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Gesundheit: Therapie von Straftätern: Täter und Patient

Immer wieder berichten die Medien über Ausbrüche gefährlicher Straftäter aus psychiatrischen Kliniken. Mitunter haben diese blutige Folgen.

Immer wieder berichten die Medien über Ausbrüche gefährlicher Straftäter aus psychiatrischen Kliniken. Mitunter haben diese blutige Folgen. Der Fall des Frank Schmökel aus Brandenburg ist dafür das letzte größere Beispiel. Der Sexualverbrecher stach bei seiner Flucht von einem genehmigten Ausgang einen Pfleger nieder und verletzte auch seine Mutter. Auf der Flucht erschlug er einen 60-jährigen Berliner mit einem Spaten. Schließlich wurde Schmökel in die Klinik zurückgebracht. Die Therapie geht weiter.

Die Reaktionen auf solche Ereignisse laufen stets nach dem gleichen Muster ab. Auf der einen Seite wird die ungenügende Sicherung der "Patienten" kritisiert, auf der anderen ein Mangel an Therapie beklagt. Aber wie diese beiden gegensätzlichen Pole des "Sicherns" und "Besserns" zusammenzubringen sind, darüber scheint sich so recht niemand Gedanken zu machen.

Da ist auf der einen Seite die psychiatrische Klinik. Ein Krankenhaus, in dem psychisch und nicht selten auch körperlich Kranke, Verwirrte, Leute mit Suchtproblemen oder Menschen, die ganz einfach mit dem Leben nicht mehr klarkommen, behandelt werden. In diese Umgebung soll nun ein ausbruchsicheres Therapie-Gefängnis hineingesetzt werden: Als zuletzt der wegen Vergewaltigung und schwerer Körperverletzung untergebrachte Igor Pikous aus der Berliner Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik entkam, versprach die Gesundheitssenatorin, auf den Dächern Stacheldraht zu ziehen. Psychiatrie als Festung - ein Widerspruch in sich.

Zwar gibt es in der Psychiatrie auch geschlossene Stationen. Dort sind eben jene Patienten untergebracht, die in ihrem derzeitigen Zustand sich selbst oder andere gefährden. Aber eine geschlossene Station in der Psychiatrie ist kein halbwegs ausbruchsicheres Gefängnis. Sie soll zum Beispiel helfen, einem Selbstmordgefährdeten durch sein seelisches Tief zu bringen oder einem Menschen, der durch eine Wahnkrankheit jeden Bezug zur Realität verloren hat, wieder festen Boden unter den Füßen zu geben.

So paradox das klingt: eine geschlossene Station schützt die Patienten - vor sich selbst oder vor einer Umwelt, der sie nicht gewachsen sind, in der sie unter die Räder kommen würden. Niemals wird eine solche "geschlossene Abteilung" für einen Menschen mit krimineller Energie ein ernsthaftes Hindernis darstellen. Das gilt in abgeschwächter Form auch für die forensische Psychiatrie, in der viele Straftäter untergebracht sind, die von einer Therapie profitieren - aber auch der eine oder andere Schmökel oder Pikous.

Psychiatrische Kliniken können die Sicherheit der Bevölkerung nicht gewährleisten, ohne sich in Gefängnisse zu verwandeln. Deshalb läuft alles auf die Frage hinaus, ob ein bestimmter Personenkreis zur Verbüßung seiner Strafe nicht von vornherein eher ins Gefängnis als in die Psychiatrie gehört. Oder, ganz platt gefragt: Ist die Psychiatrie der geeignete Ort für Straftäter?

Man kann die Frage sicher bejahen, wenn es zum Beispiel um Menschen geht, deren Delikt in unmittelbarem und ursächlichem Zusammenhang mit einer Drogenabhängigkeit oder einer psychischen Erkrankung steht. Schwieriger dürfte das Urteil schon dann ausfallen, wenn es um Sexualstraftaten von Leuten geht, bei denen ansonsten nichts auf eine psychiatrische Erkrankung hindeutet. Warum etwa wird ein Frauenmörder in die Psychiatrie eingewiesen, ein Raubmörder aber zu Gefängnis verurteilt? Ist die seelische Abnormität im Falle des Sexualtäters größer, ist sie behandelbar, ist der Mord in seinem Fall ein Symptom, im anderen lediglich ein Verbrechen? Ist nicht eigentlich jeder Mord auf seine Art krankhaft? Es mag Gründe geben, warum die Rechtsprechung bei schweren Gewaltverbrechen so ganz unterschiedlich ausfällt. Widersprüchlich ist sie allemal.

Der Versuch, Straftaten als Ausdruck eines krankhaften Geschehens zu interpretieren und zu werten, geht nicht nur auf Kosten der Schuldfähigkeit, sondern auch der Willensfreiheit. Seine Tat braucht der Täter nicht mehr sich selbst zuzuschreiben, sondern kann sie an jene delegieren, die seine Geschicke mit unsichtbarer Hand lenken. Diese Schicksalsmächte sind zum Beispiel (je nach Gutachter oder weltanschaulicher Ausrichtung) schlechte soziale Verhältnisse und Kindheitstraumen oder aber biologische Ursachen, wie Hormone, mangelnde Impulskontrolle im Gehirn, niedriger Intelligenzquotient oder genetische Veranlagung.

Das biologische Erklärungsmodell ist umstritten. In den USA schwingt das Pendel in der öffentlichen gerade wieder von den "naturgegebenen" Ursachen-Hypothesen zurück zu den gesellschaftlichen und psychologischen. Der Hang zur Gewalt werde behandelt, "als wäre er eine ansteckende Krankheit, die in anfälligen Individuen aufblüht und unter unter schlechten sozialen Bedingungen gedeiht", schreibt das amerikanische Wissenschaftsmagazin "Science".

Biologische Erklärungsversuche haben dagegen den Makel des Fatalismus. Gegen die Natur scheint kein Kraut gewachsen. Aber für den Täter sind sie umso perfekter: Nicht er selbst, sondern seine Erbanlagen müssen sich verantworten - oder eben nicht. Gene kennen keine Moral. Die Biologie tilgt die Schuld.

Es ist eine ziemliche Herausforderung, im Unterholz einer Biografie nach den Ursachen einer Straftat zu suchen, ihre sozialen, seelischen oder biologischen Wurzeln bloßzulegen. Mindestens ebenso groß ist die Aufgabe, den Anteil der persönlichen Schuld herauszulesen und schließlich sogar zu dem Schluss zu kommen, eine wie auch immer geartete Therapie in der Psychiatrie könne hilfreich sein und künftige Straftaten verhüten oder verringern.

Angesichts dieser Unsicherheiten erstaunt das Vertrauen von Öffentlichkeit, Politik und Justiz in die Behandlung von Straftätern. Schon das Wort "Therapie" setzt wie eine Zauberformel Hoffnungen frei: Wie schön wäre es, wenn der Hang zum Verbrechen therapierbar wäre. Aber der Therapeut verfügt nicht über magische Kräfte; seine Erfolge halten sich in Grenzen, wie untenstehender Artikel beispielhaft zeigt. Vielleicht wäre es an der Zeit für einen neuen Realismus bei der Bewertung mancher Straftaten, damit nicht immer wieder ähnlich folgenschwere Fehler gemacht werden.

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