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Gesundheit: Selbsttötung: "Sehr irdische Vorstellungen vom Paradies"

Ursula Baumann ist Privatdozentin für Neuere Geschichte in Berlin. Sie hat ihre Habilitation über die Geschichte der Selbsttötung vom 18.

Ursula Baumann ist Privatdozentin für Neuere Geschichte in Berlin. Sie hat ihre Habilitation über die Geschichte der Selbsttötung vom 18. bis zum 20. Jahrhundert geschrieben. Die Studie erscheint im Oktober unter dem Titel "Vom Recht auf den eigenen Tod" im Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Politische Wissenschaften der FU und am Institut für Geschichtswissenschaft der TU.

Die Terroristen in Palästina und auch diejenigen, die die Anschläge in New York und Washington ausführten, werden Selbstmord-Attentäter genannt ...

Ich benutze das Wort Selbstmord nicht, weil es eine negative moralische Wertung enthält, die ich nicht teile. Die Attentate sind moralisch hoch verwerflich, aber nicht, weil sie mit Suiziden verbunden sind, sondern weil sie andere mit in den Tod reißen.

Also Suizid-Attentäter. Dabei verbietet doch der Islam die Selbsttötung.

Ich bin keine Islamwissenschaftlerin, aber ich weiß, dass es unter Islamwissenschaftlern umstritten ist, ob der Koran ein ausdrückliches Verbot enthält. Es gibt in der vierten Sure Verse, die so interpretiert werden, ich würde sie eher auf Fremdtötung beziehen. Es geht aber aus dem Koran eindeutig hervor, dass der Mensch kein Verfügungsrecht über sein Leben und Sterben hat. Ausdrücklich verboten wird die Selbsttötung im "Hadith", das sind Berichte und Erzählungen verschiedener Zeugen über den vorbildlichen Weg des Propheten. Darin findet sich der Hinweis, dass auf Selbsttötung ewige Strafe im Jenseits steht. Und es gibt Überlieferungen, denen zufolge Mohammed Suizidenten das Totengebet verweigert habe - darauf geht die Vorschrift zurück, dass zurechnungsfähige Suizidenten ohne Leichenbegräbnis zu begraben seien.

Die Terroristen glauben angeblich, sie würden im Paradies aufwachen.

Ja, in einem Paradies mit lauter Jungfrauen und alkoholischen Getränken ... sehr irdische Vorstellungen vom Paradies sind das. Aber die Sehnsucht nach dem Paradies ist sicher nicht der entscheidende Antrieb für ihre Taten. Sie gehen auch nicht in den Tod, weil sie das Leben unerträglich finden, wie "normale" Suizidenten. Ihr Tod ähnelt mehr der Selbstaufopferung im Krieg, wie wir es ja in der abendländischen Tradition auch kennen - etwa wenn Soldaten ins Gefechtfeuer laufen. Im Krieg war die Selbstaufopferung immer erwünscht. Die Terroristen setzen ihr Leben instrumentell ein und opfern es, weil der Anschlag sonst technisch nicht funktioniert. Vielleicht reizt sie auch die Aussicht, dadurch berühmt zu werden. Jedenfalls ist das Suizid-Attentat ein Grenzfall und ich habe es in meinem Buch nur am Rande behandelt.

Gibt es denn in der abendländischen Tradition Beispiele für Suizid-Attentate?

Ja, sogar in der Bibel. Denken Sie an die Geschichte von Simson und Delila im Alten Testament: Um sich an den Philistern zu rächen, die ihn gefangen halten, drückt Simson die mittleren Säulen im Tempel zusammen und begräbt auf diese Weise sich selbst und 30 000 Philister.

Wie steht das Christentum zum Suizid?

