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Gesundheit: Schneller Erkennungsdienst

Tollwut, Sars, Krebs: Um diese Krankheiten zu entdecken, braucht man Tests. Eine Chance für wendige Unternehmer

Manchmal kommt ein Teil der Lösung per Bahn. Die kurzen Erbgut-Abschnitte, die kürzlich auf schnellstem Weg per ICE-Kurier von Berlin nach Hamburg transportiert wurden, waren nur so groß wie ein Wassertropfen und passten mit Verpackung locker in einen Briefumschlag. Mit Hilfe der wenig spektakulären Sendung konnte im Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin geklärt werden, dass es sich bei dem tödlichen Erreger, mit dem eine junge Organspenderin in Mainz mehrere Transplantierte angesteckt hatte, um ein vermutlich aus Indien eingeschlepptes Tollwut-Virus handelte. In Deutschland stecken sich nur selten Menschen damit an.

Die Berliner Biotech-Firma „Tib Molbiol“ half bei der Fahndung mit. Sie stellte im Auftrag der Hamburger Tropenmediziner ein kurzes Stück des Erbmoleküls DNS her, dessen Muster dem eines Abschnitts in der Erbinformation des fraglichen Erregers entspricht. Ein solcher „Primer“ oder „Starter“ wird als Starthilfe für einen beispiellosen Vervielfältigungsvorgang gebraucht. Dieser Prozess erst macht es möglich, aus winzigen Mengen DNS folgenschwere Informationen abzuleiten: von der Identifikation von Viren bis zum Ausschluss von Vaterschaften.

Den Vervielfältigungsprozess, die „Polymerase-Kettenreaktion“ (PCR) erfand der US-Chemiker Kary Mullis Mitte der 80er Jahre. Während einer Nachtfahrt auf einer mondbeschienenen Landstraße sei ihm die ebenso geniale wie einfache Idee gekommen, erzählte er gern. Aus einem einzigen Molekül der Erbsubstanz kann man mit dieser empfindlichen biologischen Technik, für die Mullis 1993 den Chemie-Nobelpreis bekam, an einem Nachmittag 100 Milliarden Kopien des gewünschten Abschnitts erzeugen.

Dazu benötigt man außer den DNS-Molekülen hohe Temperaturen, bei denen der DNS-Doppelstrang sich trennt, das Enzym Polymerase, das die chemische Reaktion ermöglicht, und den Primer, der die ganze Maschinerie in Gang setzt. Dieses kurze Stückchen Erbsubstanz ist eine spiegelbildliche Kopie von Anfang und Ende des DNS-Abschnitts von Virus, Mensch, Tier oder Pflanze, das massenhaft kopiert werden soll.

Der Primer haftet sich an die nach dem Erhitzen nunmehr einsträngige DNS-Sequenz und gibt das Startzeichen für dessen Verdoppelung. Jede Kopie ist dabei gewissermaßen das Original für einen erneuten Kopiervorgang. Nach 20 Kopierzyklen sind aus einem DNS-Strang schon eine Million Moleküle gewonnen.

Schon als Doktorand an der Freien Universität erkannte der Biochemiker Olfert Landt, dass sich da eine Marktlücke auftat. Sie ist nicht kleiner geworden, seit er sich 1990 in Berlin-Schöneberg mit einem Start-up-Unternehmen für die molekularbiologischen Starthilfen selbstständig machte, das inzwischen Dependancen im italienischen Genua, im polnischen Posen und in Freehold/USA hat. „Heute verfügen wir über eine umfangreiche Kollektion von Entwürfen für solche Primer, die sich zum guten Teil schon in der Praxis bewährt haben“, sagt Landt. Zum Beispiel können sie helfen, wenn nach Legionellen gefahndet werden soll, dem Erreger der Legionärskrankheit, der sich gern in Warmwasserleitungen vermehrt und deshalb in Schwimmbädern oder Hotels gefürchtet ist.

Auch an der Suche nach dem Erreger der Lungenkrankheit Sars, der im Jahr 2003 dank internationaler Kooperation beispielhaft schnell dingfest gemacht wurde, war Tib Molbiol beteiligt. Damals wurden die Berliner von Christian Drosten vom Bernhard-Nocht-Institut frühzeitig um ihre Mitarbeit gebeten, und sie bekamen auch schnell einen Ausschnitt der Sequenz des Corona-Virus zur Verfügung gestellt, das Sars hervorruft. Es konnte als Positivkontrolle verwendet werden. „Alle Informationen wurden damals sofort ins Internet gestellt, ohne an Patente und Publikationen zu denken“, erzählt Landt. Doch längst nicht alles, was bei der Firma kreiert wird, dient humanmedizinischen Zwecken. Die Polymerase-Kettenreaktion setzt man heute auch ein, um stahlfressenden Bakterien auf die Schliche zu kommen, die Erdölleitungen schädigen, um gentechnisch veränderten Soja in Nahrungsmitteln aufzuspüren oder Tiger im Zoo von Bangkok zu untersuchen, wenn sie an Grippe erkranken.

Die großen Institutionen – obwohl sie sie eigentlich selbst synthetisieren könnten – bestellen die Primer heute meist bei kleinen Herstellern. „Oft muss man dafür schnell sein und auch bereit, Nachtschichten einzulegen“, sagt Landt.

Aber nicht jeden Tag lauert ein unbekannter Erreger, droht eine Epidemie. „In ruhigeren und weniger spektakulären Fällen arbeiten wir kontinuierlich mit Ärzten zusammen.“ Etwa wenn für die Behandlungsplanung bei Patienten mit Blutkrebs individuelle Tests gebraucht werden. Dann wird die PCR genutzt, um zu schauen, ob durch eine Chemotherapie das unkontrollierte Wachstum einer Immunzelllinie gestoppt werden kann. So kann man früh erkennen, ob die Therapie Aussicht auf Erfolg hat – und andernfalls rechtzeitig umstellen. In solchen Fällen ist nicht der ICE-Kurier gefragt, sondern eher das gründliche Fachgespräch.

Adelheid Müller-Lissner

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