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Gesundheit: Stau vor der Sprechstunde

Marion tritt aus dem Professorenzimmer und freut sich: Sie hat es geschafft! Eine gute halbe Stunde vor dem Beginn der zweistündigen Studienfachberatung in der Philosophischen Fakultät 1 der Humboldt-Universität (HU) hatte sie sich als eine der ersten Ratsuchenden vor dem verschlossenen Zimmer eingefunden.

Marion tritt aus dem Professorenzimmer und freut sich: Sie hat es geschafft! Eine gute halbe Stunde vor dem Beginn der zweistündigen Studienfachberatung in der Philosophischen Fakultät 1 der Humboldt-Universität (HU) hatte sie sich als eine der ersten Ratsuchenden vor dem verschlossenen Zimmer eingefunden."Ich hatte deshalb fast zehn Minuten Zeit, mit dem Prof zu reden.Das frühe Aufstehen hat sich also voll gelohnt", sagt die angehende Sozialwissenschaftlerin.Auf dem Gang warten mittlerweile ungefähr fünfzehn Studierende.Diejenigen, die auf den wenigen Stühlen Platz gefunden haben, haben Glück gehabt.Die anderen setzen sich derweil auf den Boden.

Das Sprechstundenangebot der Lehrenden wird oft pauschal kritisiert: Die Professoren böten zuwenig Stunden an, daher seien die Sprechstunden überfüllt.Allerdings ist der Bedarf an persönlicher Beratung je nach Fakultät oder Fachbereich sehr unterschiedlich.Bei mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern ist er relativ gering, da sich ein Großteil der Betreuung im fortgeschrittenen Studium in die Praxis, beispielsweise ins Labor, verlagert.Auch Jurastudenten benötigen selten den Rat eines Professors.Fachschaften, Tutoren, Repetitoren, Mentoren oder Doktoranden übernehmen längst Aufgaben, die eigentlich zum Pflichtenkatalog der Professoren gehören."Unsere Fachschaften sind so gut, daß Kontakte zu den Professoren gar nicht erst gesucht werden", sagt Jan Gehlhoff, Fachschaftssprecher Jura an der HU.

Engpässe bei der Betreuung der Studenten durch die Professoren gibt es allerdings bei den Geistes- und Sozialwissenschaften - etwa in der Sozialpädagogik oder in der Politik.Verschärfend wirkt, daß die meisten geisteswissenschaftlichen Studiengänge wenig "verschult" sind.Studienanfänger fühlen sich mit der freien Einteilung ihres Studiums oft allein gelassen und sind auf die Hilfe "höherer Semester" angewiesen.

An der Frage, ob Sprechstunden auf bestimmte Wochentage festgelegt oder besser individuell abgesprochen werden sollen, scheiden sich die Geister."Sprechstunden werden oft auf Zeiten gelegt, zu denen wichtige Vorlesungen oder Seminare stattfinden", sagt Roland Wicher vom AStA der Humboldt-Universität."Deshalb können viele Studenten das Angebot nicht nutzen".Ein Vertreter der Fachschaft Mathematik an der TU empfiehlt, Sprechstunden mit den Professoren individuell abzusprechen: "Bei festen Terminen gibt es immer welche, die zu dem jeweiligen Zeitpunkt eine andere Veranstaltung besuchen müssen." Professor Jürgen Rabe, Dekan des Fachbereichs Mathematik an der TU, hat mit persönlichen Terminvereinbarungen zwischen Professoren und Studenten positive Erfahrung gesammelt: "Der Kontakt ist so gut, daß das unproblematisch geregelt wird.Ich weiß von keinerlei Beschwerden."

Professor Heinz-Elmar Tenorth, Dekan der Philosophischen Fakultät 4 an der HU, findet dagegen, "daß es eine Zumutung ist, wenn die Studenten den Professoren hinterhertelefonieren müssen." An Tenorths Fakultät hat man die Beschwerden der Vergangenheit zum Anlaß genommen, die Betreuung der Studierenden zu verbessern.Ab dem kommenden Semester müssen alle Professoren einmal pro Woche für ihre Studenten da sein, und zwar mit einem festen Termin, der öffentlich bekanntgegeben wird.Die Worte "nach Vereinbarung" sollen nach dem Willen des Fakultätsrats der Vergangenheit angehören.

Müssen Professoren künftig dazu verpflichtet werden, mehr Sprechstunden anzubieten, oder sind die gesetzlichen Bestimmungen ausreichend? Das Hochschulrahmengesetz verpflichtet die Professoren zwar zu fachlicher Beratung, aber es bleibt in ihrem Ermessen, wieviele Stunden sie dafür aufwenden wollen."Die Aufgaben eines Professors regelt das Gesetz, und da stehen acht Stunden Lehrverpflichtung drin", sagt Dekan Rabe und rechnet vor: "Acht Stunden Lehrpräsenz, multipliziert mit Faktor 2,5 für die Vorbereitung, macht 20 Stunden Lehrtätigkeit.Das sind fünfzig Prozent der 40-Stundenwoche.Die andere Hälfte ist für die Forschung."

Die fachliche Beratung der Studenten, die zum Aufgabengebiet der Lehre zählt, fehlt jedoch in Rabes Rechnung.Müssen Professoren also unbezahlte Überstunden leisten, um ihrer Beratungsverpflichtung nachzukommen, oder sind sie gezwungen, die erforderliche Zeit zu Lasten der fachlichen Vorbereitung aufzubringen? Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Hans-Joachim Meyer, deutete vor Delegierten des Hochschulverbandes kürzlich an, wie der Arbeitsalltag der Hochschullehrer in der Realität aussieht: Nach seiner Version gibt es "fleißige" Professoren, die 60 bis 70 Stunden in der Woche arbeiteten und "weniger fleißige", die es bei der Vierzigstundenwoche bewenden lassen.

Für Dekan Tenorth zeigt sich die Qualität der Lehre jedoch nicht nur daran, wieviele Wochenstunden die Professoren für die Betreuung ihrer Eleven verwenden.Die Professoren müssen sich seiner Ansicht nach stärker an den Bedürfnissen der Studenten orientieren."Das fängt schon bei ganz simplen Dingen an, wie Sprechstunden, Verfügbarkeit für Rückfragen, oder regelmäßige Korrektur schriftlicher Arbeiten." Er setzt dabei auf die normative Kraft der Evaluation.Es soll noch transparenter werden, welche Hochschulen, Fakultäten und Professoren bei der wissenschaftlichen Betreuung ihrer Studenten Spitze sind und welche sich am unteren Ende der Skala bewegen.Dies könnte vor allem für die Erstsemester eine wichtige Entscheidungshilfe sein.AStA-Vertreter Roland Wicher findet, daß persönliche Kontakte "im Gedränge der Berliner Massenuniversitäten" zwar schwierig herzustellen, aber nicht unmöglich sind."Insgesamt", so Wicher, "muß die Kommunikation zwischen Studierenden und Lehrenden verbessert werden."

JÖRG KÜHL

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