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Gesundheit: Tragisches Genie

Vor 100 Jahren erschoss sich Paul Drude

Es war ein Schock für die physikalische Welt, als vor hundert Jahren die Zeitungen den Freitod des Berliner Physikprofessors Paul Drude meldeten. Dies nicht allein wegen der Tragik des frühen und selbst gewählten Todes – Drude stand kurz vor Vollendung des 43. Lebensjahres –, sondern auch, weil die Physik eines ihrer größten Talente verlor.

Mit einer Fülle herausragender Arbeiten, die ihn zu einem der Protagonisten der Maxwell’schen Elektrodynamik machten, hatte Drude in den vorangegangenen Jahren beeindruckt. Diese Forschungen berechtigten zu großen Hoffnungen, weshalb die Berliner Physiker dem gerade erst 41-Jährigen den wichtigsten Physiklehrstuhl Deutschlands antrugen.

Im Frühjahr 1905 war Drude in die Hauptstadt übergesiedelt, womit der Gipfel der Karriere eines deutschen Physikprofessors erreicht war. Im selben Jahr wählte ihn die Berliner Akademie zum Mitglied, die Physikalische Gesellschaft zum Vorsitzenden. Zudem wurde ihm die Herausgeberschaft der damals wichtigsten physikalischen Fachzeitschrift, die Annalen der Physik, übertragen.

Doch diese Würden wurden für Drude auch zur großen Bürde. So stand er als Direktor des Berliner Physikalischen Instituts nicht nur in der wissenschaftlichen Tradition eines Hermann von Helmholtz, der das Institut zu internationaler Anerkennung geführt hatte. Er hatte zudem eine Institution zu leiten, in der neben wissenschaftlicher Kreativität in starkem Maße auch administrative Fähigkeiten sowie gesellschaftliche Repräsentation gefordert waren.

Unter der Last dieser Aufgaben, den Anforderungen des Berliner Großinstituts wie der damit verknüpften akademischen und gesellschaftlichen Stellung, hat Drude mehr und mehr gelitten. Das führte anscheinend zu so starken Depressionen, dass er am Nachmittag des 5. Juli 1906, mitten in Prüfungen und unmittelbar vor Semesterende, freiwillig aus dem Leben schied.

Geboren am 12. Juli 1863 in Braunschweig studierte Drude nach dem Abitur zwischen 1882 und 1887 in Freiburg, Berlin und Göttingen Mathematik und Physik. Unter dem Einfluss seines Göttinger Lehrers Woldemar Voigt wandte er sich ganz der Physik zu und promovierte 1887 über das optische Verhalten absorbierender Kristalle.

Metalloptische Untersuchungen bildeten in den folgenden Jahren den Mittelpunkt seines Schaffens, das ihn als Assistenten und Privatdozenten weiterhin in Göttingen sah. 1894 folgte er einem Ruf als außerordentlicher Professor an die Universität Leipzig. Sechs Jahre später ging er als ordentlicher Professor und Direktor des Physikalischen Instituts nach Gießen, 1905 wurde er an die Berliner Universität berufen.

In den knapp zwei Jahrzehnten zwischen Göttingen und Berlin profilierte sich Drude zu einem der führenden Physiker seiner Zeit. Als mit dem experimentellen Nachweis der elektromagnetischen Wellen durch Heinrich Hertz (1886/87) die Optik endgültig zu einem Bestandteil der Elektrodynamik geworden war, versuchte Drude die elektromagnetische Lichttheorie systematisch auf die Erklärung optischer Phänomene und die Wechselwirkung von Licht und Materie anzuwenden.

Die Entdeckung des Elektrons (1896) und die sich darauf gründende Elektronentheorie seines einstigen Göttinger Kollegen Eduard Riecke wurden von Drude aufgegriffen und weiterentwickelt. Mit der Annahme, dass die in einem Metall existierenden freien Elektronen der Boltzmann-Statistik folgen, konnte er eine schlüssige Elektronentheorie der metallischen Leitung aufstellen, aus der sich beispielsweise (allerdings nur qualitativ) die Temperaturabhängigkeit der elektrischen Leitung ergibt.

Sie liefert erstmals eine theoretische Ableitung des bislang nur empirisch gesicherten Wiedemann-Franz’schen Gesetzes über den Zusammenhang zwischen elektrischer und Wärmeleitfähigkeit – nach Max Planck „die bedeutendste unter den theoretischen Leistungen Drudes“. Drudes Elektronentheorie stellt den ersten und entscheidenden Schritt auf dem Weg zu unseren heutigen Vorstellungen vom Elektronengas in Metallen dar. Sie ist wegen seiner Einfachheit und Anschaulichkeit bis heute Ausgangspunkt für die Beschreibung der elektrischen und optischen Eigenschaften von Festkörpern und damit zentraler Bestandteil der modernen Physik.

Markiert Drudes wissenschaftliches Werk den Übergang von der klassischen zu modernen Physik, so ist sein tragisches Lebensschicksal ebenfalls ein Dokument des Wandel, den der Wissenschaftsbetrieb generell an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vollzog – mit seiner Hinwendung zum Großbetrieb und dem Auszug von Naturwissenschaft und Physik aus dem Elfenbeinturm reiner Gelehrsamkeit und puren Forscherdrangs.

Den 100. Todestag seines Namenspatrons begeht das Berliner Paul-Drude-Institut für Festkörperelektronik am 5. Juli (10–16 Uhr) mit einem Kolloquium im Magnus-Haus, Am Kupfergraben 7.

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