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Gesundheit: Testflug im Auslaufmodell

Im Schatten der Columbia-Tragödie: Nasa trifft letzte Vorbereitungen, nach zwei Jahren wieder ein Shuttle in den Orbit zu schicken

Eileen Collins steht in der Mitte eines fensterlosen, meterhohen Raums in Houston, Texas. Hinter ihr prangen drei wandfüllende Plasmaschirme mit Standbildern der landenden Raumfähre Discovery, in der Mitte Collins im orangefarbenen Raumanzug. Vor ihr im Mission Control Center drängen sich Reporter und Kameraleute. Ob sie nervös ist, nur wenige Wochen vor dem Start? „Nein. In Gedanken sind die Toten bei uns“, sagt sie, „aber hier konzentriere ich mich hier ganz auf meine Aufgaben“.

Am 1. Februar 2003 explodierte die Raumfähre Columbia beim Wiedereintritt in die Atmosphäre. Bereits damals war Collins als Kommandantin für STS 114, den 114. Flug der kleinen Shuttle-Flotte, vorgesehen. Jetzt findet der Ausflug ins Weltall mit zwei Jahren Verspätung statt, geplant zwischen Mitte Mai und Anfang Juni, unter völlig veränderten Vorzeichen. Galt es damals, die Internationale Raumstation ISS zügig fertig zu stellen, steht heute die Kompetenz der Nasa selbst auf dem Prüfstand. Entsprechend die Fragen der Presse. Die Antworten: Die Raumfähre wurde rundum erneuert, die Kontrollen ausgebaut, die Astronauten auf fast alle erdenklichen Eventualitäten trainiert.

Tests sind vonnöten. Vor zwei Jahren scheiterten alle Vorkehrungen, Raumschiff und Besatzung vor Schaden zu bewahren. Einige Nasa-Beobachter hatten entdeckt, dass sich beim vorgeblichen Routinestart ein über ein Kilo schweres Stück Isolierschaum vom Außentank gelöst hatte – und mit 1000 Kilometer pro Stunde wie ein Geschoss gegen die Vorderkante des linken Flügels geprallt war. Ihr Vorschlag, die Raumfähre mithilfe von Spionagesatelliten auf Schäden abzusuchen, lehnten Vorgesetzte ab. Doch der linke Flügel war ramponiert. Beim Rückflug drangen extrem heiße Gase durch das Schutzschild und brachten das Aluminiumgerüst zum Schmelzen. Nicht allein technisches Versagen hatte die Katastrophe verursacht, stellte die Untersuchungskommission später fest. Verantwortlich sei auch die von Terminen gehetzte Geschäftskultur der Nasa.

Wenige Wochen vor dem Start will die Raumfahrtbehörde der Weltöffentlichkeit noch demonstrieren, dass die Mission mit dem Auslaufmodell – 2010 soll die Shuttle-Flotte eingemottet werden – bestmöglich vorbereitet ist. Zu diesem Zweck bitten zwei Crewmitglieder, Stephen Robinson und Soichi Noguchi von der japanischen Raumfahrtagentur, in eine Halle mit Schwimmbecken. Hier trainieren Raumfahrer jeden Handgriff in relativer Schwerelosigkeit immer wieder. Robinson und Stephenson packen neben dem Bassin das Flickzeug aus, das helfen soll, Brüche, Löcher und Dellen im Schutzschild zu reparieren. Auf vier Tischen liegen Muster beschädigter Hitzekacheln und Kohlefaser-Formteile (RCC) aus, die beim Shuttle die der Hitze besonders ausgesetzten Kanten abschirmen. „Wenn wir dort oben sind, steigen wir aus dem Shuttle aus und reparieren probeweise ein paar Kacheln“, erzählt Noguchi und nimmt ein Gerät in die Hand, das entfernt an ein Maschinengewehr erinnert. Den Finger am Abzug presst Noguchi schwarze Masse in den Riss einer Hitzekachel. Gefragt, ob er sich mit dem so ausgebesserten Raumschiff auf die Heimreise begeben würde, erwidert er ausweichend: „Vorerst sind diese Methoden nicht für den Ernstfall gedacht.“ Vielmehr sollen die Raumfahrer während eines Weltraumspaziergangs prüfen, wie sich die Werkzeuge in Schwerelosigkeit verhalten.

