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Gesundheit: Spielen: Proben für den Ernst des Lebens

Mensch und Tier schlagen dem Ernst des Lebens ein Schnippchen, indem sie sich lang und ausgiebig im müßigen Zeitvertreib des Spielens ergehen. Unter Spiel verstehen Wissenschaftler jedes Verhaltensmuster von Lebewesen, das keine unmittelbaren Funktionen für den Daseinskampf erfüllt.

Mensch und Tier schlagen dem Ernst des Lebens ein Schnippchen, indem sie sich lang und ausgiebig im müßigen Zeitvertreib des Spielens ergehen. Unter Spiel verstehen Wissenschaftler jedes Verhaltensmuster von Lebewesen, das keine unmittelbaren Funktionen für den Daseinskampf erfüllt.

Doch nach neuen Forschungsergebnissen hat der vermeintliche Luxus durchaus seinen Sinn. Angesichts der Zeit und Energie, die alle höheren Tiere auf das Spiel verwenden, war das eigentlich auch zu erwarten. Junge Affen beispielsweise verbringen bis zu zehn Prozent ihrer wachen Zeit mit Spielen. Zudem besteht ein erhebliches Risiko, wichtige Gelegenheiten zu verpassen, sich zu verletzten oder Raubfeinden zum Opfer zu fallen. Aus der Sicht der Evolutionsbiologie jedoch haben nur solche Verhaltensweisen Bestand, die ihren Trägern einen Vorteil im Überlebenskampf und bei der Vermehrung der eigenen Gene bescheren. Wozu also spielen, wenn das nur Kosten verursacht, ohne die "genetische Fitness" zu erhöhen? Hätte die Evolution so etwas nicht längst abgeschafft?

Die meisten Forscher glauben, dass das Spielen den Lebewesen einen Nutzen einbringt - nur nicht sofort. Das Spiel hat danach eine wichtige Funktion in der Entwicklung, weil die Tiere dabei die Bewegungen und Verhaltensweisen einüben und trainieren können, die sie später einmal im Kampf ums Dasein beherrschen müssen.

Das Problem an dieser Theorie allerdings ist, dass die Spielaktivität unter besonders harschen Lebensbedingungen völlig versiegen kann, ohne dass die erwachsenen Tiere irgendwelche offensichtlichen Defizite zeigen: Katzen etwa, die von ihrer Mutter nie spielerisch darin unterrichtet wurden, beherrschen im Erwachsenenalter dennoch die Technik des Mäusefangs.

Eine Gruppe um den Biologen Marc Bekoff von der Universität von Colorado im amerikanischen Boulder hat nun Belege dafür gesammelt, dass das Spielen Lebewesen auf Situationen vorbereitet, in denen sie plötzlich die Herrschaft über ihren Körper und ihre Sinneswahrnehmungen verlieren, wie es bei der Flucht oder Jagd passieren kann. Beim Spielen wird nicht nur die nötige Körperbeherrschung trainiert; die Tiere härten sich auch prophylaktisch gegen den Stress der Überraschung ab. Die neue Theorie hilft zu verstehen, warum einer der wichtigsten Bestandteile des Spielens die "Selbstbehinderung" ist: Die Tiere geben freiwillig die Kontrolle über ihre Körperbewegungen auf oder versetzen sich absichtlich in eine nachteilige Position - um dann zu lernen, sich daraus zu befreien.

In der Tat sind die wichtigsten Spielsignale, mit denen Jungtiere ihre Artgenossen zum Herumtollen auffordern, Andeutungen verlorener Körperbeherrschung. Sie bieten ihre Seite dar, schauen zwischen ihre Beine oder führen torkelnde und ungelenke Bewegungen aus. Spielsignale ähneln solchen Verhaltensweisen, die bei schwachen, müden, untergebenen, kranken oder behinderten Tieren zu beobachten sind: sich klein machen, den Kopf verdrehen oder asymmetrisch herumzucken.

Beim Spielen praktizieren Menschen und Tiere zwar alle möglichen Aktivitäten aus dem Repertoire ihrer Art. Die Bewegungsabläufe sind aber oft aus dem Zusammenhang gerissen, beschleunigt, übertrieben. Oft sieht der Organismus die Welt aus einer völlig ungewohnten Perspektive.

Erwachsene Tiere, die als Kinder der Möglichkeit des Spielens beraubt wurden, müssten nach dieser Theorie große Probleme mit "überrumpelnden" Situationen haben. Tatsächlich gibt es dafür Hinweise: Ratten, die als Kinder nicht spielen konnten, tendieren dazu, nach einem überraschend verabreichten Elektroschock "auszurasten". Wenn man sie mit einer unbekannten Situation oder einem unbekannten Artgenossen konfrontiert, weisen sie erhöhte Zeichen von Stressbelastung auf. Schon ein Spielpartner in der frühen Entwicklung genügt, um diesem Defizit vorbeugen.

Schließlich wird die Theorie auch dadurch gestützt, dass Tiere in neuen, ungewöhnlichen oder herausfordernden Situationen besonders viel spielen. So weiß jeder Hundehalter, wie sehr die Tiere nach dem ersten Schneefall ausflippen. Und wenn man den kargen Lebensraum gefangener Tiere mit Objekten und Spielsachen bereichert, nutzen sie die Ausstattung flugs für wilde Kapriolen aus.

Rolf Degen

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