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Gesundheit: Schwer zu verdauen

Von Rosemarie Stein Als der Medizinprofessor wieder einmal zur Darmspiegelung ging, ließ er auch gleich seine Speiseröhre untersuchen - für alle Fälle, zumal das bei dieser geraden Röhre, in der Fachsprache Ösophagus genannt, viel einfacher ist als beim Dickdarm. Die Kollegen wurden fündig: An drei Stellen hatte sich die mehrschichtige Auskleidung der Speiseröhre, das Plattenepithel, so verändert, dass sie der Magenschleimhaut ähnelte.

Von Rosemarie Stein

Als der Medizinprofessor wieder einmal zur Darmspiegelung ging, ließ er auch gleich seine Speiseröhre untersuchen - für alle Fälle, zumal das bei dieser geraden Röhre, in der Fachsprache Ösophagus genannt, viel einfacher ist als beim Dickdarm. Die Kollegen wurden fündig: An drei Stellen hatte sich die mehrschichtige Auskleidung der Speiseröhre, das Plattenepithel, so verändert, dass sie der Magenschleimhaut ähnelte.

Da wusste der „Arzt als Patient“ Bescheid: Er hatte einen „Barrett-Ösophagus“ (genannt nach dem 1978 gestorbenen Londoner Chirurgen Norman R. Barrett). Diese Gewebeveränderung ist eine Vorstufe des Barrett-Krebses und entsteht manchmal nach Entzündungen der Speiseröhren-Schleimhaut. Die wiederum können als Folge der Refluxkrankheit auftreten, bei der es zu einem Rückfluss von Mageninhalt oder Aufsteigen von Magensäure in die Speiseröhre kommt.

Stark steigende Zahl von Fällen

Der Bayreuther Pathologe Manfred Stolte, Spezialist für Untersuchungen von Gewebeproben aus dem Verdauungstrakt, berichtete auf dem Chirurgenkongress in Berlin freimütig, wie er die Proben aus seiner eigenen Speiseröhre unters Mikroskop nahm und wie er dann die verdächtigen Schleimhautstellen durch einen kleinen endoskopischen Eingriff entfernen ließ. Das Barrett-Karzinom gehört zu den Schwerpunktthemen des heute zu Ende gehenden Kongresses. Denn es ist „der am stärksten zunehmende Krebs in der westlichen Welt“, sagte Kongresspräsident Rüdiger Siewert (TU München), zu dessen Spezialgebieten der Speiseröhrenkrebs gehört. Sogar von einer „neuen Epidemie“ war die Rede.

Das klingt bedrohlich. Was da vor der Presse gesagt wurde, um die Öffentlichkeit zur Wachsamkeit aufzurufen, wurde aber in den Kongressvorträgen relativiert. Die Barrett-Krebsfälle hätten sich zwar in den letzten zwanzig Jahren vervierfacht, mit jährlich etwa Tausend Neuerkrankten in Deutschland sei diese Krebsform jedoch noch immer recht selten, sagte der Charité-Epidemiologe Stefan Willich. Er hält die Aufregung über die Zunahme deshalb für „überzogen“. Für den Anstieg stellte er verschiedene mögliche Ursachen zur Debatte:

Eine bessere Diagnostik - vielleicht hielt man dieses „Adenokarzinom“ der unteren Speiseröhre bisher oft für Magenkrebs? Verstärkter Alkohol- und Nikotinkonsum? Fehlernährung und Übergewicht? Alles ist möglich. Hingegen scheine der Keim Helicobacter pylori, der die Entstehung von Geschwüren im Magen und Zwölffingerdarm fördert, in der Speiseröhre eher eine Schutzfunktion zu haben, schloss der Siegener Magen-Darm-Spezialist Joachim Labenz aus Studien, wonach Refluxkranke seltener von Helicobacter besiedelt sind.

