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Gesundheit: Thema und Variation

Ein Katalog der Unterschiede im Erbgut soll die Forschung erleichtern

Am Anfang war das Humane GenomProjekt. Die rund drei Milliarden Buchstaben unserer Erbinformation, chemisch gespeichert in Form des Erbmoleküls DNS, wurden Buchstabe für Buchstabe entziffert und 2001 veröffentlicht. Aber jeder Mensch ist anders, auch genetisch. Deshalb wurde 2002 ein neues Vorhaben begonnen, mit dem nicht das Gemeinsame, sondern die Unterschiede im Genom aufgespürt werden sollen: das „HapMap“-Projekt.

Heute präsentieren die beteiligten Forscher im Fachblatt „Nature“ ihr erstes großes Etappenziel. Sie haben die meisten genetischen Unterschiede von 269 Menschen mit bislang ungekannter Genauigkeit kartiert. Der Katalog der genetischen Unterschiede soll vor allem helfen, die Wurzeln von Krankheiten in den Erbanlagen freizulegen und Medikamente besser verträglich zu machen.

Vereinfacht gesagt sind wir Menschen zu 99,9 Prozent genetisch identisch. Das heißt, dass von 1000 genetischen Buchstaben sich nur einer von Mensch zu Mensch unterscheidet. Bei drei Milliarden DNS-Buchstaben sind das immerhin drei Millionen Unterschiede! Genetiker nennen diese Differenzen SNPs (sprich „Snipps“, Abkürzung von „single nucleotide polymorphisms“, auf Deutsch: Punktmutationen).

Eine perfekte Karte der genetischen Unterschiede müsste also eine Unzahl SNPs verzeichnen. Man schätzt, dass es zehn Millionen SNPs gibt.

Aber die Natur macht es den Genetikern etwas einfacher. Denn unser Genom wird nicht zufällig in beliebig langen Abschnitten neu kombiniert und vererbt, sondern zu einem großen Teil in Form von langen Segmenten. Gruppen von Genen reisen gemeinsam durch die Zeit, weil sie zusammen vererbt werden. Solche Genom-Bausteine heißen Haplotypen. Wäre das Erbgut eine Großstadt, die Haplotypen glichen Straßenblocks und die Gene den einzelnen Häusern.

Unter Leitung von David Altshuler vom Broad-Institut (Cambridge, USA) und Peter Donnelly von der Universität Oxford hat das HapMap-Konsortium – übrigens ohne deutsche Beteiligung – nun eine Karte der genetischen „Straßenblocks“ vorgestellt, also ein Verzeichnis der Haplotypen. Es basiert auf den Markierungen von mehr als einer Million SNPs im Erbgut. Untersucht wurden Nigerianer, Chinesen, Japaner und Amerikaner europäischer Herkunft, ein Querschnitt der Menschheit.

Warum ist die HapMap, also die Haplotypen-Karte, für die Medizin interessant? Wissenschaftler vermuten, dass in den winzigen genetischen Abweichungen der SNPs nicht nur das Geheimnis unserer Individualität, sondern auch das vieler Krankheiten verborgen liegt. Etwa 40 Prozent unserer Anfälligkeit für Krankheiten ist genetisch bedingt. Und es sind die SNPs, die möglicherweise verraten, ob wir für Diabetes, Alzheimer oder Darmkrebs veranlagt sind.

Das Problem liegt darin, dass bei den meisten Volkskrankheiten etliche Gene im Spiel sind. Mit den heutigen Methoden ist es fast unmöglich, die entscheidenden herauszufinden. Die Forscher stehen bislang vor einem undurchdringlichen genetischen Schneegestöber.

Die Haplotypen-Karte könnte die Suche nach Krankheitsgenen vereinfachen, und zwar „um das Zehn- bis 20-Fache“, wie Yusuke Nakamura vom Genom-Zentrum der Universität Tokio hofft. David Goldstein und Gianpiero Cavalleri von der amerikanischen Duke- Universität berichten im Fachblatt „Nature“, dass sie zwei Jahre brauchten, um die verschiedenen Spielarten eines Gens zu finden, das mit Epilepsie verknüpft war. Heute, auf der Basis der Haplotypen-Karte, „könnten wir das Ganze in Minuten erledigen“, schreiben Goldstein und Cavalleri. Doch sind nicht alle Forscher so optimistisch.

Die Grundidee der HapMap ist es, Signalfähnchen für jeden genetischen Straßenblock aufzurichten, also eine charakteristische Punktmutation pro Haplotyp. Jede dieser Signal-SNPs hat in ihrer Nachbarschaft zwischen drei und zehn weitere SNPs. Sie gehören zum gleichen Straßenblock, sprich: zum gleichen Haplotyp. Aber es wäre nicht mehr nötig, nach ihnen allen zu suchen.

Die Forscher gingen in drei Schritten vor. Zunächst kartierten sie die SNPs im Erbgut. Dann fassten sie die gemeinsam vererbten Erbgutabschnitte zu Haplotypen zusammen. Und schließlich wurde für jeden Haplotyp ein charakeristischer SNP gefunden, also ein Signalfähnchen im Erbgut aufgesteckt. Die Wissenschaftler schätzen, dass die Zahl der wichtigen Signal-SNPs 300000 bis 600000 beträgt – viel weniger als die zehn Millionen SNPs. die es insgesamt im Erbgut gibt.

Fortan genügt es, bei der Suche nach Krankheitsgenen zunächst nur nach den wichtigen Signal-SNPs zu fahnden, statt in Millionen von winzigen und meist unwichtigen genetischen Unterschieden zu versinken. Es ist wie bei der Fahndung nach einem Verdächtigen. Die Polizei hat es leichter, wenn sie nicht die ganze Stadt, sondern nur einen Straßenblock durchkämmen muss.

Apropos Verdächtiger: „Auch in der Rechtsmedizin könnte die Haplotypen-Karte künftig von Bedeutung sein“, sagt Karl Sperling, Humangenetiker an der Berliner Charité. „Denn man kann anhand des genetischen Musters in einer Tatortspur feststellen, aus welcher Weltgegend der Täter vermutlich stammt.“

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