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Gesundheit: Sprechende Spuren

Die Bodenzeichnungen der Nasca im Süden Perus sind keine Landebahnen Außerirdischer, sondern Prozessionswege

Erich von Dänikens Astronauten wären hier nur einmal gelandet. Denn beim Anflug aus den Tiefen des Alls hätten die galaktischen Götter unweigerlich Raumschiffbruch erlitten: Die zehn Meter hohen, wimpelgeschmückten Pfosten und die massiven Steinaltäre am Ende der Landepisten hätten die Ur-Shuttles in sehr irdische Einzelteile zerlegt.

Auch wenn man sich die esoterischen Erklärungsversuche des Schweizer Pseudowissenschaftlers nicht zu eigen macht, sind die Nasca-Linien seit ihrer Entdeckung vor rund 60 Jahren eines der größten archäolgischen Rätsel: Warum hat eine alte Kultur im südlichen Peru riesige Tierfiguren, geometrische Flächen und kilometerlange Linien in den Boden der Küstenwüste „gemalt“?

Die Frage stellte sich vor allem deswegen so dringlich, weil die Bodenzeichnungen (Geoglyphen) nur aus der Luft als Ganzes zu erfassen schienen. Das konnten doch nur Zeichen für die Götter sein. Oder eine Kartierung unterirdischer Wasserströme. Oder ein vorgeschichtlicher Astrokalender. Oder eben Landebahnen für extraterrestrische Astronauten. Erklärungsversuche für die rätselhaften Zeichen gab es zuhauf, wissenschaftliche Untersuchungen gab es nicht.

Das hat sich jetzt geändert – und die Nasca-Linien sind entzaubert worden: Sie sind sehr wohl auch vom Boden aus zu erkennen. Und: Sie dienten religiösen oder sozialen Großveranstaltungen.

Markus Reindel ist den Menschen, die zwischen 200 vor Christus und 600 nach Christus die Bodenzeichnungen kreierten, in der südperuanischen Region Palpa-Nasca seit Jahren auf der Spur. Mit Unterstützung der Schweizerisch-Liechtensteinischen Stiftung für archäologische Forschungen im Ausland (SLSA) fand der Peru-Experte der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) in Bonn die Siedlungen der Bildschöpfer und identifizierte rund 100 ihrer – im Lauf der Jahrhunderte zerstörten – Altäre an den geheimnisvollen Linien. An deren Enden entdeckte er auch tiefe Löcher, in denen – aus Durchmesser und Tiefe hochgerechnet – bis zu zehn Meter aufragende, beflaggte Pfosten verankert waren. Dies ist auf Keramikmalereien der Nasca-Kultur dargestellt.

Opfergaben wie Muscheln und Krebse lassen den Prähistoriker der KAAK, einer Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin, annehmen, dass in den Geoglyphen ein Wasser- und Fruchtbarkeitskult zelebriert wurde. Für ihre weltweit einmaligen Bodengemälde räumten die Nasca-Leute am Fuße der Anden die rotbraun gebrannten Felsbrocken der Pampa beiseite, der helle Sanduntergrund gab den Figuren ihre Gestalt. Die ewige Trockenheit der nördlichen Atacama-Wüste bewahrte die Werke unbeschadet über die Jahrtausende. Jetzt sind sie durch Klimawandel und rücksichtslose Off-Road-Rider gefährdet.

Markus Reindel jedoch kam auf seiner archäologischen Zeitreise noch tiefer in die Vergangenheit zu einer Vorläuferkultur (Paracas-Kultur, etwa 800 bis 200 vor Christus) und kann nun nachweisen, dass die Nasca-Gemälde Vorbilder haben, die um Jahrhunderte älter sind. Schon im zweiten Jahrtausend webten die Menschen Südperus großäugige Mischwesen, Menschen und Katzen in ihre Textilien und ritzten sie auf Felsbrocken. Später – etwa ab 700 vor Christus – übertrugen sie die mythischen Motive auf die Berghänge der Flusstäler, wo die Gestalten bis auf 30 Meter anwuchsen. Ab 200 vor Christus verlagerten die nachfolgenden Nasca-Leute die Bodenzeichnungen auf die Hochebenen der Küstenwüste. Dabei änderten sie den „Kunststil“ – sie bevorzugten nun gigantische, geometrische Zeichen, wie Trapeze, Dreiecke und Linien. Die spektakulären und bekannten Wal-, Affen- und Spinnenfiguren sind singulär.

