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Gesundheit: Sensationsberichte lehren das Gruseln über Killer-Viren statt Vorbeugung zu betreiben

Wer einen richtig schlimmen Feind hat, könnte sich schon einmal dabei ertappen, ihm Krankheit und Tod zu wünschen. Aber das ist eine Sünde.

Wer einen richtig schlimmen Feind hat, könnte sich schon einmal dabei ertappen, ihm Krankheit und Tod zu wünschen. Aber das ist eine Sünde. Wenn der Erzfeind jedoch zufällig ein Arzt ist, gibt es eine beichtstuhlverträgliche Alternative: ein Patient, der mit Ebola-, Krim-Kongo- oder Lassa-Fieber auf seiner Station eingeliefert wird. Eine Armada von Mikrofon-, Notizblock- und Kameraträgern über ihn und seine Klinik hereinbrechen. Nächtlicher Angstschweiß wird ihm den Schlaf rauben, und morgens wird die tägliche Fortsetzungsgeschichte seines Versagens in großen Lettern im Zeitungskasten lauern: "Todesseuche eingeschleppt" - "Ärzte machtlos" - "Sie ist so jung, so schön". Letzte Rettung ist die totale Quarantäne: Kein Virus geht raus, kein Reporter kommt rein.

Natürlich hätte die an Lassa-Fieber verstorbene Studentin bei früherem Therapiebeginn eine bessere Überlebenschance gehabt. Das spezifische Medikament Ribavirin senkt nach einer Studie der US-Gesundheitsbehörde CDC die Sterblichkeit "schwerer" Lassa-Fälle von 76 auf 9, wenn es innerhalb der ersten sechs Tage gegeben wird. Später geht die Todesrate nur noch bis auf 47 herunter. So wie es aussieht, begab sich die Urlauberin jedoch erst am sechsten Krankheitstag in ein deutsches Krankenhaus. Dort hat man vor der Überweisung an die tropenmedizinische Spezialabteilung in Würzburg drei wertvolle Tage verloren.

Ob die Patientin andernfalls zu retten gewesen wäre, wird kein seriöser Arzt zu beurteilen wagen, auch nicht in der Aussicht auf eine kurzlebige Schlagzeile in der Sensationspresse. Es haben auch nicht die "Wald- und Wiesenärzte" versagt, sondern unser medizinisches System. Die Infektionsmedizin führt in Deutschland, etwa im Vergleich zu den USA, nach wie vor ein stiefmütterliches Dasein. Die seit langem geforderte Facharzt-Weiterbildung für Infektionsmedizin steht noch immer aus. Da spezialisierte Lehrstühle fehlen, sind klinische Infektiologen Mangelware. Und wer will es einem allgemeinen Internisten verdenken, wenn er nicht bei jedem kranken Urlauber an Lassa-Fieber denkt, das bisher in Deutschland genau zwei Mal aufgetreten ist?

Immerhin wurde das Defizit vom Bundesgesundheitsministerium erkannt, die Programme zur Förderung der Infektiologie laufen aber gerade erst an. Mangelware sind auch die Sicherheitslabore, in denen hoch infektiöse Krankheiten diagnostiziert werden können (im aktuellen Fall mussten die Blutproben per ICE nach Hamburg geschafft werden). In den alten Bundesländern gibt es nur zwei dieser "S-4-Labore", in den neuen Bundesländern gar keines. Ein Schritt in die richtige Richtung ist die geplante Schaffung überregionaler "Behandlungs- und Kompetenzzentren" für hoch infektiöse Erkrankungen. Die in der Presse zu Unrecht geschundenen "Wald- und Wiesenärzte" sollen sich dort Tag und Nacht Rat holen und komplizierte Fälle frühzeitig verlegen können. Mit einer routinierten und unspektakulären Behandlung der Infizierten dürften hoffentlich auch die Seuchen-Paparazzi von den Fenstersimsen verschwinden, die mit Fotos vom Todeskampf gegen Killer-Viren ihren Lesern die tägliche Dosis Gruseln für die Frühstückspause liefern wollen. Dann käme auch heraus, dass das Lassa-Virus kaum zum Hauptdarsteller für einen Seuchen-Horror taugt, weil es nur in Ausnahmefällen von Mensch zu Mensch übertragen wird.

Die Drehbücher der wirklichen Medizin sind eben doch langweiliger als bei "Emergency Room". Womöglich greift der gelangweilte Medienkonsument dann tatsächlich vor dem Urlaub zu einem Reiseführer und schlägt die wenig aufregenden Ratschläge nach, wie man sich mit einfachen Mitteln gegen Tropenkrankheiten schützen kann.Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Witteberg.

Alexander S. Kekulé

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