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Gesundheit: Rückentraining mit der Bierkiste

Sportwissenschaftler sammeln immer mehr Erkenntnisse darüber, wem Liegestütze und andere Bewegungen gut tun – und wem nicht

„Ich merke, ich werde langsam steifer. Ich muss etwas tun.“ Solche Klagen hört der Sportwissenschaftler Volkmar Feldt im Sport-Gesundheitspark Berlin öfter. In diesem Fall kam sie von einem 84-jährigen Trainingsteilnehmer. Feldt freut sich über die älteren Jahrgänge, die zum Training kommen. Und das nicht zuletzt wegen des Erkenntnisgewinns, den seine Disziplin den beweglichen Senioren verdankt: „Der Alterssport gebiert enorme wissenschaftliche Erfahrungen."

Zum Beispiel, dass beileibe nicht alles gesund ist, was als gesund gilt. Der altbekannte „Liegestütz“ etwa ist eine Übung, die Bizeps und Trizeps, die beiden „Bodybuilder“-Oberarmmuskeln, trainieren soll. Wenn aber die Kraft des Rumpfs nicht ausreicht, um die gerade Körperhaltung dabei durchzuhalten, dann sackt der Rücken ein, der Übende geht ins Hohlkreuz. Im Sportgesundheitspark wurde untersucht, wie oft Untrainierte mittleren Alters die Übung ausführen konnten. Immerhin die Hälfte der Versuchspersonen schaffte keinen einzigen korrekten Liegestütz. „Für den Gesundheitssport in Gruppen ist diese Übung also ungeeignet", folgert Feldt.

Gewichtige Getränke

Inzwischen liegen immer mehr Erkenntnisse darüber vor, welche Sportarten, welche Haltungen und Bewegungsabläufe die Wirbelsäule besonders belasten und deshalb bei Untrainierten oder einschlägig Vorbelasteten die Bandscheiben gefährden. So wurde in einer biometrischen Studie mit flexiblen, dünnen „Druckaufnehmern“, die in die Bandscheiben von Versuchspersonen eingeführt wurden und an ihrer Spitze einen Sensor hatten, der Druck bei verschiedenen Alltagsaktivitäten gemessen: vom Liegen, Sitzen und Stehen über das Trampolinspringen bis zum Getränkekisten-Heben. Erwartungsgemäß stellte sich dabei heraus, dass Bierkisten die größte Herausforderung darstellen. Das spricht jedoch keineswegs dagegen, sie nach oben zu tragen. Der Getränketransport sollte nur nicht das einzige Rückentraining sein.

Übungen, die Bauch- und Rückenmuskeln kräftigen, empfehlen sich als flankierende Maßnahme. Der klassische Frühsport zu Hause ist keine schlechte Möglichkeit, das eigene Körpergewicht für ein solches einfaches Krafttraining zu nutzen. Nur sollte man Übungen meiden, die Wirbelsäule und Gelenke überlasten, selbst wenn sie Jahrzehnte lang zum Drill in Kasernen und Turnhallen gehörten (siehe Grafik).

Die individuellen Unterschiede bezüglich Kraft, Beweglichkeit und Koordinationsfähigkeit sind groß. Mit zunehmendem Alter driften sie noch mehr auseinander, weil viele dann jahrelang überhaupt keinen Sport getrieben haben, während andere um so eifriger trainieren. „Vor einem Neu- oder Wiedereinstieg nach langer Pause sollte eine sportmedizinische Untersuchung und eine saubere Muskelfunktionsdiagnostik stehen", folgert Feldt.

Wichtig ist dabei nicht zuletzt, dass die Neuankömmlinge mit den Sportmedizinern über schon vorhandene Beschwerden sprechen. Und das keineswegs, um, wie seinerzeit in der Schule, eine Befreiung vom Sportunterricht zu erreichen. Im Gegenteil: Rückenfreundlich ist es, die Kraft der Rücken- und der Bauchmuskulatur gezielt zu stärken, statt sich zu schonen. „Krafttraining bei Beschwerden wird heute immer wirkungsvoller“, verspricht der Sportwissenschaftler.

Wie sinnvoll ist Stretching?

Und wie ist es mit dem Dehnen der Muskeln, etwa nach dem Frühsport oder nach Übungen mit Gewichten im Sportstudio? Medienberichte über eine Studie im „British Medical Journal“ hatten im letzten Sommer für Aufsehen gesorgt. Stretching, so der pauschale Tenor, sei nach neuesten Erkenntnissen nicht mehr sinnvoll. Tatsächlich hatte die Analyse nur ergeben, dass das Dehnen das Verletzungsrisiko in bestimmten Fällen nicht vermindert. „Dehnen sollte man die Muskeln aber auch, um das Verhältnis zwischen Kraft und Beweglichkeit ausgeglichen zu erhalten", sagt Feldt. Nach intensiven Belastungen droht sonst eine Verkürzung der Muskeln. Zur Verkürzung neigen zum Beispiel die Muskeln an Wade, Brust und Knie, aber auch der Hüftgelenkbeuger.

Beweglichkeit steht und fällt mit deren Dehnfähigkeit. „Im Gesundheitssport muss das Verhältnis zwischen Kräftigung und Dehnung der Muskulatur stimmen. Der Schwerpunkt des Trainingsprogramms muss je nach den individuellen Voraussetzungen verschieden ausfallen", sagt Feldt.

Solche Erkenntnisse verdanken Sportwissenschaftler heute auch dem Profisport, vor allem, was Überlastungen und Verletzungsfolgen betrifft. „Was für diese Leute gilt, kann für die anderen nicht falsch sein.“ Die Erkenntnisse aus dem Hochleistungssektor fließen in die Ausbildung von Fitnesstrainern und Sportlehrern ein. Und sie können sogar die häusliche Gymnastik verbessern.

Adelheid Müller-Lissner

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