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Gesundheit: Römer in Deutschland: Deutsch zu sein bedarf es wenig - Wie Hermann der Cherusker zum Nationalhelden wurde

Nationale Mythen und Symbole sind der Kitt, der das geistige Konstrukt "Nation" zusammenhält. In ihnen scheint sie beinahe greifbar zu werden.

Nationale Mythen und Symbole sind der Kitt, der das geistige Konstrukt "Nation" zusammenhält. In ihnen scheint sie beinahe greifbar zu werden. Im Grunde aber bleibt "die Nation" eine bloße Idee, die vor allem auf der Übereinkunft der Menschen beruht, einer solchen anzugehören.

Um diese Übereinkunft herzustellen und zu erhalten, ist die Erfindung einer gemeinsamen Geschichte unerlässlich. In diesem Prozess kommt den Symbolen der Nation eine entscheidende Funktion zu. Wenn der Rhein vor allem als deutscher Fluss gesehen wird, Luther als deutscher Reformator, Karl der Große als deutscher Kaiser oder eben die Varusschlacht als deutscher Befreiungskampf, so dient dies der Vergewisserung der Zeitgenossen, Deutsche zu sein.

Der Sieger über den Römer Varus, Arminius, ist einer der ältesten Helden der Deutschen. Seit 125 Jahren steht er auf der Grotenburg und schaut mit ernster Miene über die Hügel des Teutoburger Waldes. Arminius, in deutschen Landen besser bekannt als Hermann der Cherusker, der berühmt wurde, weil er drei römische Legionen in einen Hinterhalt lockte und vernichtete.

Der Dank der Zeitgenossen hielt sich in Grenzen, der Sieger der Varusschlacht wurde von den eigenen Leuten erschlagen. Dafür würdigten ihn die Deutschen des 19. Jahrhunderts um so mehr. Und weil es damals üblich war, mit Denkmälern die Einheit, Freiheit und Größe der Nation zu beschwören, bekam auch der Cherusker seine monumentale Plastik. 1838 wurde der Grundstein gelegt, drei Jahre später das erste Fest am noch gar nicht existierenden Denkmal gefeiert. Danach aber geriet der Bau ins Stocken. Erst mit der Reichsgründung kam wieder Schwung in die Arbeit, so dass 1875 die "Übergabe des Hermannsdenkmals an das deutsche Volk" gefeiert wurde. Kaiser Wilhelm I. war persönlich da, und ließ sich als "Arminius Wilhelmus" bejubeln.

Noch 1909 feierte man die 1900-Jahrfeier der Varusschlacht, aber große Feste am Denkmal waren danach selten. Es wurde mehr und mehr von einer nationalen Symbolfigur zur touristischen Attraktion. Auch die Nationalsozialisten nutzten, trotz aller Germanenbegeisterung, den Cherusker nur selten für ihre Propaganda, schon aus Rücksicht auf den Verbündeten in Rom. Schließlich war der "Duce" Mussolini ein glühender Verehrer des antiken Imperiums und träumte von seiner Restauration. Nach 1945 gab es zwar Versuche, den "Einiger der germanischen Stämme" gegen die Teilung Deutschlands zu mobilisieren, aber auch das blieb wenig erfolgreich.

Arminius war wie keine andere historische Figur geeignet, zwischen 1815 und Reichsgründung zum zentralen Nationalmythos der Deutschen zu werden. In Schriften, Gedichten, Liedern, Schulbüchern, Theaterstücken und Opern wurde er als Garant der Einheit, als Monarch und Bürger, Krieger und Familienvater immer wieder neu interpretiert. Auf dem Höhepunkt seiner bisherigen "Karriere", bauten sie ihm dann dieses Denkmal und taten ihm das Furchtbarste an, was man einem Mythos antun kann. Er wurde in einer seiner vielen Erscheinungsformen verewigt, erstarrt in der Pose des einigenden Monarchen.

Der Einiger aber wurde bald nicht mehr gebraucht, das einige Deutschland existierte ja nun. Und der schwerfällige Riese auf der Grotenburg passte nicht mehr in die Zeit. Und so steht er da, befremdlich wirkend, ein kolossaler Mythos einer vergangenen Zeit, über dessen Tod auch die Blaskapellen der Festwoche nicht hinwegtäuschen können. Er wird auch nicht als "Symbol und Mahnung für Freiheit und Frieden" auferstehen, wie es sich die Hermannsdenkmal-Stiftung wünscht. Dafür hält er sein Schwert zu hoch und zu deutlich gen Westen. Die Touristen werden weiter kommen, auch wenn die Schlacht gar nicht im Teutoburger Wald stattgefunden hat, sondern im knapp 50 Kilometer entfernten Kalkriese. Seine Bedeutung aber hat er längst verloren.

Werner Doyé

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