Ohnehin: Die neuen Geräte würden nicht ausreichen, ein Loch so groß wie jenes zu kitten, das die Columbia zerstörte. Damals hatte das Shuttle kein Mittel für jedwede Außenreparaturen an Bord, keine Handhabe, Schäden zu prüfen, nicht einmal genügend Treibstoff, um die womöglich rettende Raumstation zu erreichen. Das wirkt ernüchternd.

Der Flug der Discovery besteht freilich nicht nur aus Testläufen – ein Besuch bei der Raumstation steht ebenfalls auf dem Programm. Sie wartet auf Nachschub, den die russischen Sojusraketen aus Platzgründen über die letzten beiden Jahre nicht liefern konnten. Beispielsweise ein „Gyroskop“, ein Stabilisationskreisel, der hilft, die ISS auf Kurs zu halten. An Bord funktionieren derzeit nur noch zwei von ursprünglich vier der Richtungsgeber. Auf dem Heimweg transportiert die Raumfähre außerdem eine Tonne verschlissener Instrumente aus abgeschlossenen Experimente und orbitalen Müll ab. Doch diese Aufgaben erwähnen Raumfahrer und Nasa-Offiziellen nur am Rande. Ständig kehren sie zu den Sicherheitsvorkehrungen zurück, als müssten sie sich selbst vergewissern. „Der sicherste Shuttle-Flug aller Zeiten“, bemerkt Flugdirektor Cain mehrmals.

Die Verantwortlichen wollen nichts dem Zufall überlassen: Der Start erfolgt bei Tageslicht, in dem vom Außentank herabfallende Trümmer leichter zu erkennen sind. Mehr Kameras denn je – am Treibstofftank, an der Raumfähre, Startrampe und über Cape Canaveral verteilt – werden minuziös verfolgen, wie sich das Schiff in die Lüfte erhebt. Konstrukteure haben die Trägerrakete modifiziert und neue Wege gefunden, den Isolierschaum aufzutragen, um zu vermeiden, dass sich große Teile von der Hülle lösen. Jetzt würden allenfalls zehn Gramm wiegende Splitter mit dem Schiff kollidieren, die, heißt es, spielend abprallen.

Seit dem orbitalen Jungfernflug der „Columbia“ 1981 registrierte die Nasa 15000 Schäden an ihren Hitzekacheln. Ein eigens für die Mission konstruierter, 15 Meter langer Roboterarm, an dessen Ende sich eine Kamera befindet, soll den Astronauten erlauben, sich ein detailliertes Bild der Außenhülle im All zu machen, um Defekte zu erkennen. Auch wird die Discovery, ehe sie an die Raumstation andockt, eine Rolle vollziehen, um der ISS-Besatzung kurz seine Unterseite zur Inspektion zu präsentieren.

Die Flügelkanten der Raumfähre sind neuerdings mit einem Netzwerk empfindlicher Sensoren ausgestattet, um jegliche Materialveränderung zu registrieren. Sollte ein Schaden zu groß sein, um im All repariert zu werden, steht die Raumstation als „sicherer Hafen“ zur Verfügung. Man könnte sie auch den letzten Strohhalm nennen. Das würde bedeuten, dass eine Shuttle-Mission, die für Juli geplant ist, frühzeitig ins All abheben muss, um die Astronauten aus der beengten High-Tech-Dose zu retten. Keine rosigen Aussichten. Man habe alles im Griff, versichert die Nasa, optimistisch wie bereits einmal zuvor: 1988, zwei Jahre nach der Explosion der Raumfähre Challenger.

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