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Gesundheit: Studienplätze vor Gericht

Viele Abiturienten klagen sich an die Uni. Doch die Berliner Hochschulen machen die NC-Verfahren teuer

Berliner Hochschulen gehen mit unverhältnismäßigen Mitteln gegen Studienbewerber vor, die sich einen Platz in einem Numerus-Clausus-Fach vor Gericht erkämpfen wollen. Das hat jetzt die 14. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichtes entschieden. Das Vorgehen der Unis sei „offensichtlich nutzlos und objektiv nur dazu angetan, dem Gegner – also den klagenden Studienbewerbern – Kosten zu verursachen“. Die Unis müssten bei NC-Klagen ihre Anwaltskosten künftig selber tragen, sagt das Gericht. Bisher zahlten die Bewerber oder deren Eltern, zumindest wenn sie sich keinen Studienplatz vor Gericht erkämpfen konnten.

Es handelt sich um ein festgesetztes Anwaltshonorar von 477 Euro. Das ist viel Geld für junge Leute, aber für die Studienbewerber und für die Unis geht es um mehr. Das „Einklagen“, wie es unter Studienbewerbern heißt, gehört zu den kompliziertesten und umstrittensten Fragen des Hochschulrechts. Hat das Gerichtsurteil Bestand, müsste das Verfahren in Berlin grundsätzlich geändert werden.

Pro Jahr versuchen tausende Abiturienten vor Gericht die Immatrikulation zu erkämpfen, wenn sie zuvor keinen Platz in einem zulassungsbeschränkten Fach bekommen haben. Sie argumentieren, dass die Unis einige freie Plätze bei ihren Kapazitätsberechnungen nicht berücksichtigen. Besonders umkämpft sind Fächer wie Medizin und Psychologie, die von der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) bundesweit vergeben werden. In Berlin ist die Konkurrenz besonders heftig: Viele Abiturienten drängen aus anderen Bundesländern an die Unis der Hauptstadt. Zudem liegt auf allen Fächern ein NC – und nicht nur auf einigen, wie in den meisten Ländern.

Wenn Bewerber an den Kapazitäts-Angaben der Unis zweifeln, gehen sie zunächst so vor: Sie schicken erneut einen Zulassungsantrag an ihre Wunsch-Uni und beantragen gleichzeitig beim Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung auf eine vorläufige Zulassung. Seit 1998 reagieren die Freie Universität, die Charité, die Humboldt-Universität und die Fachhochschule für Wirtschaft (FHW) sofort mit einem formellen Ablehnungsbescheid darauf. Auf die Ablehnung müssen die Bewerber wieder mit einer Klage reagieren – um überhaupt im Verfahren bleiben zu können. „Der Kläger führt also zwei Prozesse: Den um die einstweilige Verfügung für den Studienplatz – und die Klage, damit die Frist nicht verstreicht“, sagt Wolfgang Zimmerling, ein auf Kapazitätsklagen spezialisierter Rechtsanwalt.

Anderswo ist das Verfahren schlanker. Nach Senatsangaben gehen bundesweit nur acht Unis bei Kapazitätsklagen wie FU, HU, Charité und FHW vor. Die anderen schicken die Ablehnungsbescheide erst dann, wenn die Gerichte über die einstweilige Anordnung entschieden haben, sagt Zimmerling. Damit entfielen die Klagen zur Wahrung der Fristen.

Die meisten Unis lassen sich auch durch ihre eigene Rechtsabteilung vertreten. Die Berliner Hochschulen schalten zusätzlich einen Anwalt ein, um die Fristen-Klage der Bewerber abzuweisen. Das verteuere die Verfahren für die Einkläger, sagt Volker Ratzmann, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Zu den 477 Euro, die jeweils die Rechtsanwälte beider Parteien als Honorar für die Klage erhalten, kommen 121 Euro Gerichtskosten. Für die einstweilige Anordnung müssen zuvor schon 265 Euro für den Anwalt und 40 Euro fürs Gericht gezahlt werden.

