lehrer „durch allgemeinpädagogische Traditionen“ geprägt sind. Denn der Sprechanteil der Schüler hänge weder vom Bildungsgang noch vom Leistungsniveau der Klasse ab. Die Desi-Studie, an der außer Deutschland auch Südtirol und Österreich teilgenommen haben, hat 11 000 Neuntklässler zu Beginn und am Ende des Schuljahres 2003/2004 getestet. Dabei ging es um die sprachliche Kompetenz in Englisch und Deutsch.

Ein weiteres Ergebnis für den Englischunterricht: Die Lehrer haben mit den Schülern nicht viel Geduld. Die Hälfte der Fragen des Lehrers beantworten die Schüler in nur drei Sekunden. Hat ein Schüler dann noch keine passende Antwort formuliert, warten die Lehrer nur selten länger, wie die Studie unter Federführung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt am Main feststellt. Videountersuchungen belegten, dass die Kompetenzen wachsen, wenn Schüler einen hohen Sprechanteil haben und Lehrer auf Antworten länger als drei Sekunden warten. Auch sollten die Schüler ihre Fehler selbst korrigieren können.

Was die Schülerleistungen angeht, so werden die Ergebnisse kleinerer Untersuchungen (siehe Tagesspiegel vom 27. und 28. Februar) bestätigt: Zwischen den Englischkompetenzen der Schüler klafft eine riesige Schere. Während zehn bis 15 Prozent weit über den Anforderungen der Lehrpläne liegen (die meisten davon gehen aufs Gymnasium), fallen zwei Drittel der Hauptschüler unter die Mindeststandards. Insgesamt erreicht ein Drittel der Schüler in Deutschland nicht das Niveau, das die Kultusministerkonferenz für den Hauptschulabschluss vorsieht.

Schüler dagegen, die Teile ihres Fachunterrichts (meist Geschichte, Geografie oder Biologie) in Englisch erhalten, sind Schülern von Regelklassen im Schnitt zwei Jahre voraus. In zahlenmäßig größeren Klassen weist der Englischunterricht eine geringere Qualität auf, wie die Forscher hervorheben. Anders als etwa für den Mathematikunterricht zeige sich, dass eine „geringe Klassengröße für kommunikationsintensiven fremdsprachlichen Unterricht eine ernstzunehmende, förderliche Bedingung ist“.

Schüler, die mehrsprachig aufgewachsen sind, haben im Englischen einen Leistungsvorsprung von mindestens einem halben Schuljahr gegenüber Schülern mit vergleichbaren kognitiven Fähigkeiten und einem ähnlichen sozialen Hintergrund, für die Deutsch die Muttersprache ist. Auch Schüler, in deren Familien nicht Deutsch gesprochen wird, zeigten im Englischunterricht „vergleichsweise gute Leistungen“.

Ein günstigeres Licht als die Pisa-Studie wirft Desi auf die Lesekompetenzen in deutscher Sprache. „Nahezu alle Schüler erreichten mindestens das unterste Niveau und können sinntragende Elemente identifizieren“, heißt es. Anders als der Pisa-Test, der sich beim Lesen stark auf Alltagsanforderungen bezogen habe, sei mit Desi das Verständnis literarischer und sachbezogener Texte aus dem Unterricht geprüft worden. Zwei Drittel seien am Ende der 9. Jahrgangsstufe in der Lage, „einen Brief inhaltlich, sprachlich und formal so zu gestalten, dass sie sich problemlos mit ihrem Anliegen verständlich machen können.“ Sie schrieben „weitgehend schlüssig“, verwendeteten „angemessen komplexe Satzkonstruktionen“ und beachteten „die wichtigsten orthographischen Regeln“.

Mädchen sind der Studie zufolge Jungen sprachlich weit überlegen, besonders im schriftlichen Ausdruck. Allerdings sind im Englischen die Jungen bei der Aussprache und der Sprechflüssigkeit den Mädchen voraus.

Die Desi-Studie gibt eine Reihe von Hinweisen für einen verbesserten Unterricht. So zeige sich, dass in Gruppen, in denen viele Schüler berichten, nicht mehr mitzukommen, sowohl die Motivations- als auch die Kompetenzentwicklung ungünstiger ausfalle. Weiterhin zeige sich, dass die bloße Vielfalt der verwendeten Methoden und Textsorten keinen positiven Einfluss auf den Kompetenzzuwachs binnen eines Schuljahres habe.

Bedeutsam hingegen sei, ob die Schüler den Eindruck hätten, dass ihren Lehrern sprachliche Kompetenzen wichtig sind: „Klassen, deren Schüler berichten, Rechtschreibung, grammatisch richtiges Schreiben und andere sprachbezogene Fähigkeiten seien im Unterricht sehr wichtig, haben schon zu Beginn des Schuljahres im Desi-Test bessere Ergebnisse und steigern ihre Kompetenzen – auch im Lesen – im Verlauf des Jahres stärker als andere Klassen.“ Gerade Schüler mit nicht-deutscher Erstsprache profitierten von „klaren Anforderungen im sprachlichen Bereich“, schreiben die Forscher und plädieren „für einen sprachbewussten Unterricht“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false