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Gesundheit: Schmerz, lass nach

Vier Berliner Kliniken stellen ihren Patienten besonders wenig Beschwerden in Aussicht – und können dafür sogar ein Zertifikat vorweisen

Ist es jetzt das sechste oder das siebte Mal, dass sein Knie operiert wird? Larsen Buchmann ist sich nicht ganz sicher. Sicher ist aber, dass sein Knie der Körperteil ist, an den er zuerst denkt, wenn das Wort Schmerz fällt. Und dass er nun an einem Ort operiert werden soll, der mit großen Versprechungen aufwartet: Die Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Berliner Martin-Luther-Krankenhauses darf sich, wie die anderen operativen Abteilungen des Hauses, seit Ende letzten Jahres „Schmerzfreie Klinik“ nennen. Sie hat nach strenger Prüfung ein Zertifikat des TÜV Rheinland erhalten. Dem Kniepatienten Buchmann kommt das fast paradox vor: Ausgerechnet ein Krankenhaus soll ein Ort sein, an dem Menschen vor Schmerzen sicher wären? „Ich bin gespannt, wie das aussehen wird“ sagt der 45-jährige Gartenbau-Spezialist am Tag vor der Operation.

Seit einem Fußball-Unfall, den er im Jahr 1986 erlitt, ist er zum Experten für Knieschmerzen geworden. Bänderriss, Kniescheibe verletzt. Eine lange Narbe erinnert an die offene Operation, nach der er elf Wochen im Krankenhaus verbrachte. Beim zweiten Mal waren es nur zwei Wochen: Es wurden verschiedene Materialien entfernt. Danach wurde er in Abständen immer wieder wegen Knorpelschäden operiert, das letzte Mal 2008. Vor allem die ersten Operationen waren enorm schmerzhaft: „Ich erinnere mich, wie weh es tat, wenn Pflegekräfte Schläuche aus der Wunde zogen, ohne mit der Wimper zu zucken.“ Die unterschwellige Angst um sein Knie hat den sportlichen Mann durch die Jahre begleitet. Vielleicht hat sie Anfang Februar auch zu einer ungeschickten Bewegung geführt. Jedenfalls ist Buchmann da bei der Arbeit auf einem Blumenbeet ausgerutscht, hat sich das Knie verdreht und das Gefühl gehabt, etwas sei dabei gerissen.

Zwei Tage und eine Kreuzband-Operation später. Buchmann liegt entspannt im Bett. Auf einer Skala von null bis zehn hat er seine Schmerzen mit „zwei bis drei" bewertet. Dreimal am Tag wird er von Pflegekräften nach seinen Beschwerden gefragt. „Die lückenlos Überwachung anhand der Schmerzskala ist wichtig, damit wir individuell und schnell reagieren können“, sagt Operateur Wolf Petersen, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie. Studien haben gezeigt, dass starke Schmerzen nach einer Operation nicht nur auf die Stimmung schlagen, sondern auch die Heilung verzögern und sogar das Immunsystem in Mitleidenschaft ziehen können. Dass die Physiotherapie eingeschränkt wird, wenn Bewegen wehtut, ist ohnehin unmittelbar einsichtig.

Völlige Schmerzfreiheit, wie das Zertifikat sie suggeriert, kann Lutz Hannemann, Chefarzt der Anästhesie und Operativen Intensivmedizin, natürlich nicht versprechen. „Ziel ist, dass die Patienten möglichst wenig Schmerzen haben.“ Um das zu erreichen, steht heute eine ganze Palette von Methoden zur Verfügung. „Wir können inzwischen Schmerzmittel einsetzen, die schnell wirken, gut verträglich sind und schnell wieder abgebaut werden“, sagt Hannemann. Manche Patienten bekommen die Mittel auch über einen Katheter, den sie selbst steuern können. Bei Larsen Buchmann wurde vor der Operation im linken Bein eine Leitungsanästhesie gemacht, deren Wirkung nachher noch eine Weile anhält. Dafür werden kleine Vorräte eines lang wirkenden lokalen Betäubungsmittels in die unmittelbare Umgebung der Austrittstellen von Nerven gespritzt, die Schmerzreize weiterleiten. Um die richtige Stelle zu finden, wird ein sogenannter Nervenstimulator verwendet, der schwache Stromstöße aussendet.

Eine Studie der Fachzeitschrift „Pain“ ergab 2008, dass kaum die Hälfte aller Operierten im Anschluss ausreichende Schmerzbehandlung erhält. Um die Situation zu verbessern, erheben in Deutschland chirurgische Fachgesellschaften und die Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin Daten zur Verbesserung der postoperativen Schmerztherapie. Ein gemeinsamer Arbeitskreis befürwortet zudem, dass Kliniken sich zertifizieren lassen. Das ist inzwischen bei zwei Anbietern möglich, einer davon ist der TÜV Rheinland. Dafür müssen alle Abteilungen, auch die, in denen nicht operiert wird, die Kriterien für eine qualifizierte Schmerztherapie erfüllen. 37 Krankenhäuser in ganz Deutschland haben inzwischen dieses Zertifikat. In Berlin sind außer dem Martin-Luther-Krankenhaus auch das Krankenhaus Bethel, das St.-Gertrauden-Krankenhaus und das St.- Joseph-Krankenhaus Tempelhof „schmerzfreie Kliniken“.

Freund oder Feind? Der Schmerz ist beides. „Er weist auf vitale Bedrohungen hin, aber wir müssen ihn auch in Schach halten“, sagt Hannemann. Bis vor kurzem konzentrierte man sich allerdings auf chronische Schmerzleiden. Inzwischen ist neurobiologisch gut belegt, dass auch akute Schmerzen zur Herausbildung eines Schmerzgedächtnisses führen können. Die Empfindlichkeit schon für geringfügige Schmerzen ist an dieser Stelle des Körpers hoch, besonders für Menschen wie Larsen Buchmann, der mit seinem Knie schon einiges mitgemacht hat. Aber diesmal kann er schon drei Tage nach dem Eingriff die Klinik verlassen – mit einem Rezept für das „schmerzfreie Zuhause“. Wenn alles nach Plan läuft, wird er die Tabletten bald nicht mehr brauchen.

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