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Gesundheit: Trittbrettfahrer kriegen was auf die Finger

England Mitte der 80er Jahre. Landesweit streiken Bergarbeiter, um gegen die geplante Schließung von 20 Zechen zu protestieren.

England Mitte der 80er Jahre. Landesweit streiken Bergarbeiter, um gegen die geplante Schließung von 20 Zechen zu protestieren. Wer sich weigert, wird aus Vereinen ausgeschlossen und von den Nachbarn geschnitten. Hin und wieder kommt es zu Ausschreitungen gegen Streikbrecher.

Solche Sanktionen sollen helfen, Abtrünnige in die Gruppe zurückzuführen. Doch warum strengen sich Einzelne überhaupt an, andere zu strafen? Zwei Wirtschaftswissenschaftler, Ernst Fehr von der Universität Zürich und Simon Gächter von der Universität St. Gallen, haben jetzt gezeigt, dass dieses Verhalten für das Funktionieren unserer Gesellschaft elementar ist (veröffentlicht im Fachblatt "Nature", Band 415, Seite 137). Denn viele Bereiche des Zusammenlebens sind nicht durch Gesetze geregelt, sondern beruhen auf stillschweigendem Übereinkommen. Kämen Trittbrettfahrer immer ungestraft davon, so würde dieses Prinzip bald nicht mehr funktionieren.

Für ihr Experiment teilten die Ökonomen 240 Studenten in Vierergruppen ein. Jedes Gruppenmitglied erhielt 20 Franken. Einen Teil dieses Betrages - auch alles oder gar nichts - konnten die Studenten anonym in ein Gemeinschaftsprojekt, ein öffentliches Gut, investieren. Für jeden investierten Franken wurden anschließend 1,60 Franken ausgeschüttet und auf die vier Mitglieder der Gruppe verteilt. Die eigene Investition war also ein Verlust, denn man bekam nur 40 Rappen ausgezahlt. Setzten aber alle Spieler den gleichen Betrag, so stieg ihr Guthaben um jeweils 60 Prozent, bei vollem Einsatz von 20 auf 32 Franken. Jeder Teilnehmer profitierte also von den Einsätzen der anderen - auch, wenn er selbst nichts zum Gemeingut beitrug.

Hätten die Studenten nur ihren Vorteil im Auge und würden diesen nach rein rationalen Gesichtspunkten suchen, wie die Spieltheorie besagt, so würde sicherlich keiner der Spieler einen einzigen Franken in das Gemeinschaftsprojekt stecken.

In der ersten Runde des Spiels zahlten die Teilnehmer jedoch durchschnittlich zehn Franken ein. Die Trittbrettfahrer aber überhaupt nichts. Wer viel investierte, machte also Verluste und änderte in der nächsten Runde sein Verhalten. Dieses "Wie Du mir, so ich Dir", setzte sich fort. In der sechsten Runde wurden im Durchschnitt weniger als sechs Franken eingesetzt.

Ab der siebten Runde wurde eine zusätzliche Regel eingeführt: Nachdem jeder Spieler seinen Betrag investiert hatte, wurde die Gruppe über alle Einzahlungen informiert. Daraufhin durfte jeder Teilnehmer seine Mitspieler mit einem Bussgeld belegen, musste allerdings eine entsprechende Gebühr für diese Strafaktion entrichten. Obwohl die Bestrafung von Trittbrettfahrern also den eigenen Gewinn reduzierte, wandten 84 Prozent diese Maßnahme an.

Die Strafen zeigten Wirkung. Die Trittbrettfahrer erhöhten ihre Einsätze; die Erlöse stiegen für alle - von Runde zu Runde. Während die durchschnittliche Investition in sechs Runden Spiel ohne Strafrunde auf fast die Hälfte gefallen war, waren die Einsätze nach sechs Runden mit Strafen auf knapp 16 Franken angestiegen.

Das Fazit: Durch Bestrafung kann Kooperation aufrechterhalten werden. Andere Erklärungen scheiden aus. Da die Teilnehmer nicht verwandt waren, schied Vetternwirtschaft als Motiv aus. Außerdem blieben die Spieler anonym, und nach jeder Runde wurde die Zusammensetzung geändert. Wer jemand anderen bestrafte, konnte sich also keinen Vorteil davon versprechen.

Warum also strafen, wenn es mich selbst etwas kostet und ich nicht mal davon profitiere? Die Antwort der Forscher: Niemand lässt sich gern ausnutzen. Tatsächlich haben Befragungen der Studenten ergeben, dass die fairen Spieler Antipathien gegen die Trittbrettfahrer hegten. Die Stärke dieser Gefühle korrelierte mit der Ausbeute: Je weniger die Trittbrettfahrer zum Gemeingut beitrugen, desto grösser der Ärger der anderen. Um diese Gefühle auszuleben, nahmen viele Spieler Kosten auf sich.

Trotz dieser Nachteile hat sich das selbstlose Bestrafen in der Evolution durchgesetzt. Das auf den ersten Blick rein emotionale Verhalten muss also mit Vorteilen verbunden sein. Eine mögliche Erklärung wäre die "indirekte Reziprozität": Lebt man in einer kleinen Gruppe, so treffen deren Mitglieder immer wieder aufeinander. Es spricht sich schnell herum, wer sich ausnutzen lässt und wer nicht. In diesem Fall ist es wichtig, sich Respekt zu verschaffen und zukünftiger Ausbeutung vorzubeugen. Die emotionale Entscheidung für die Strafe erweist sich deshalb als sinnvoll.

Eine andere Erklärung ist das "Gruppenselektionsmodell": Werden Nutznießer in einer Gruppe häufig bestraft, funktioniert die Kooperation innerhalb dieser Gruppe besser als in einer vergleichbaren ohne Sanktionen - bei der Jagd, bei der Erhaltung gemeinsamer Ressourcen oder im Kriegsfall. Ein solches Team wäre einer Gruppe Egoisten überlegen und sollte deshalb die besseren Überlebenschancen haben.

Vera Bettenworth

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