Archäologie allein kann ein solch komplexes Menschheitsrätsel wie die Linien von Nasca nicht lösen. Geodäten der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) um Armin Grün erstellten aus Luftbildern und terrestrischen Vermessungen am Computer 3-D-Geländemodelle der Nasca-Palpa-Region. Darin sind alle archäologischen und geografischen Informationen enthalten und sämtliche Geoglyphen visualisiert: Die Forscher können so weit mehr Zusammenhänge erkennen, als bei Untersuchungen am Boden.

Geografen der Uni Heidelberg um Bernhard Eitel erkundeten Landschafts- und Klimageschichte der Palpa-Nasca-Region über die Jahrhunderte und zeigten, warum die grandiosen Bodenzeichnungen nur hier entstehen konnten: Allein an dieser winzigen Ecke des südamerikanischen Kontinents nämlich liegt zwischen Meer und Gebirge eine Küstenkordillere. In der „Mulde“ zwischen Ozean und Anden lagerte sich über die Jahrtausende Sediment ab, das die Leinwand für die Bodenzeichnungen abgab.

Schließlich strapazierte Karsten Lambers für seine preisgekrönte Doktorarbeit die Rechnerkapazitäten des Instituts für Photogrammetrie der ETHZ: Eine Woche lang ließ er den Computer die Sichtbarkeit jedes einzelnen Standpunkts von jedem anderen Ort der Umgebung berechnen – und eine Legende zerfiel: Zwei Drittel aller Nasca-Geoglyphen sind von allen anderen Punkten der Gegend gut bis sehr gut zu erkennen, auch vom Tal aus. Lambers resümiert seine Untersuchungen: „Da war nichts geheim, im Gegenteil, das sollte gesehen werden.“

„Die Linien waren nicht zum Anschauen da, sondern wurden als Aktionsfläche genutzt“, ergänzt Markus Reindel. Die Archäologen haben nachgewiesen, dass die Glyphen ständig verändert, erweitert oder umgestaltet wurden. Der Boden in den Linien, so belegen es die geophysikalischen Untersuchungen, ist extrem verdichtet, als ob dort oft und viele Menschen gelaufen wären. An den Rändern fanden sich rituell zerbrochene Keramik, an den Altären Überreste von Opfergaben. Malereien auf Nasca-Tongefäßen zeigen immer wieder Prozessionen mit Musik, Opfer und Tanz. „Das ist wohl das, was hier stattgefunden hat“, sagt Reindel.

Und für seinen Kollegen Lambers, inzwischen ebenfalls bei der KAAK, ist nach seinen Sichtbarkeitsstudien klar, dass „die Zeremonien in den Linien nicht nur für die beteiligten Menschen wichtig waren, sondern auch durchgeführt wurden, um gesehen zu werden“ – also eine Macht- und Statusdemonstration der einzelnen Gruppen oder Clans darstellten: Hier sind wir!

Die Wüste wurde so zur sozialen und kultischen Landschaft einer von ihrer Umwelt total abhängigen Gesellschaft – und nicht zur Landebahn. Als die immer weiter vorrückende Wüste die Lebensgrundlage der Nasca-Leute um 600 nach Christus endgültig zerstörte, gab es denn auch keinen Grund mehr, hier fruchtbarkeitsheischende Zeremonien abzuhalten. Nach einem Jahrtausend endete ein Ritus und wurde zum Mythos.

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