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Professor Tsokos ermittelt: Unter einem Dach mit dem Täter

Der Leiter der Berliner Rechtsmedizin über häusliche Gewalt, Hilfe für Opfer und die richtige Beweissicherung.

Über prügelnde Ehepartner wurde lange nicht offen gesprochen, mittlerweile ist häusliche Gewalt kein Tabuthema mehr. Die Übergriffe verüben meist Männer. Selten werden auch Frauen gewalttätig. Oft schämen sich die Opfer, wollen nicht, dass die Taten bekannt werden. Hinzu kommt, dass sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Täter stehen. Sie können nicht einfach ihre Sachen packen und gehen, schließlich brauchen sie ein Dach überm Kopf. Gründe, weshalb viele keine Anzeige erstatten.

Die Menschen, die wir untersuchen, mussten meist erst dazu überredet werden. Viele haben einen langen Leidensweg hinter sich. Deshalb wollen wir in Berlin eine Gewaltopferambulanz einführen. In Hamburg können sich Opfer bereits rechtsmedizinisch untersuchen und ihre Verletzungen dokumentieren lassen, ohne die Polizei einschalten zu müssen. Die Protokolle haben noch nach Jahren Beweiskraft vor Gericht. Natürlich ist so eine Gewaltopferambulanz ein zweischneidiges Schwert, denn in der Regel muss die Aufklärung von Verbrechen über die Polizei laufen. Die Erfahrung zeigt aber, dass viele diese Schwelle nicht übertreten wollen. Dabei gibt es seit sechs Jahren das Gewaltschutzgesetz, wonach die Polizei eine „Wegweisung“ des mutmaßlichen Täters aussprechen kann, bis ein Richter-Beschluss ergeht. Er darf die Wohnung dann erstmal nicht betreten.

„Häusliche Gewalt“ meint nach meinem Verständnis auch Gewalt von Eltern gegenüber Kindern und umgekehrt, oder gegen ältere Menschen. Wir sind auch für verletzte Opfer von sexuellen Übergriffen und versuchten Vergewaltigungen zuständig. Die Untersuchung muss schnell geschehen, damit wir Spuren sichern können, und sollte von einem Rechtsmediziner vorgenommen werden, weil der Verletzungen dokumentiert, auf die andere Ärzte weniger achten, wie etwa Würgemale oder Entkleidungsverletzungen an Armen und Beinen.

Anhand von vaginalen, analen und oralen Abstrichen lassen sich Sperma und Speichel nachweisen. Wir dokumentieren auch Form, Größe und Tiefe von Hautabschürfungen oder halbmondförmige Einkerbungen, die von Fingernägeln stammen können. Hämatome an der Oberschenkel-Innenseite weisen auf eine Vergewaltigung hin. Hautrötungen am Hals können Knutschflecken, eine Allergie oder Folge eines Angriffs sein. All das sind entscheidende Befunde vor Gericht. Wurden sie undifferenziert notiert, hat das Opfer später im Prozess das Nachsehen.

Michael Tsokos

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