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Gesundheit: Speer und wir: Das Ende einer Lebenslüge

Sein Mythos ist schon lange entzaubert - in der Wissenschaft. Das Fernsehen macht das jetzt öffentlich

Hitler war gut zu Hunden und nett zu Kindern. Das eine weiß man spätestens seit Bernd Eichingers Kino-Spektakel „Der Untergang“, das andere hat soeben Albert Speer jr. bekundet. In Heinrich Breloers Film über den Vater – Speer und Er – gibt der Sohn ganz unumwunden zu Protokoll: „Aus meiner Kinderperspektive war das ein äußerst lieber Onkel.“ Da aber das Böse an Hitler absolut gewesen ist, vermögen derartige Zeugnisse von normalmenschlicher Liebenswürdigkeit nicht im Geringsten, das Bild vom monströsen Verbrecher zu retuschieren. Das Böse bleibt das Böse.

Mit Albert Speer, Hitlers Großbaumeister und zuletzt auch als Rüstungsminister fester Bestandteil in der NS-Mordmaschinerie, scheint es sich umgekehrt zu verhalten. So findet Joachim Fest, der als Hitler-Biograph und Redakteur der Speerschen Memoiren wohl am meisten, jedenfalls mehr noch als beider Verleger Wolf Jobst Siedler, zum öffentlichen Bild von Speer beigesteuert hat, das eigentlich „Beunruhigende“ an diesem sei, „wie ein Mann mit seinem sozialen und familiären Hintergrund sowie mit den moralischen Maßstäben, nach denen er erzogen war, einer derart bösartigen, sich ihrer Barbarei brüstenden Herrschaft so besinnungslos verfallen konnte“.

Verfallen – was in etwa heißt: Wie sich das Böse des Guten, die Schuld der Unschuld ermächtigen konnte. Diese Frage zu stellen, sie als die eigentliche interessante, die wesentliche herauszustellen, bedeutet aber auch, eine weiterreichende Antwort a priori zu verneinen: Dass nicht nur Hitler, sondern auch Speer womöglich selbst das Böse mit verkörperte und nicht etwa als Verführter, Verirrter, um seine Sinne gebrachter Mensch, kurz, als Opfer zum Täter geworden ist.

Dass Albert Speer nicht bloß ein mit Blick auf seine Taten nachrangiger Mittäter der Hitler-Diktatur gewesen ist, gilt seit langem als gesichertes Wissen der Geschichtswissenschaft. Spätestens mit der 1982 veröffentlichten Studie von Matthias Schmidt war die Dekonstruktion der Legendenfigur Speer eröffnet; Susanne Willems, Dietmar Arnold, Wolfgang Schäche, Werner Durth, um nur einige zu nennen, steuerten seither genügend Fakten bei, um unzweifelhaft die aktive Mittäterschaft Speers an der Vernichtung der Juden und anderer NS-Großverbrechen als belegt anzusehen. Doch über die Fachgemeinde der Historikerzunft hinaus wurden sie kaum zur Kenntnis genommen. Erst jetzt, da Breloer sie alle und ihre Erkenntnisse in seinem Filmprojekt in die Öffentlichkeit bringt, wankt endlich auch das öffentliche Bewusstsein, mit wem wir es zu tun haben, wenn wir über Albert Speer sprechen.

Lange war das anders. Auch hierauf lässt sich jetzt mit Breloer blicken. „Der Mensch ist ein Geschichten erzählendes Tier“, durch Erzählung schütze es sich vor seiner Vernichtung, „darin liegt der Sinn des Erzählens“, notierte Bruce Chatwin nach seiner Begegnung mit dem Paläontologen Bob Brain. Die Beherrschung eben dieser Technik ermöglichte Speer das Überleben nach 1945 und die Errichtung seines größten, verwegensten Bauwerks, seines eigenen Mythos. Beginnend beim Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess und dann, nach seiner Haftentlassung, als Publizist in eigener Sache sorgte Speer mit großem Geschick und beachtlicher organisatorischer Umsicht dafür, in ihm den verlorenen (und wieder gefundenen) Sohn zu sehen, nicht etwa das Andere, das Böse. Speer begann Geschichten zu erzählen, nicht nur plastische über Hitler und dessen Entourage. Speer machte sich selbst zur Erzählung: Öffentliches Entsetzen über das verbrecherische Regime, dem er diente (in Wirklichkeit: in dem er diente), zur Schau gestellte Reue, Übernahme von Schuld jedweder Art, so lange diese entweder klein war oder doch nicht konkret benennbar. Niemand, der öffentlich größere Tränen geweint hätte. Hätte er doch seinerzeit gesehen, woran er in Wahrheit mitwirkte – so sein unablässiger Zerknirschungshabitus.

Zweifel hatte es immer gegeben, ob dies die ganze, die wahre Geschichte sei. Doch dem selbst gesetzten und gefälschten Bild von Speer mochten sie wenig anhaben. Noch in der Verbissenheit, mit der über die immer noch nicht abschließend geklärte Frage gestritten wird, ob Albert Speer zugegen oder bereits abgereist war, als Heinrich Himmler am 6. Oktober 1943 in Posen mit brutalster Offenheit über die Vernichtung der Juden sprach, offenbart sich ein Nicht-Glauben-Wollen nach Maß des Apostel Thomas. Was wäre nämlich bewiesen, wenn Speers Gewährspersonen, die seine vorzeitige Abreise beteuern, Recht haben? Einzig und allein, dass er vorzeitig abgereist war und so eben bei dieser einen von sehr, sehr vielen Möglichkeiten nicht mit der Planung und Durchführung der Endlösung konfrontiert worden ist. Die Klärung einer derartig nebensächlichen Frage beweist im Grunde also nichts, von Interesse ist sie eigentlich nur, wenn man dem Vor-Urteil von der abgeleiteten Schuld, dem ins Böse abgeglittenen, verirrten und verführten Speer unbedingte Geltung lässt.

„Der Augenschein ist gegen den Historiker“, so heißt es in der „Morgenröthe“ von Friedrich Nietzsche (den Speer gelesen und im Alter gern zitiert hat). So sei es zwar eine „gut bewiesene Sache, dass die Menschen aus dem Mutterleib hervorgehen“. Dennoch ließen erwachsene Kinder, die neben ihrer Mutter stünden, „die Hypothese als sehr ungereimt erscheinen; sie hat den Augenschein gegen sich“. Speer, ein kultivierter, geistreicher, künstlerisch begabter Mann, einer der mit Messer und Gabel umzugehen versteht - ein gänzlich anderer Menschenschlag als jene Proletentruppe, die die Führung des Dritten Reichs abgab. Der Augenschein spricht einfach dagegen, dass jener einer von diesen war. Wenn aber ein so hervorragender Mensch wie Speer verführbar war und schuldig werden konnte, dann wird man erst recht den Abertausenden Mittätern und Hilfsschergen des Hitler-Regimes - von schlichten Anhängern und Mitläufern gar nicht zu reden - vieles Schuld mindernd zu Gute halten müssen.

Joachim Fest hat so nie argumentiert. Aber das Speer-Bild, das einst in Stein zu hauen er tatkräftig half, passte perfekt zum Entlastungsbedürfnis der NS-kontaminierten Nachkriegsdeutschen: Im Kern sind sie, trotz aller Sünden, Gute geblieben, so wie er, Speer, der gute Nazi war. Nach Breloer kann dies im Ernst niemand mehr sagen.

Peter Siebenmorgen

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