Es gibt weder im Alten noch im Neuen Testament ein explizites Suizid-Verbot. Aber die Verdammung des Suizids ist im Christentum am ausgeprägtesten, vielleicht weil diese Religion so ein inniges Verhältnis zum Tod hat - man denke an die Märtyrer und die Vorstellung vom Tod als Möglichkeit der Erlösung. Das Suizidverbot wurde aber nicht vor Augustinus kanonisiert. Er fühlte sich dazu herausgefordert, weil es damals eine christliche Sekte gab, die Circumcellionen, die die Selbsttötung empfahlen, um möglichst schnell ins Jenseits zu kommen. Augustinus hat damals das fünfte Gebot - herkömmlich übersetzt als "Du sollst nicht töten" - auch auf die Tötung der eigenen Person bezogen. Meiner Ansicht nach zu Unrecht, denn die richtige Übersetzung lautet: "Du sollst nicht morden", und Mord beinhaltet ein Element der Heimtücke, das man sich selbst gegenüber gar nicht anwenden kann.

Glauben Sie, dass es quer durch die Kulturen eine Hemmung vor dem Selbstmord gibt, ähnlich der vor dem Inzest? Eine Art anthropologische Konstante?

Nein. Es gibt ja auch Kulturen, die die Selbsttötung akzeptieren, in Japan gibt es die Tradition der Selbsttötung, um die Ehre zu retten. Auch in der Antike gab es die Tradition der Stoa, die den Suizid weitgehend moralisch legitimiert hat. Aber in den drei großen Weltreligionen ist die Selbsttötung ganz klar sozial und religiös geächtet.

Wie geht die jüdische Tradition mit der Selbsttötung um?

Der Talmud schließt Suizidenten von öffentlicher Totenehrung aus und verwirft die Selbsttötung als selbstherrliche Anmaßung. Als Suizident galt aber nur, wer vorher öffentlich ankündigte, auf welche Art er die Selbsttötung vollziehen würde; so wollte man sicherstellen, dass der Betreffende bei Sinnen war. In der Praxis hieß das, dass man die meisten Suizidenten normal begraben konnte, weil sie bei ihrer Tat angeblich nicht im Besitz ihrer geistigen Kräfte waren.

Auch in christlichen Ländern hat man Suizidenten oft für krank oder verrückt gehalten.

Ja, seit dem 18. Jahrhundert wird immer öfter das Krankheitsargument ins Feld geführt. Einerseits ist das milder, als die Selbsttötung nur zu verdammen; andererseits wird auf diese Weise der Gedanke zementiert, dass die Selbsttötung etwas Schlechtes sei. Aber es hat auch Verteidiger gegeben: David Hume war der Erste, der eine explizite Suizid-Apologie geschrieben hat; Nietzsche hat die Selbsttötung sogar gelobt.

Sie sprechen in Ihrem Buch von dem "Recht" auf den eigenen Tod.

Wenn wir uns in unserer liberalen Kultur - die wir ja gerade jetzt verteidigen wollen - gegenseitig das Recht auf eine freie Lebensgestaltung zugestehen, dann müssen wir auch anerkennen, dass jeder ein Recht auf den eigenen Tod hat. Selbstverständlich mit der Einschränkung, dass man dabei nicht andere mit in den Tod reißt. Man kann es natürlich moralisch verwerflich finden, wenn jemand aus dem Leben scheidet und dabei drei unmündige Kinder hinterlässt. Aber grundsätzlich hat das Gefühl, dass man das Leben nicht mehr ertragen kann, Vorrang vor dem Kummer der anderen, den man zwangsläufig auslöst.

Ist es nicht niederdrückend, wenn man sich als Wissenschaftlerin jahrelang mit dem Thema Suizid beschäftigt?

Das Thema ist nicht traurig! Man wird mit allen Aspekten des Lebens konfrontiert, das hat auch seine heiteren und absurden Seiten. Mich hat an dem Thema gereizt, dass ich transdisziplinär arbeiten konnte - es berührt die Philosophie und Medizin und Soziologie. In erster Linie habe ich ja untersucht, wie die Lebenden über die Selbsttötung gedacht haben. Zeugnisse der Suizidenten selbst sind eher selten, einige hinterlassen Abschiedsbriefe. Bedenken Sie: Der Suizid hat auch positive Aspekte. Allein die Vorstellung, dass wir uns das Leben nehmen können, macht uns manchmal das Leben erträglicher. Das heißt nicht, dass man Suizidpillen rezeptfrei in der Apotheke bekommen sollte. Aber dass es die Selbsttötung als Ultima Ratio gibt, das ist ein tröstliches Wissen.

Die Terroristen in Palästina, auch diejeni

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