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Gesundheit: Studenten vor dem Berg

Beim Hochschulpakt fehlen Milliarden: Experten warnen vor Unterfinanzierung

Verpasst Deutschland die Chance, seine Hochschulen für den prognostizierten Ansturm von Studierenden zu rüsten? Davor warnen jetzt Experten aus Politik und Wissenschaft. Der jüngst verabschiedete Hochschulpakt, mit dem Bund und Länder den Studentenberg eigentlich bewältigen wollen, reiche bei Weitem nicht aus, um genügend Studienplätze zu schaffen.

Mit einem Studentenberg wird bis zum Jahr 2020 gerechnet, und eigentlich wollen Bund und Länder mit dem Hochschulpakt die damit verbundenen Probleme und Chancen besser bewältigen als in den Achtzigerjahren. Damals wurden die Hochschulen für den Ansturm der geburtenstarken Jahrgänge ohne eine angemessene Finanzierung geöffnet. Es entstanden Massenuniversitäten mit ihren überlangen Studienzeiten und hohen Abbrecherquoten. Auf einer Konferenz des Centrums für Hochschulentwicklung in Berlin schlugen Experten jetzt Alarm: Sie sehen auch nach dem Einstieg in den Hochschulpakt die Gefahr einer dauerhaften Unterfinanzierung der Hochschulen – und fordern Planungs- und Finanzsicherheit bis zum Jahr 2020.

Das CHE geht in einer Studie davon aus, zwischen 2007 und 2023 müssen zusätzlich zum Hochschulpakt 7,2 Milliarden Euro ausgegeben werden , um wirklich genügend neue Studienplätze zu schaffen. In diese lange Zeitspanne fallen drei mittelfristige Finanzplanungen – mit der Folge, dass sich Bund und Länder zu konkreten Finanzzusagen nur innerhalb von jeweils vier oder fünf Jahren verpflichten können. Damit wird jede Einstellung von neuen Professoren oder Lecturern zum Problem. Denn neue Professoren werden auf Lebenszeit eingestellt.

Das räumte auch der Präsident der Kultusministerkonferenz und Berliner Wissenschaftssenator, Jürgen Zöllner (SPD), ein, der den Hochschulpakt für die Länder mit ausgehandelt hat: „Für nur fünf Jahre bekommt man keine guten Wissenschaftler.“ Der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) ergänzte: „Der Hochschulpakt ist ein erster Einstieg in das Problem, aber nicht ausreichend.“ Zöllner versprach den Skeptikern, dass die Länder für die Ausfinanzierung in den nächsten Etappen nach 2010 bis 2020 sorgen wollten.

Schon jetzt zeigen sich die Probleme des Hochschulpaktes deutlich. Für die mittelfristige Finanzplanung sind 1,13 Milliarden Euro bis zum Jahr 2010 vorgesehen. Das sind nach CHE-Berechnungen 900 Millionen Euro zu wenig, wenn man damit 91 000 Studienplätze so ausfinanzieren will, dass auch die teuren Studiengänge in den Natur- und Ingenieurwissenschaften oder der Medizin bedient werden können. Zu einem ähnlichen Ergebnis war der Tagesspiegel bei Berechnungen gekommen (vgl. Tsp vom 28.12.2006). Für die nächste mittelfristige Finanzplanung in den Jahren 2011 bis 2015 werden fünf Milliarden Euro benötigt. In dieser Periode müssen vor allem die doppelten Abiturientenjahrgänge im Westen mit Studienplätzen versorgt werden. Für die mittelfristige Finanzplanung von 2016 bis 2020 werden mindestens 1,1 Milliarden Euro zusätzlich gebraucht.

Die CHE-Experten haben errechnet, dass diese hohen Aufwendungen in Höhe von insgesamt 7,2 Milliarden Euro um 3,3 Milliarden Euro verringert werden könnten, wenn die freien Studienplätze im Osten voll genutzt würden. Dort hat sich die Geburtenzahl nach der Wiedervereinigung halbiert, ab 2010 könnten die Hochschulen zur Hälfte leer stehen. Für die Schulabgänger aus dem vom Studentenansturm geplagten Westen verkündet das CHE denn auch das Motto „Go east“. Auf diese Lösung will sich der Osten jedoch nicht bedingungslos einlassen. Milbradt nannte einige Voraussetzungen: Die neuen Länder wollten nicht von den überfüllten Hochschulen im Westen jene Studienbewerber aufnehmen, die in Tübingen, Aachen oder München keinen Studienplatz bekommen haben. Denn dann blieben die Besten im Westen und der Durchschnitt gehe in den Osten.

Noch weniger behagt Milbradt der „Pingpong-Effekt“: Junge Westdeutsche lassen sich an den guten Unis in Leipzig, Dresden oder Jena ausbilden und suchen danach ihren Arbeitsplatz im Westen oder Süden. Eine solche Entwicklung würde darauf hinauslaufen, dass sich die Universitäten in Bayern und Baden-Württemberg zu Eliteeinrichtungen in der Forschung entwickeln und den Hochschulen im Osten die Lehre übrig bliebe. So würden die Hochschulen im Osten zu Fachhochschulen der Bundesrepublik.

Milbradt bezeichnete die Kostenkalkulation des Hochschulpakts mit 22 000 Euro pro Studienplatz als „kümmerlich“ und plädierte wie auch Zöllner für eine Neuregelung der Hochschulfinanzierung nach dem Motto: Das Geld folgt den Studenten. Das heißt, in der Föderalismusreform II sollten die Länder für die Studienkosten an den Universitäten aufkommen, an denen ihre Landeskinder studieren. Baden-Württemberg würde dann für Unis in Sachsen Geld zahlen müssen. Diesen Vorschlag lehnte der baden-württembergische Wissenschaftsminister Peter Frankenberg vehement ab. Als Geberland im bestehenden Finanzausgleich wolle Baden-Württemberg nicht noch zusätzliches Geld an jene Länder überweisen, die keine Studiengebühren einführen.

Könnten diese Überlegungen doch Makulatur werden –, weil der Studentenberg gar nicht kommt? Diese These hatte kürzlich der Berliner Bildungsökonom Dieter Dohmen vertreten. Die Studienanfängerzahlen lägen unter den Prognosen, und mit der Einführung von Bachelor und Master werde die Zahl der Studierenden nicht auf 2,7 Millionen steigen, sondern wegen der kürzeren Studienzeiten auf 1,8 bis 1,5 Millionen sinken. Die Prognose Dohmens wiesen Frankenberg und der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Peter Strohschneider, zurück. Frankenberg sagte, die Übergangsquoten von Abiturienten auf die Hochschulen seien seit Jahrzehnten berechenbar, die Studierneigung ebenso. Der Arbeitsmarkt habe eine großen Bedarf an Hochqualifizierten. Strohschneider verwies auf die Beschäftigungsquoten: Zwischen 1975 und 2004 sei die allgemeine Beschäftigungsquote um 14 Prozent gestiegen – bei den Akademikern sei sie jedoch um 200 Prozent gewachsen.

Uwe Schlicht

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