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Gesundheit: Therapeut Computer

Wie die Berliner Charité jungen Suchtgefährdeten hilft

Fühlen Sie sich fit? Verlieren Sie schnell Energie? Leiden Sie unter Ihrer Ernährung? Wie oft trinken Sie Alkohol? Der Medizindoktorand Björn Schweiger sitzt vorm Laptop und zeigt, was er in den letzten drei Jahren in der Rettungsstelle der Berliner Charité, Campus Mitte, gemacht hat: Während die Verletzten von Ärzten „genäht oder gegipst“ wurden, hat er sie nach ihrem Lebensstil befragt. 30, 40 Fragen innerhalb einer Viertelstunde. Über die Jahre kamen so die Profile von 3026 Patienten zusammen, Durchschnittsalter: 30. Am gestrigen Donnerstag haben die Forscher der Charité die Daten aus Anlass des Hauptstadtkongresses für Anästhesiologie und Intensivtherapie vorgestellt – sie sind alarmierend, geben jedoch zugleich Anlass zur Hoffnung.

„24 Prozent der Befragten konsumierten Alkohol in gefährlichen Mengen“, sagte Claudia Spies, Leiterin der Klinik für Intensivmedizin an der Charité. „46 Prozent waren Raucher, 22 Prozent hatten im letzten Jahr Drogen wie Cannabis, Heroin oder Kokain zu sich genommen.“

Jedes Jahr gehen 40000 Patienten in der Rettungsstelle der Charité in Mitte ein und aus, über 100 täglich. Dabei weiß man, dass junge Menschen, die zum Alkoholismus neigen, häufiger mit leichten Verletzungen im Krankenhaus landen. „Wir kennen das Muster“, sagte Spies. „Wer mit Mitte 40 als Alkoholiker nach einem schweren Verkehrsunfall auf der Intensivstation liegt, hat oft schon in jungen Jahren häufiger mit Bagatellverletzungen Erste Hilfe aufgesucht. Wir wissen das, aber niemand tut etwas dagegen.“

Aus diesem Grund wollten es die Ärzte nicht bei ihrer Befragung belassen: Nachdem sie mit Hilfe des Fragebogens die Daten des Patienten aufgenommen hatten, wertete der Computer sie aus und erstellte auf der Stelle eine maßgeschneiderte Handlungsempfehlung für den Patienten – je nach dessen Profil. Einem, der nicht vom Alkohol lassen konnte, wurde zum Beispiel auf mehreren Seiten erklärt, wie er seine Sucht in den Griff bekommt.

Bis zu zwölf Monate später kontaktierten die Forscher die Patienten immer mal wieder, um zu sehen, ob ihre Empfehlungen etwas bewirkt hatten. Der Befund war erstaunlich: Viele Patienten hatten ihr Verhalten tatsächlich zum Positiven geändert. 20 Prozent der Raucher hatten ein Jahr nach der Krankenhausepisode das Rauchen eingestellt. Diejenigen, die zum Alkohol neigten, tranken ein halbes Jahr lang deutlich weniger – und das nur auf Grund der Empfehlung einiger weniger A4-Seiten, erstellt von einem Computer. Wie lässt sich dieser Effekt erklären?

„Eine berechtigte Frage“, sagte Tim Neumann, der Rettungsmediziner an der Charité, der das Projekt betreut hat. „Wir machen schließlich keine Psychotherapie, keine Gehirnwäsche, es gibt keine Pille – und trotzdem zeigte sich eine enorme Wirkung.“ Der Arzt führt sie auf zwei Gründe zurück: „Erstens kommt das ins Spiel, was wir die goldene Stunde des Traumas nennen.“ Nach einem Unfall sind wir aufgeregt, das Stresshormon Adrenalin fließt durch den Körper, das Gehirn befindet sich in Alarmbereitschaft: Jede Information ist jetzt wichtig. Diese Situation nutzen die Ärzte, um ihre Botschaft rüberzubringen. „Hinzu kommt, dass wir versucht haben, jedem eine maßgeschneiderte Empfehlung zu geben.“ Die Seiten, die der Patient zu lesen bekommt, sind auf ihn zugeschnitten. Neumann: „Das also ist unsere Pille: Gezielte Information genau zur richtigen Zeit.“

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