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Gesundheit: Teeren und federn

In Dresden sammeln Studenten bei ihren Kommilitonen freiwillige Gebühren ein – und werden für Verräter gehalten

Im November ging Jens Bemme abends über den Campus der Universität Dresden, da sah er sein Gesicht auf einem Fahndungsplakat. Darunter prangte sein Name, darüber: „We want this man tared and feathered“, „Wir wollen diesen Mann geteert und gefedert“. Etwa 30 Plakate dieser Art habe er hängen sehen, sagt Bemme. Der 24-Jährige hatte sich für eine freiwillige Studiengebühr stark gemacht. Er gründete die Initiative „Unternehmen selbst beteiligen“, die von Studenten Geld sammelt, um die Studienbedingungen zu verbessern. Erster Erfolg: Die sächsische Landes- und Uni-Bibliothek hatte in der laufenden Prüfungsphase an drei Sonntagen geöffnet. Das kostet pro Sonntag für zwei Bibliothekarinnen und einen Wachmann 400 Euro; für mehr reichte das bisher gesammelte Geld nicht. Bemme musste seine Pläne, den Computerpool und die Bücherei in der gesamten, bis März dauernden Prüfungsphase rund um die Uhr zu öffnen, wieder aufgeben. An sich waren 20 000 Euro die Zielmarke, das wäre ein Euro pro Student.

Am zweiten Sonntag herrscht in der „Bibo“ reger Betrieb. Studenten kommen und gehen, im Lesesaal ist von den 200 Plätzen etwa die Hälfte besetzt. Wer hinein will, muss an drei Spardosen vorbei. Davor hängt ein Plakat: „1100 Nutzer à 1 Euro = 1100 Euro, und die Bibliothek hat weitere drei Sonntage und damit die komplette Prüfungsphase geöffnet“. 1100 Nutzer waren es am ersten Sonntag. Hätte jeder einen Euro gezahlt, so wären weitere drei Sonntage gesichert gewesen. In dem Sparschwein fanden sich aber nur 13,65 Euro. „Es ist bemerkenswert, wie perfekt die meisten das ignorieren“, sagt Stefan Sippell, der mit Bemme neben dem Sparschwein am Eingang sitzt. So lange die zwei da sitzen, fühlen sich die Studenten irgendwie verpflichtet. „Kannst Du wechseln, ich habe nichts klein“, fragen manche, als wäre der eine Euro der Eintrittspreis. Auch den Vorschlag, freiwillig 100 Euro Studiengebühren zu zahlen, hatten sie als Vorgabe begriffen – und heftig opponiert. Dabei wollte Bemme nur eine Diskussion anstoßen.

Unterstützt wird seine im wesentlichen aus drei Leuten bestehende Truppe von der Eberhard von Kuenheim-Stiftung, die zu BMW gehört. So kam Geld für Werbung und einen Internet-Auftritt herein. Die Spenden der Studenten werden dafür nicht angetastet. Und doch führt das Sponsorship zu Missverständnissen. Da ist eine Industriestiftung mit viel Geld, und dann ist da eine Studenteninitiative, in deren Name der Begriff „Unternehmen“ vorkommt. Im Ergebnis sollen aber die Studenten zahlen, auch wenn es gar nicht alle können. All das verdichtet sich in den Köpfen der Studenten zur Formel „das Großkapital will die Eliten fördern“. Und Jens Bemme ist der Verräter aus der Studentenschaft, den das Kapital gekauft hat.

Die Juso-Hochschulgruppe Dresden gründete ein Aktionsbündnis gegen Studiengebühren, zu dessen Gründungsveranstaltung im Dezember 16 Leute erschienen, darunter Bemme. Sein Freund und Mitstreiter Uwe Scheithauer, dessen Gesicht im gegnerischen Lager nicht so bekannt ist wie das von Bemme, geht noch immer gelegentlich zu den Versammlungen der Jusos und hört sich an, welche Argumente dort vorgebracht werden. An diesem zweiten Bibliothekssonntag ist an der „Bibo“ nichts von den Gegnern zu sehen. „Die lernen drinnen wahrscheinlich aufs Examen“, sagt Bemme trocken.

Die ein- und ausgehenden Studenten zeigen sich indifferent. Germanistikstudent Stefan Kleie hat nicht mitbekommen, von wem die Aktion ausging. „Bestimmt waren das keine Geisteswissenschaftler, die gehen eher demonstrieren“, sagt er. Studiengebühren hält er für „ein Unding“, mehr fällt ihm erstmal nicht ein, bis er sagt: „Dass die das machen, ist ein gutes Zeichen für die Verfassung der Studentenschaft in Dresden.“ Die meisten, die gekommen sind, nutzen das Angebot der Sonntagsöffnung zwar, aber wenn die Bücherei geschlossen wäre, würde es ihnen auch nichts ausmachen. „Dann würde ich eben zu Hause lernen“, sagt die Romanistik-Studentin Juliane Wernicke.

Bemmes Truppe ist da weniger gleichmütig. Er selbst geht im März für sechs Monate nach Basel und will dann in Holland weiterstudieren. Die Politik-Studentin Julia Thombansen, 23, wird dann die Führung übernehmeni. „Wir müssen uns ein neues Projekt ausdenken, sonst ist das alles bald wieder vergessen“, sagt Thombansen. Ziel der Aktion sei es, die Motivation der Studenten zu fördern, selbst was anzupacken, ohne den Staat aus der Verantwortung zu entlassen. „Hinter der Idee des Selbst-Beteiligens steht ein anderes Gesellschaftsmodell“, lobt Stefan Sippell von der Kuenheim-Stiftung.

Die Engagierten dürften ziemlich einsam bleiben. Die meisten Studenten wissen nicht, wofür sie sind, sondern nur, wogegen, nämlich Studiengebühren. Im Zweifel ist der Staat zuständig, lautet ihr Credo. Er müsse für Chancengleichheit sorgen, sonst drohe Elitenbildung. Dass in anderen Ländern trotz Studiengebühren mehr Menschen aus bildungsfernen Schichten Zugang zu den Unis haben, können sie sich auch nicht erklären. Und dass das Niveau an der Uni durchaus steigerungsfähig ist, beweist schon das eingangs zitierte Fahndungsplakat. „Tarred“ schreibt man nämlich mit doppel- r.

Mehr dazu im Internet:

www.unternehmen-selbst-beteiligen.de

Fatina Keilani

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