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Rechtsmedizin: Von Toten fürs Leben lernen

Michael Tsokos leitet die Berliner Rechtsmedizin. Für den Tagesspiegel schreibt er über aktuelle Fälle und seine tägliche Arbeit

Schauen Sie gerne Fernsehserien wie „CSI“ oder „Post Mortem“? Warten Sie beim „Tatort“ auch immer auf diesen verschrobenen Wissenschaftler, der dem Kommissar mit Fakten über Ort, Art und Zeitpunkt eines Mordes die entscheidenden Hinweise für die Aufklärung des Falles liefert? Dann vergessen Sie am besten gleich alles, was Sie aus diesen Serien über Rechtsmediziner zu wissen glauben. Natürlich sind diese Krimis spannend, unterhaltsam, vielleicht sogar ein bisschen gruselig. Sie stellen die Arbeit unseres Berufsstandes aber oft nur unzureichend, meist sogar ziemlich realitätsfern dar.

Vielleicht wollen Sie sich Ihre Illusionen nicht kaputt machen lassen. Dann sollten Sie jetzt besser nicht weiterlesen. In den Räumen des Berliner Landesinstituts für gerichtliche und soziale Medizin an der Turmstraße in Moabit hören wir weder laut Popmusik oder Klassik, noch diskutieren wir über dem Seziertisch Beziehungsprobleme. Was auf dem Bildschirm cool wirken mag, wäre in der Realität unpraktikabel. Der Sektionssaal ist nämlich kein Ort, an dem Tote zur Ruhe kommen: Da wird gesägt, geschnitten und gefräst, und die Ergebnisse unserer Untersuchungen halten wir nach jedem Arbeitsschritt auf dem Diktiergerät fest. Privatgespräche würden dabei nur stören.

Etwa 2000 Obduktionen führen unsere Mitarbeiter des Landesinstituts und der Rechtsmedizin der Charité im Jahr durch. Damit helfen wir der Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei, Verbrechen aufzuklären: Wir dokumentieren Verletzungen und bestimmen ihre Ursachen. Zwar machen Obduktionen den Großteil unserer Tätigkeit aus, wir haben aber auch sehr oft mit lebenden Personen zu tun – etwa 300 bis 500 mal jährlich. Wir führen Vaterschaftstests durch und untersuchen Blut- und Haarproben auf Alkohol- oder Drogenmissbrauch. Und wir erstellen Gutachten für Gerichtsprozesse, untersuchen mutmaßliche Täter ebenso wie Opfer von Gewaltverbrechen und Misshandlung. Stammen etwa die blauen Flecken eines Kleinkindes tatsächlich von einem Sofasturz? Oder haben vielleicht doch die Eltern Hand angelegt? Fragen wie diese beschäftigen uns leider viel zu oft.

Um Ihnen einen Eindruck zu vermitteln, was außer Leichenöffnungen noch zum Alltag der Rechtsmedizin gehört, werde ich Ihnen künftig in einer Kolumne auf dieser Seite etwa einmal im Monat Einblicke in die Berliner Institute für Rechtsmedizin gewähren – oder immer dann, wenn ein spannender Fall uns in Berlin beschäftigt. Die Ergebnisse unserer Arbeit erklären die Funktionsweise des menschlichen Körpers, ermöglichen Rückschlüsse auf dessen Gesundheit. Zudem dokumentieren unsere Fälle gesellschaftliche Probleme. All das kann – so wie im Fernsehen – spannend, unterhaltsam und ein bisschen gruselig sein.

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