Männer sind nach Willichs Angaben doppelt so oft vom Barrett-Krebs betroffen wie Frauen, erhöht gefährdet sind die etwa Fünfzigjährigen, die länger als fünf Jahre Symptome der Refluxkrankheit haben. Dazu gehören Sodbrennen, saures Aufstoßen und Schmerzen hinter dem Brustbein, bei Entzündungen auch Schluckbeschwerden und manchmal Blutungen. Aber bei höchstens zehn Prozent der an solchen Beschwerden Leidenden verändert sich die Ösophagus-Schleimhaut, teilte Stolte mit, und höchstens zehn Prozent dieser Veränderungen entwickeln sich zum Krebs. Diese Form des bösartigen Speiseröhrentumors „Reflux-Krebs“ zu nennen, wäre nicht korrekt, meinte Willich, denn 40 Prozent der Patienten hätten gar keinen Reflux.

Wer nur mal ein paar Tage oder Wochen Sodbrennen hat, müsse nicht gleich fürchten, Krebs zu bekommen; wer aber seit einem halben Jahr oder schon zum zweiten Mal Symptome der Refluxkrankheit hat, der sollte unbedingt einmal seine Speiseröhre spiegeln lassen, riet André Blum, Gastroenterologe an der Universität Lausanne. Nur wenn die Schleimhaut im Sinne des „Barrett-Ösophagus“ verändert sei, bestehe Krebsgefahr. Und dies müsse so früh wie möglich erkannt werden, damit der Patient die besten Heilungschancen hat.

Zur Therapie brachten die verschiedenen Vorträge verwirrende, weil widersprüchliche Vorschläge. Als Moderator der Schlussdiskussion ordnete Blum sie mit Hilfe von vier Fragen, deren erste lautet: Wie behandelt man den Reflux? „Pille oder Skalpell?“ Also säurehemmende Arzneimittel vom Typ der „Protonenpumpenhemmer“ wie zum Beispiel Omeprazol oder ein Eingriff? In einer Studie mit 300 Patienten kam er mit beiden Verfahren zum annähernd gleichen Ergebnis, berichtete der Göteborger Chirurg Lars Lundell. Wegen der Belastungen, die jeder chirurgische Eingriff bedeutet, empfahlen auch die Chirurgen unter den Vortragenden beim unkomplizierten Reflux die konservative Behandlung mit Medikamenten.

Optimale Therapie noch unklar

Lässt sich - so die zweite Frage - durch die Refluxbehandlung die Gewebeentartung, der „Barrett-Ösophagus“, verhüten? Wahrscheinlich nicht, meinten die Spezialisten. Und Frage drei: Kann man den Barrett-Krebs selbst verhüten? Auch hierfür gebe es noch keinen wissenschaftlichen Nachweis. Die Mehrheit der Referenten und Diskussionsredner sprach sich aber dafür aus, zumindest hochgradige Schleimhautveränderungen zu behandeln, weil sie sich in der Hälfte der Fälle zum Barrett-Karzinom entwickeln.

Und wie behandelt man - viertens - den Barrett-Krebs? Das hängt von der Ausdehnung des Tumors und von der Tiefe seines Eindringens ab. Je eher er erkannt wird, desto schonender können die Eingriffe sein. Die früheren verstümmelnden Operationen mit Entfernung der gesamten Speiseröhre sind kaum noch nötig. Heute geht man meist mit dem Endoskop vor, zurzeit werden verschiedene thermische, lasergestützte und photodynamische Verfahren erprobt.

Siewert mahnte zu begrenzten, stadiengerechten und individuellen Eingriffen „nach Maß“. Aber was für den Patienten jeweils am besten ist, das ist noch weitgehend ungeklärt, weitere Studien sind dringend notwendig. Der Münchner Pathologe Heinz Höfner berichtete über ein gerade beginnendes Verbundprojekt von zunächst sechs Kliniken, das von der Deutschen Krebshilfe koordiniert und gefördert wird. Es heißt „Grundlagen der risikoadaptierten Therapie beim Barrett-Karzinom„ und ist auf sechs Jahre angelegt. Danach weiß man hoffentlich mehr.

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