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Gesundheit: „Studentenproteste verhindern, dass weiter gekürzt wird“

Aber bei den 75 Millionen Euro Sparauflage wird es bleiben, fürchtet Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität Berlin

Herr Lenzen, die Studenten streiken in der vierten Woche. Wie entwickeln sich die Proteste?

Die Studenten gehen sehr kreativ mit dem Protest um, und damit haben sie die Öffentlichkeit gewonnen. Sie sind aber auch sehr verantwortungsbewusst: Anfangs war der Vorlesungsboykott sehr breit. Jetzt finden die meisten Lehrveranstaltungen wieder statt. In einer Zeit des großen Drucks auf die Universitäten können wir der Öffentlichkeit nicht vermitteln, dass es egal wäre, wenn ein ganzes Semester, das über 100 Millionen Euro kostet, ausfällt.

Trauen Sie den Studenten noch zu, die Politiker zum Einlenken zu bewegen?

Das Tragische an diesen Protesten ist, dass sie zu spät kommen. Als der Finanzsenator im Frühjahr erstmals konkrete Spardrohungen ausstieß, haben wir an der FU sofort eine Vollversammlung einberufen, um Proteste zu organisieren. Das Audimax war damals nur zu einem Viertel gefüllt. Zu einer Kundgebung vor dem SPD-Parteitag kamen nur knapp 1000 Leute.

Nichts mehr zu retten also?

Die Studenten haben die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit darauf gelenkt, wie gefährlich es ist, an der Bildung zu sparen. So verhindern sie immerhin, dass Sarrazin nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den Berliner Haushalt den Unis noch einmal in die Kassen greift. Aber die Sparsumme von 75 Millionen Euro für die drei großen Universitäten steht wohl fest. Ich glaube nicht, dass der Senat davon abgeht.

Die FU muss voraussichtlich 23 Millionen Euro streichen. Sie schlagen unter anderem vor, die Soziologie zu halbieren und die Musikwissenschaft einzustellen. Worauf gründen solche Entscheidungen?

Zum einen auf einer internen Stärken-Schwächen-Analyse, von der ein kleiner Teil im Tagesspiegel vorgestellt wurde. Das sind wichtige Kriterien: Wie stark ist ein Fach in der Drittmitteleinwerbung, bei Publikationen, internationalen Kontakten, wie hoch sind die Abbrecherquoten? Wir werden nicht in einem sehr guten Fach überproportional kürzen. Es kommen aber noch etwa zehn weitere Kriterien hinzu. Darunter: Welche Rolle spielt das Fach in unserer Profilbildung? Wir haben ja 14 sogenannte Kompetenz-Cluster, Forschungsschwerpunkte, festgelegt, die wir für zukunftsweisend halten, zum Beispiel Bioforschung oder Sicherheit. Und: Wie ist das Fach an den anderen Hochschulen vertreten? Welche Themen sind für die Region Berlin-Brandenburg wichtig? Kurz: Was hat – regional, überregional, global – Zukunft?

Die Anglistik beispielsweise schneidet in der internen Stärken-Schwäche-Analyse schlecht ab, soll aber nur eine Professur verlieren.

Die Anglistik ist gerade erst in einem Ranking des Centrums für Hochschulentwicklung als sehr forschungsstarkes Fach bewertet worden. Aber selbst wenn sie schlecht wäre, würden wir nicht stärker kürzen, denn wir haben ja auch das John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien, das für uns besonders wichtig ist. In einer amerikanisch gegründeten Universität, die die USA als einen ihrer regionalen Schwerpunkte hat, wird man doch nicht die Anglistik kaputtmachen! Nord- und Lateinamerika gehören zu unseren regionalen Schwerpunkten, aber auch Ostasien, Osteuropa und der Vordere Orient, während die Humboldt-Universität sich unter anderem auf den indischen Subkontinent, Indonesien und auf Afrika konzentriert.

Die Soziologie ist offenbar nicht Teil Ihrer Schwerpunkte – sie soll von neun Professuren fünf verlieren.

Wir können einfach nicht mehr in jedem Fach die gesamte Ausbildung, vom Bachelor über den Master bis zur Promotion, anbieten. Die Soziologie soll sich künftig stärker der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses widmen, in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, im Rahmen unseres Schwerpunkts ,Generationen, Gender, Lebenslauf’. In Zukunft werden eben einige Fächer eher Master- und PhD-Kurse anbieten. Es ist ein Privileg, forschungsorientierte Ausbildung zu machen. Für die Grundausbildung müssen die Studenten dann an eine andere Uni gehen.

Die Musikwissenschaft soll ganz eingestellt werden, wenn der Akademische Senat die Vorschläge Ihres Präsidiums billigt.

Es gibt in Berlin fünf Standorte für die Musikwissenschaft: an der FU, der TU, der HU, der UdK und der HfM. Das ist nicht vermittelbar. Aber noch einmal: Wir müssen abkommen von einer bloßen Debatte über einzelne Fächer und statt dessen fragen, welche Zukunftsprobleme die Unis lösen sollen. Mit unserem Cluster-Ansatz sind wir da Vorreiter in Deutschland.

Den Studenten und Professoren sind ihre eigenen Fächer aber erstmal am nächsten.

Das ist ja verständlich. Daran liegt es vielleicht, dass viele erst so spät protestiert haben. Aber jetzt müssen wir nach vorne schauen.

Das Gespräch führten Amory Burchard und Dorothee Nolte

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