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Gesundheit: Trommeln für die Ganztagsschule

Bildungsministerin Bulmahn besucht ihre Lieblingsprojekte. Sie trifft begeisterte Eltern, engagierte Betreuer – und wohl behütete Kinder

Ein Spalier applaudierender und fähnchenschwenkender Kinder, Eltern und Lehrer für die Mutter der neuen Ganztagsschulen. Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hat es genossen. Zwei Tage lang konnte sie sich im Rheinland in den ersten Erfolgen ihres Reformprojekts baden. Eine Reform ganz nach altem Geschmack ist das: Sie wird allerorten als Wohltat und sozialer Fortschritt verstanden. „Ich bin froh, dass meine Tochter heute Beruf und Familie mit Kleinkind leichter auf die Reihe bringen kann als ich vor 28 Jahren“, sagt die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD), die früher selber Lehrerin war.

Die Teilnahme an der Nachmittagsbetreuung ist freiwillig. Die Zehnklässler einer Hauptschule in Remagen sind geschlossen dabei. Sie sind froh, dass sie bei ihren Hausaufgaben nun direkt die Lehrer fragen können, wo vorher die Eltern ratlos waren, sagen die Schüler. Sie wollen am Ende noch einmal gute Noten haben. Damit sie eine Lehrstelle finden.

Eltern machen Druck

„Die Welt erklärt man nicht an einem halben Tag.“ Unter dieser Parole stellt Bulmahn für Länder und Kommunen vier Milliarden bereit, um den Nachmittagsbetrieb auszubauen. Das Geld muss laut Grundgesetz „investiert“ werden, darf also nur für neue Räume und Anlagen, Geräte oder Bücher ausgegeben werden. Die zusätzlichen Personalkosten bleiben an den Bundesländern und den Gemeinden hängen. Dabei spielen bislang vor allem SPD-geführte Kommunen mit. Bulmahn verweist besonders auf Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Berlin und Brandenburg. Vor Ort sieht das Bild freilich bunter aus. Die Bonner CDU-Ratsmehrheit wollte zunächst nicht mehr als fünf Pilotschulen, berichtet die Oberbürgermeisterin. Aber auf Druck der Eltern wurden jetzt sechs weitere bewilligt.

Engagement von allen Seiten: Der Vertreter des Remagener Arbeitsamtes berät die Hauptschüler jetzt am Nachmittag in ihrer Schule. Der rheinland-pfälzische Landeselternsprecher Dieter Dornbusch lobt kreative Arbeitsgemeinschaften, die auf einmal überall entstehen. Und Pastoralreferentin Dorothe Weber-Schmitz, bietet ein „Präventionsprojekt der katholischen Kirche“ an: Sie klärt die Hauptschüler über Safer Sex auf.

Gelegentlich wird Ministerin Bulmahn bei ihrer zweitägigen Ganztagsschul-Tour durch Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz auch kritisiert. Aber ungewohnt leise – und nur in Detailfragen. Eine Bonner Mutter klagt, dass Elterninitiativen „bürokratisch überfordert“ seien. Die sind in Nordrhein-Westfalen formell Träger des Nachmittagsprogramms und damit für die gesamte Organisation verantwortlich, auch für die Verträge mit dem Unterrichtspersonal. Mancher, wie der Trainer vom örtlichen Judo-Verein, arbeitet auf Stundenbasis, andere haben 400-Euro- oder Halbtags-Jobs. Oberbürgermeisterin Dieckmann reagiert sofort: Die Verwaltung – mit allen Meldepflichten als Arbeitgeber gegenüber den Finanz- und anderen Ämtern – müsse künftig die Stadt übernehmen.

In Remagen fühlt sich der Schulleiter für die Organisation des Nachmittagsangebots zuständig. Und er hat für Bulmahn und ihre rheinland-pfälzische Amtskollegin Doris Ahnen eine Überraschung im Programm: Michel Sanya Mutambala, Asylbewerber aus dem Kongo, mit seiner Trommler-AG. „Das hat mich fast vom Stuhl gerissen!“, lobt Zuhörerin Bulmahn den Entertainer. So spielend kann man Multi-Kulti nicht in der Halbtagsschule lernen. Auch der kleine Ort Gielgen, dort wo Bonn sich im Siebengebirge verliert, wird nachmittags zum globalen Dorf: Grundschülerinnen üben zu arabischer Musik Bauchtanz.

Aus für die Horte

In vielen Gemeinden ist zu hören, die Ganztagsschule wandele das gesamte Schulklima. Auf die bürokratisch korrekte Frage, wie denn das „außerunterrichtliche“ Personal am Nachmittag mit den traditionellen Lehrern zurecht komme, antwortet ein Sanitätsausbilder: „Die Unterscheidung ist hier falsch. Wir alle sind ein Kollegium. Bei uns stimmt die Chemie.“ Die Schulen, scheint es, werden jetzt zu lokalen Gemeinschaftshäusern. Hauptberufler und Ehrenamtler, Vereinstrainer und kirchliche Jugendseelsorger entscheiden gemeinsam mit Lehrern und Eltern, was den Schülern am ehesten angeboten werden kann und soll.

„Gott sei Dank haben Bund und Länder keine Lehrpläne für den Nachmittag vorgeschrieben“, sagt die Bonner Oberbürgermeisterin. Lediglich den großen Rahmen stecken die Bundesländer selber ab. An Rhein und Ruhr beschränkt sich das Ganztagsangebot auf Grundschulen, und die Eltern müssen sechzig bis achtzig Euro im Monat selber zahlen. In Rheinland-Pfalz ist die Verlängerung gebührenfrei, und zwar bis zum Abitur.

Die Erneuerung hat unvermeidlich ihre Verlierer. Das sind die Traditionsverbände der „freien Jugendpflege“ von der Caritas bis zur Arbeiterwohlfahrt mit ihren Horten. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es mehr als vierzigtausend Hort- und damit viertausend Arbeitsplätze für professionelle Erzieherinnen. Die zuständige Ministerin Ute Schäfer erklärt in Bonn klipp und klar: „Auf Dauer wollen wir die Landesmittel für die Horte in die neuen Ganztagsschulen umschichten.“ Dort würden mit demselben Geld mehr Kinder erreicht und mehr Helfer mobilisiert. Die lokale Community macht sich stark gegenüber allen amtlichen Sozialagenturen.

Informationen im Internet unter: www.ganztagsschulen.de

www.kmk.org/aktuell/home.htm

www.pro-hort.de

Hermann Horstkotte

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