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Gesundheit: Tod aus Versehen

In Miami wurde ein Mann erschossen, der manisch war. Der Kampf gegen den Terror – eine Gefahr für psychisch Kranke?

Dass seine Frau ihm nachgelaufen war und den beiden Air Marshalls noch zugerufen hatte, ihr Mann sei psychisch krank und habe seine Medikamente nicht genommen, hat dem US-Amerikaner Rigoberto Alpizar nicht mehr helfen können. Mehrere Schüsse machten dem Leben des Fluggasts ein Ende. Zeitungsberichten zufolge hatte er in der in Parkposition stehenden Maschine mit einer Bombe in seinem Rucksack gedroht und war anschließend ausgestiegen, um den Sicherheitsleuten zu entkommen.

Der Mann litt unter einer bipolaren Störung. Ihre beiden Pole heißen Depression und Manie. Offensichtlich befand er sich gerade in einer manischen Phase. Und tragischerweise konnten die Sicherheitskräfte sein Verhalten nicht richtig interpretieren. „Die Schreckreaktionen eines bipolaren Patienten sehen hoch irritierend und gefährlich aus“, erklärt Peter Bräunig, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen und Chefarzt der Psychiatrie im Berliner Vivantes Humboldt-Klinikum.

Ganz generell gelten psychisch kranke Menschen häufig nicht nur als unberechenbar, sondern auch als besonders gewalttätig. Das führt zur Stigmatisierung, die Psychiater inzwischen schon als „zweite Krankheit“ ihrer Patienten betrachten. Besonders an einer Schizophrenie Erkrankte haben mit diesem Image zu kämpfen. „Dabei wird das Gefahrenpotenzial von Laien stark überschätzt“, stellte kürzlich auf dem Psychiatriekongress Wolfgang Gaebel, Leiter der Klinik für Psychiatrie der Uni Düsseldorf, fest.

Unterschätzt wird umgekehrt die Lebensgefahr, die psychische Krankheiten für die Betroffenen selbst beinhalten. Das gilt vor allem für die Krankheitsbilder, die von den Fachleuten als „affektive Störungen“ bezeichnet werden: Neben den unipolaren Depressionen gehören dazu vor allem die bipolaren Erkrankungen, früher besser bekannt als manisch-depressive Störung (siehe Infokasten). Wenn die Depression von ihnen Besitz ergreift, versucht fast ein Drittel der Erkrankten irgendwann einmal, sich das Leben zu nehmen. 15 Prozent der Versuche enden mit dem Tod.

Neben Phasen der Niedergedrücktheit gibt es aber auch die manischen Zustände, in denen Stimmung, Antrieb, Aktivität und Selbstgefühl extrem gesteigert sind. Die „Hypomanie“ ist gewissermaßen die Light-Version dieser Steigerung, für viele ein angenehmer Zustand voller Tatendrang und Schwung. Von zahlreichen Künstlern wird vermutet oder ist sogar belegt, dass sie solche Phasen kannten, unter ihnen van Gogh, Hemingway und der Musiker Sting. Bei einer echten Manie jedoch ist die Fähigkeit zur angemessenen Einschätzung von Situationen und Mitmenschen stark eingeschränkt. Zudem sind viele sehr leicht zu reizen und auch besonders rechthaberisch und aggressiv. Mit Demonstrationen ihrer Macht tragen Sicherheitskräfte deshalb unbeabsichtigt zur Eskalation bei.

Ein Teufelskreis. In Deutschland hat es einen vergleichbareren Fall wie jetzt in den USA noch nicht gegeben. Trotzdem mahnt Mazda Adli, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie der Charité Campus Mitte und dort mitverantwortlich für die Spezialambulanz für bipolare Störungen: „Auch bei uns gibt es erhöhte Angst vor Terror, deshalb müssen besonders Sicherheitskräfte unbedingt besser über psychische Krankheiten aufgeklärt sein.“

Mehr Aufgeklärtheit wünschen sich die Psychiater aber eigentlich bei allen. „Oft dauert es viele Jahre, bis ein Betroffener zur Krankheitseinsicht kommt, und typischerweise geht dem erst ein extremer Absturz voraus“, bedauert Dieter Borchers, von der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen. Mit einer Mischung verschiedener Präparate, unter ihnen Lithium, Neuroleptika und Antidepressiva, kann man den bedrohlichen Phasen vorbeugen, aber auch eine Manie oder eine Depression behandeln. „Wir haben inzwischen gute neue Medikamente mit wenig Nebenwirkungen, wir können individuell therapieren und haben auch mit begleitender Psychotherapie gute Erfolge", versichert Adli.

„Man muss bei der Einstellung ein bisschen Geduld haben, dann kann man mit der richtigen Medikamentenkombination ein normales Leben führen“, bestätigt die Berlinerin Ramona Freitag, bei der die Diagnose 1983 gestellt wurde und die sich ganz bewusst offen dazu bekennen möchte. „Leider werden viele bipolare Patienten nicht richtig diagnostiziert und segeln unter der falschen Flagge der Depression“, sagt Bräunig. Als Beleg dienen zwei Zahlen: „In Deutschland bekommen nur 56 000 Patienten Lithium, aber wir haben schätzungsweise eine Million Erkrankte.“

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