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Gesundheit: Prähistorisches Fort Knox

Eine Siedlung auf dem Sinai soll die Zivilisation der alten Ägypter stark beeinflusst haben, sagen deutsche Forscher

War die altägyptische Hochkultur eine Kopfgeburt, so wie Athena aus dem Haupt ihres göttlichen Vaters Zeus entspross? Oder bekam die Nil-Zivilisation Hebammenhilfe von außen? Solch kleine Ketzereien sehen die Ägypter und ihre Wesire, die Ägyptologen, nicht gern. Wer die Einmaligkeit der altägyptischen Kultur hinterfragt, darf mit scharfem Gegenwind rechnen. Wer gar bezweifelt, dass die ägyptische Hochkultur allein aus sich selbst heraus entstanden ist, dem droht der Fluch des Pharaos: An der Jungfernzeugung ihrer Zivilisation lassen die Ägypter so wenig rütteln wie die Chinesen an der ihren.

Dennoch mehren sich die Hinweise, dass auch die ägyptische Entwicklung entscheidende Einflüsse von außen aufgenommen und verarbeitet hat. Die zivilisatorischen Importe im Süden, etwa die Keramikherstellung aus dem heutigen Sudan, sind durch die Forschung der letzten Jahrzehnte gut belegt. Im ägyptischen Norden kann die Archäologie bislang allerdings wenig beisteuern. Die Kontakte des Nildeltas mit dem Vorderen Orient zwischen dem 8. und 5. Jahrtausend vor Christus, also lange vor der Staatwerdung, sind zwar bekannt. Was aber tat sich unmittelbar vor dem zivilisatorischen Sonnenaufgang im 4. Jahrtausend im Nildelta?

Eine Teilantwort kommt aus einer Nachbarregion, von der Südspitze des Sinai. Dort graben Klaus Schmidt und Ricardo Eichmann von der Orientabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts seit 2002 eine Siedlung, Tall Hujayrat al Ghuzlan, aus, die enge Beziehungen zum ganz frühen Altägypten hatte: Aus dieser Region bei Aqaba kam das heißbegehrte Kupfer in die aufstrebenden Siedlungen des Nildeltas im 4. Jahrtausend. Die heute jordanische Gegend, nahe dem bekannten Wadi Rum, weist Menschenspuren von der Altsteinzeit bis zur Erstürmung Aqabas durch die Truppen unter Lawrence von Arabien 1917 auf. Der Siedlungshügel Tall Hujayrat al Ghuzlan selbst kann bis 4100 v. Chr. zurückverfolgt werden. Sechs Jahrhunderte pulsierte hier prähistorisch-industrielles Leben. Um 3500 v. Chr. wurde der „Ort der Gazellen“ von einem Erdbeben zerstört.

„Viele Mauern sind dabei eingestürzt, manche aber stehen noch bis zu vier Meter, mit Fenstern und Säulen“, schwärmt Grabungsleiter Schmidt. Die Siedlung wurde unbewohnbar und verlassen, aber nicht, wie sonst so oft, überbaut. Dadurch können die Archäologen die komplexe Struktur der Gebäude gut erkennen: „Das waren keine Hütten, sondern mindestens zwei-, eventuell mehrstöckige Häuser aus Lehmziegeln, wie man sie aus dem südarabischen Raum kennt,“ beschreibt Schmidt die Ruinenstätte. Wohnbereiche lassen sich klar unterscheiden von Depoträumen, in denen verkohltes Getreide und Flachs gefunden wurden.

Das erst in den letzten Kampagnen entdeckte ausgeklügelte System von Wasserleitungen außerhalb der Siedlung kann zu einer archäologischen Sensation werden. Noch steht die naturwissenschaftlich abgesicherte Datierung dazu aus, aber Klaus Schmidt ist sich sicher: „Auch da landen wir im 4. Jahrtausend.“ Damit wäre die künstliche Bewässerung in der Gegend von Aqaba früher bekannt gewesen und eingesetzt worden als in Ägypten.

Der aufregendste Fund aber waren die Werkstätten der Siedlung. Zahlreiche Spinnwirteln deuten auf eine rege, nicht nur häusliche Textilherstellung. Die vielen Bruchstücke von Armringen aus der Tridacna-Muschel, die nur im Roten Meer vorkommt, signalisieren eine Schmuckproduktion, die weit über den Eigenbedarf hinausging. Auch die raffiniert zugeschlagenen Feuersteingeräte, deren Rohmaterial aus dem nördlichen Hochland Jordaniens stammte, waren für den Handel bestimmt – und das alles vor 6000 Jahren.

Den schlagendsten Beweis aber, dass Tall Hujayrat al Ghuzlan ein überregionales „Industriezentrum“ war, lieferten die teilweise noch vollständig erhaltenen Gussformen für Kupferbarren. Kupfer war in der – Chalkolithikum genannten – Übergangsperiode von der Stein- zur Kupferzeit überaus wertvoll, konnte man dem Metall doch so viel mehr Formen abgewinnen als Stein – Kupfer war zunächst einmal Luxus pur. Wer Kupfer bergmännisch abbauen und dann auch noch verhütten konnte, saß in einem prähistorischen Fort Knox. Die Kupferbergwerke von Tall Hujayrat al Ghuzlan lagen quasi in Sichtweite in Timna (heute in Israel). Die Gussformen zeugen von der Verhüttung im Ort der Gazellen und die – mit den „jordanischen“ Gussformen identischen – Kupfer-Rohbarren in Maadi belegen den Export ins Ägypten des frühen 4. Jahrtausends.

Maadi – die Ur-Ur-Keimzelle Kairos und heute unter dem Moloch verschwunden – ist eine der wenigen bekannten Großsiedlungen im Nildelta vor dem Zusammenschluss von Ober- und Unterägypten zum Pharaonenreich. In der ausgedehnten Ansiedlung wurden große Kupferdepots gefunden, die nur durch organisierte Handelsexpeditionen gefüllt werden konnten. Zahlreiche Eselskelette und Tonmodelle von Ruderschiffen in Maadi geben Hinweise auf die Transportwege und -mittel.

Dies und die neuen Funde aus der Wüste des Sinai zeigen, woher der begehrte Rohstoff kam: Über ein halbes Jahrtausend vor der Reichseinigung um 3000 v. Chr. gab es einen regen Handel und Kulturaustausch zwischen vorderasiatisch-arabischen Gruppen und der aufkommenden ägyptischen Hochkultur. Dabei hatten die Nicht-Ägypter die Nase vorn, denn sie hatten ein doppeltes Monopol: Sie wussten, wie man aus unansehnlichem Erz glänzendes Metall gewinnt. Und sie exportierten den Stoff, mit dem die kulturrevolutionären Metallzeiten begannen.

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