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Gesundheit: Quelle der Alleskönner

Stammzellen gelten als medizinische Wunderkinder – jetzt glauben deutsche Forscher, ihr Potenzial nutzen zu können

Für einige gehören sie zu den größten Hoffnungsträgern der modernen Medizin: Stammzellen. Die „Wunderkinder“ sind eine Art von Urzellen, die sich in jeden Gewebetypus verwandeln lassen. Ist die Leber geschädigt, könnte man Stammzellen nehmen, sie in Leberzellen verwandeln – und diese als Therapeutikum benutzen. Stammzellen gibt es in zwei Formen: die embryonalen und die adulten. Die embryonalen haben den Vorteil, dass sie äußerst wandlungsfähig sind und sich in alle möglichen Zelltypen entwickeln können. Der Nachteil ist: Um diese Zellen zu gewinnen, muss man einen Embryo zerstören. Aber auch jeder erwachsene Mensch verfügt über einen kleinen Vorrat an Urzellen: die adulten Stammzellen. Die erwachsenen Wunderkinder haben allerdings den Nachteil, dass sie sich nicht ganz so gut in jeden Zelltyp verwandeln wie ihre embryonalen Brüder. Außerdem sind sie äußerst selten, und sie lassen sich nur sehr schwer isolieren.

Lübecker Forscher unter Leitung des Stammzellforschers Charli Kruse glauben nun, einen Weg gefunden zu haben, diese Probleme zu überwinden. Sie haben eine ergiebige Stammzellquelle in der Bauchspeicheldrüse von Menschen und Ratten gefunden, wie sie in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift „Applied Physics“ berichten. Die adulten Stammzellen lassen sich demnach nicht nur relativ leicht gewinnen. Sie sind auch äußerst wandlungsfähig. So gelang es den Forschern, aus den Stammzellen Drüsen-, Leber-, Knorpel-, Muskel-, Nerven- und Hautzellen zu entwickeln. „Mit den neuen Erkenntnissen haben wir sehr gute Chancen, die ethischen Probleme, die sich durch die Verwendung embryonaler Stammzellen ergeben, zu umgehen“, sagte der Rektor der Universität Lübeck, Alfred Trautwein, letzte Woche auf einer Pressekonferenz in Berlin, wo die Forscher die Studie vorstellten.

Besonders spektakulär erscheint der Befund, dass man die Stammzellen auch aus einem 74-jährigen Patienten gewinnen konnte. Sollte man diese Zellen tatsächlich „therapeutisch nutzbar machen können, so wäre dies ein großer Durchbruch in der Stammzellforschung“, sagte Hans Schöler, Direktor am Max-Planck- Institut für molekulare Biomedizin in Münster. „Man ist der Vision, von jedem Menschen ein Stammzelldepot ausreichender Größe für spätere Behandlungen anlegen zu können, einen großen Schritt näher gekommen“, so die Forscher. Der Vorteil eines solchen Depots wäre, dass man bei einem Organschaden auf Transplantationsmaterial zurückgreifen könnte, ohne eine Abstoßungsreaktion befürchten zu müssen: Schließlich handelt es sich bei den Ersatzzellen um körpereigenes Gewebe.

Und doch besteht kein Grund zur Euphorie. Wiederholt gab es Berichte über die Wunderleistung adulter Stammzellen, die im Nachhinein relativiert werden mussten. „Es lohnt sich sicher, die Ergebnisse weiterzuverfolgen“, kommentiert der Stammzellforscher Jürgen Hescheler der Universität Köln. „Aber so lange die Versuche nicht bestätigt werden, bleibe ich skeptisch.“ Außerdem wurde die Lübecker Studie nicht in einem der renommierten Fachmagazine publiziert, sondern in einem Online-Journal, das sich vor allem durch Schnelligkeit auszeichnet. Eine genaue Überprüfung der Befunde muss noch stattfinden. Bis dahin bleibt das wahre Potenzial der vermeintlichen Wunderkinder offen.

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