Dass die Unis Rechtsanwälte einschalten, hält Ratzmann für überflüssig. Die Anwälte würden fast ausschließlich einen Serienbrief pro Fall verschicken, um die Klage abzuweisen. „Wieso müssen die Unis für einen Brief einen Rechtsanwalt beauftragen?“, fragt Ratzmann. Für die Hochschulanwälte glichen die Klagen „einer Lizenz zum Gelddrucken.“

Auch die Gerichte stöhnen über die NC-Verfahren. „Für die Gerichte entsteht durch die Klagen eine Mehrbelastung, die vermieden werden könnte“, sagt Alexander Wichmann, der Präsident des Berliner Verwaltungsgerichts. Bei den über 12000 Klagen, die seit 1998 in Sachen Numerus Clausus geführt wurden, kam es bei fast keiner zu einer mündlichen Verhandlung. Fast alle Kläger zogen ihre Klagen zurück, wenn durch das Verfahren der einstweiligen Anordnung festgestellt wurde, ob sie einen Studienplatz bekommen oder nicht. 12000 Mal wurden Akten angelegt und zahlreiche Briefe verschickt, ohne dass die Klage zum Tragen kam, sagen die Kritiker.

Die Argumente griff jetzt die 14. Kammer des Verwaltungsgerichts, die auf Kostenfragen spezialisiert ist, weitgehend auf. Sie entschied für einen Kläger, der gegen die Charité einen Medizin-Studienplatz erstreiten wollte. Er klagte ausdrücklich nur, um die Frist zu wahren – und kündigte im Voraus an, die Klage zurückzunehmen, wenn das Verfahren um die einstweilige Anordnung beendet sei. Trotzdem wurden die Rechtsanwälte der Charité tätig. „Die Sinnlosigkeit eines anwaltlichen Beistandes für die Charité, die Red.] dränge sich in diesem Klageverfahren geradezu auf“, urteilte das Gericht. „Es entstehe der Eindruck, dass potenzielle Kläger abgeschreckt werden sollen.“ Dem Kläger sei deswegen nicht zuzumuten, die Kosten für die Charité-Anwälte zu tragen.

Setzt sich die Ansicht des Gerichts durch, kämen auf die Unis große Mehrausgaben zu. Da in fast allen Fällen die Bewerber ihre Klagen zurücknehmen, zahlen sie die Rechtsanwaltskosten der Unis mit – wer vor Gericht nicht gewinnt, kommt für den Gegner auf. Ob sie ihre Vorgehensweise künftig ändern werden, wenn sie viel Geld dafür bezahlen müssen, wollen HU und FU nicht sagen. Sie wollen erst vor das Oberverwaltungsgericht ziehen. Das hat schon einmal die bisherige Praxis für rechtens erklärt.

Dass die Unis ein berechtigtes Interesse haben, die Kläger auf Distanz zu halten, geben selbst Kritiker zu. Hellmut-Johannes Lange, der Leiter des FU-Rechtsamtes, hält die Argumentation der Gegenseite für „scheinheilig“. Wenn sich die Bewerber Rechtsanwälte nehmen, um einen Studienplatz gerichtlich zu erkämpfen, müsse dies auch den Unis zu ihrer Verteidigung gestattet sein. Seitdem die FU Anwälte beauftrage, sei die Zahl der erfolgreichen Kläger stark zurückgegangen. Eine Lizenz zum Gelddrucken besäßen auch die Anwälte der Studenten: Schließlich seien nur wenige Kanzleien bundesweit auf die NC-Verfahren spezialisiert. Wer vor Gericht ziehe, müsse damit rechnen, bei einer Niederlage die Kosten des Gegners zu übernehmen.

Der Grüne Volker Ratzmann fordert den Senat auf, das Hochschulrecht zu ändern. Bei NC–Klagen dürften doppelte Prozesse mit einstweiliger Anordnung und Klage nicht mehr möglich sein. Der Wissenschaftssenat ist laut einer Referentin mit dem Thema befasst – aber noch zu keinem Beschluss gekommen.

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