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Gesundheit: Studentisches Containerglück

Behelfsheime sollen die Wohnungsnot in München lindern

Die Lage ist 1A: Wenn Volkswirtschaftsstudent Karsten S. aus der Tür seines Wohnheimes in München-Freimann tritt, breitet sich vor ihm der Englische Garten aus. Wenn er sich dann allerdings umdreht, hat ihn die Realität des Münchner Wohnungsmarktes wieder. Sein Wohnheim ist ein Containerstapel, den Siemens dem Münchner Studentenwerk gestiftet hat. Immerhin, und darauf legt Studentenwerksgeschäftsführer Dieter Maßberg Wert, ein Containerstapel von nur zwei Etagen und gelb-blau-violettem Anstrich, gestaltet von Kunststudenten.

Während in Berlin wegen des entspannten Wohnungsmarkts jeder suchende Student im Wohnheim unterkommt, wie Petra Mai-Hartung vom Studentenwerk sagt, bleibt die Situation in der bayerischen Landeshauptstadt katastrophal: „Man kann nicht vom Licht am Ende des Tunnels sprechen“, sagt Monika Niedermayer, Sprecherin des städtischen Sozialreferats.

Die aktuelle Preisspanne für ein einfaches WG-Zimmer liegt nach Angaben der Mitwohnzentrale an der Uni bei 300 bis 450 Euro. Im Vergleich zum Vorjahr ist das immerhin ein Rückgang von 50 Euro. Aber auch bei solchen Preisen steigen viele Studenten immer noch aus. Doch auf den Wartelisten für einen Wohnheimplatz stehen 3500 Namen, die Wartezeit beträgt bis zu vier Semestern. Gleichzeitig ist die Zahl privater Zimmeruntervermietungen über das Studentenwerk in den vergangenen Jahren um mehr als die Hälfte auf unter 2000 zurückgegangen – bei gestiegener Nachfrage.

Wohnung per Los

Wie kann das sein? Dieter Maßberg sitzt in seinem schwül-warmen Büro und muss nicht lange nach Erklärungen suchen. Er hat ja genug Zeit gehabt in den vergangenen Jahren, sich über die Lage Gedanken zu machen. Klar, da sind zunächst die demographischen Faktoren: Die Ansprüche des Einzelnen steigen kontinuierlich, die gleiche Zahl von Menschen braucht immer mehr Wohnraum.

Nun gibt es noch ein neues Phänomen: Die Marketingaktion von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, die mehr ausländische Studenten nach Deutschland locken sollte, hat sich in München als durchschlagender Erfolg erwiesen. Der Anteil internationaler Studenten in der Stadt ist seit 1998 von zehn auf 16 Prozent angestiegen. Trotz 2300 neuer Wohnheimplätze im Bau oder in Planung kann das Studentenwerk mit der Entwicklung nicht Schritt halten. Daher die Idee mit den Containern. „Wir werben zurzeit um ausländische Studierende wie eine Tourismus-Industrie, die leider vergessen hat, die Hotellerie bereitzustellen“, sagt Maßberg. Besonders die Neuankömmlinge würden da zu Verlierern.

Karsten S. ist ein Gewinner. Der 22-jährige Ingolstädter hat vergangenen Herbst an der Verlosung um einen der 24 Containerplätze teilgenommen und „Glück gehabt“, wie er sagt. Und während er in seinem Container hockt, mit Holzimitat an den Wänden, Linoleumfußboden und Internet-Standleitung, malt er sich schon mal aus, wie es sein wird, wenn er hinüberziehen darf in eine der Betonburgen der Studentenstadt Freimann nebenan, die sich an der A9 Richtung Nürnberg entlangzieht. Das haben sie ihm versprochen. Vielleicht in ein paar Monaten schon. Wenn er wieder Glück hat.

Die Floskel vom Glückhaben gehört in München bei der Wohnungssuche zum Standardrepertoire. Ohne Glück läuft hier nichts, selbst die üblichen Beziehungen versagen. Einer der Orte, an denen die Jagd nach dem Glück beginnt, ist der Schaukasten im Foyer des Studentenwerkes an der Leopoldstraße. Dort schreiten Studenten penibel die etwa 150 Zimmerangebote ab und kritzeln sich Quadratmeterzahlen und Telefonnummern auf Zettel.

Lukas Baamann, 24-jähriger Medizinstudent im 8. Semester, hat einen ehrgeizigen Plan, als er mittags mit Kugelschreiber und Papier vor den Schaukasten tritt. Er will ein WG-Zimmer im Stadtzentrum, möglichst im Szeneviertel Schwabing, und mehr als 350 Euro sollte es auch nicht kosten. „Ich weiß, das wird ganz schön knapp“, sagt er und wiegt den Kopf. Im Augenblick wohnt er zur Zwischenmiete, da muss er jetzt raus.

Abschied vom Nollendorfplatz

Fiona Weigel, ebenfalls 24, kommt kurz nach Lukas. Bis vor ein paar Monaten habe sie in Berlin gewohnt, in einer schönen Altbauwohnung am Nollendorfplatz, erzählt sie und klingt dabei ein wenig resigniert. Dann hat sie, nach vier Jahren Wartezeit, endlich in München ihren Studienplatz für Tiermedizin gekriegt. „Jetzt muss ich all meinen Kram verkaufen, weil er nicht in meine neue Wohnung passt.“ Im Augenblick wohnt sie in einem Apartment im Stadtteil Laim. Die 26 Quadratmeter kosten 385 Euro; für dieselbe Summe hatte sie in Berlin 56 Quadratmeter. Und dazu ist Laim weit draußen. Deshalb will Fiona jetzt ins Zentrum, doch mehr als 390 Euro seien nicht drin, sagt sie, und dann kommt sie wieder, die Glücksformel.

Vier Etagen über dem Foyer mit dem Schaukasten bastelt Dieter Maßberg unterdessen an Strategien, um mit der Studentenflut fertig zu werden. Eine groß angelegte Plakataktion des Studentenwerks im vergangenen Herbst („Zimmer ohne Aussicht?“) hat dazu geführt, dass die Zimmerangebote wieder mehr werden. Eines von Maßbergs Lieblingsprojekten ist das „i-home“, entwickelt an der TU München von Architekturprofessor Richard Horden, ein mobiler Wohnwürfel von sechs Quadratmetern und drei „Aktions-Ebenen“ inklusive Küche, Toilette und Dusche. Die Broschüre zeigt viele bunte Bilder und Smart-Autos: „i-home“, das ist der Smart zum Wohnen und vielleicht der Ausweg aus der Misere. Bis 2004 sollen die ersten 12 Einheiten stehen.

Zwei Wochen später. Fiona klingt enttäuscht. Sie hat noch nichts gefunden. Gut, sie hätte auch mehr herumgucken können, sagt sie. Nach ihren Prüfungen wird sie noch mal richtig mit der Suche loslegen. So nebenher klappe das wohl nicht. Lukas dagegen hat von Anfang an vollen Einsatz gezeigt: Zeitungen gekauft, herumtelefoniert, Vorstellungstermine organisiert. Die Mühe hat sich gelohnt. In einer WG in Schwabing haben sie ihn unter 20 Bewerbern ausgesucht, da zahlt er jetzt ab Juni 370 Euro für ein 16-Quadratmeter-Zimmer. Gut, sagt er, das sei etwas mehr als geplant. Und dann kommt es, das unvermeidliche Resümee: „Schwein gehabt.“ 370 Euro für ein WG-Zimmer, das ist die Münchner Definition von Glück.

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