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Gesundheit: Quastenflosser: Der Urfisch und seine entfernten Verwandten

Quastenflosser waren schon immer gut für wahrhaft abenteuerliche Entdeckungsgeschichten. Einst angeblich zusammen mit den Dinosauriern und vielen anderen Organismen am Ende des Erdmittelalters dahingerafft, kannte man diese Fische lange nur aus Versteinerungen.

Quastenflosser waren schon immer gut für wahrhaft abenteuerliche Entdeckungsgeschichten. Einst angeblich zusammen mit den Dinosauriern und vielen anderen Organismen am Ende des Erdmittelalters dahingerafft, kannte man diese Fische lange nur aus Versteinerungen. Bis dann im Dezember 1938 Fischer das erste Exemplar einer Latimeria chalumnae aus der Tiefe vor der afrikanischen Küste ans Licht zogen. Ichthyologen beschrieben den Quastenflosser als "Urfisch", als lebendes Fossil, das die Zeit offenbar vergessen hatte - und als unseren nächsten Verwandten im Meer!

Im Herbst 1998 ließ ein Zufallsfund im indonesischen Sulawesi Evolutionsbiologen aufhorchen. Offenbar leben die urtümlich anmutenden Fische, knapp 1,20 Meter lang und rund 30 Kilogramm schwer, nicht nur vor der Küste Ostafrikas. Einmal mehr hat sich das angebliche Opfer der Evolution als Überlebenskünstler entpuppt - vorläufig jedenfalls. Denn Schätzungen zufolge umfassen die Bestände der Latimeria vor den Komoren nicht mehr als 500 Tiere. Diese Fische gelten auch deshalb als sehr gefährdet, weil Quastenflosser lebende Junge zur Welt bringen. Anders als die meisten eierlegenden Fische pflanzen sie sich sehr langsam fort.

So ist der weit abseits des bisher bekannten Vorkommens gemachte Fund vor Sulawesi in mehrfacher Hinsicht aufregend. Er lässt hoffen, dass Quastenflosser auch in anderen Regionen vorkommen. Und er birgt zugleich Stoff für ein neues Kapitel der Naturgeschichte.

Vorangegangen war eine spannende Entdeckungsgeschichte, an der vor allem der amerikanische Meeresbiologe Mark Erdmann beteiligt war, damals Doktorand an der Universität in Berkeley in den USA. Ihm war bereits im September 1997 auf dem Fischmarkt der Hafenstadt Manado am Nordzipfel von Sulawesi ein großer, fremdartiger Fisch aufgefallen, den er zwar sogleich als Quastenflosser identifizierte. Erdmann machte einige Fotos, dann wurde der Fisch unglücklicherweise verkauft. So fahndete er bei den Fischern der umliegenden Dorfer nach der mysteriösen Latimeria. Dabei stellte sich heraus: Den Fischern von Sulawesi war der Quastenflosser kein Unbekannter. Sie hatten sogar einen hübschen Namen fur ihn: raja laut - der "Konig des Meeres".

Über die ökologischen Ansprüche der indonesischen Quastenflosser wusste man anfangs allerdings kaum etwas. Es wurde lediglich vermutet, dass sie - ganz ähnlich wie ihre Verwandten vor den Komoren - in Unterwasserhöhlen und Felsspalten der Vulkanhänge auf Beutejagd gehen.

Der deutsche Verhaltensforscher Hans Fricke machte sich mit seinem bereits auf Quastenflosserjagd erprobten Tauchboot "Jago" auf, um die Tiere vor Sulawesi zu filmen. Die ersten Tauchgänge blieben ohne Erfolg. Fricke änderte daraufhin seine Strategie und weitete die Suche aus. Kürzlich fand er bei der erneuten Suche - gleich jener sprichwörtlichen nach der Stecknadel im Heuhaufen - in dem riesigen und tiefen Meeresgebiet vor der Nordküste Sulawesis tatsächlich zwei lebende Latimeria.

Die Tiere waren in einer großen Höhle unterwegs, bei einer Wassertemperatur von immerhin noch zwischen 18 und 20 Grad Celsius. Nicht nur in dieser Hinsicht zeigen die ökologischen und ozeanographischen Bedingungen, unter denen die beiden jetzt bekannten Bestände der Latimeria leben, Differenzen auf. Während der Lebensraum vor den Komoren in den Steilabhängen der jungen unterseeischen Vulkane mit ihren zahlreichen Lavahöhlen liegt, sind die Hänge der indonesischen Insel weniger steil, aber deutlich älter und erodierter, so dass es kaum Höhlen gibt. Zudem herrschen dort ausgesprochen starke Strömungen.

Diese Unterschiede könnten wichtig sein, meint Hans Fricke. Denn vor den Komoren leben die dortigen Quastenflosser als recht langsame Driftjäger, die des nachts mit der Strömung auf Jagd nach anderen Fischen und Krebsen gehen, um sich tagsüber in den Schutz der Höhlen zurückzuziehen. Doch vielleicht stammen die Tiere auch aus einer anderen Meeresregion und wurden von dort mit den Meeresströmungen nach Sulawesi verdriftet. Aufgrund der vor Sulawesi vorherrschenden Strömungen könnten sie aus der Region der südlichen Philippinen gekommen sein, etwa von der Insel Mindanao oder sogar von weiter her im Pazifik.

Ein bis heute unbekanntes Vorkommen irgendwo in den Weiten des Pazifischen Ozeans ist vermutlich der beste Schutz für diesen bedrohten Fisch. Für Fricke steht nach den vier bekannten Latimeria-Funden vor Sulawesi fest, dass deren Population ebenfalls sehr klein sein dürfte - und daher strengen Schutz braucht, den aber angesichts der Unruhen und politischen Bedingungen im Vielvölkerstaat Indonesien kaum jemand garantieren kann.

Der Fund der indonesischen Quastenflosser hatte sogleich auch Molekulargenetiker auf den Plan gerufen. Mit Hilfe eines Vergleichs der Erbsubstanz sollte ausgeschlossen werden, dass es sich bei den Tieren vor Sulawesi nur um sehr weit vom Wege abgekommene Vertreter der Latimeria von den Komoren handelt. Je geringer die genetischen Unterschiede sind, desto wahrscheinlicher wäre es, dass sich das Vorkommen lebender Quastenflosser tatsächlich über weite Regionen im Indischen Ozean erstreckt.

Gleich mehrere Forschergruppen gingen ins Rennen, das der französische Forscher Laurent Pouyard für sich entschieden hat. Er veröffentlichte die erste Sequenz aus dem Erbgut der Sulawesi-Tiere, die er dabei zu einer neuen Art - Latimeria menadoensis - erklärte. Demnach unterscheidet sich die Erbsubstanz der getrennten Populationen des Quastenflossers in etwa vier Prozent. Daraus errechneten die Forscher, dass die Tiere von Sulawesi sich von denen der Komoren vor rund 1,8 bis 11 Millionen Jahren getrennt haben könnten.

Forscher wie Hans Fricke dagegen meinen aufgrund ihrer eigenen genetischen Studien, dass es sich bei den Tieren von Sulawesi um eine recht junge Population handelt, die kaum mehr als 100 000 Jahre alt ist. Einmal mehr zeigt sich hier, wie wenig wir noch über die Naturgeschichte wissen. Erst recht, wenn es um das Leben im Meer geht.

Matthias Glaubrecht

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