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Gesundheit: „Tumultierende Studenten“

500 Jahre Viadrina: Zuerst gewann die Uni den Elite-Wettbewerb des Mittelalters. Doch dann stürzte sie ab. Ein Gang durch ihre wechselvolle Geschichte

Der Wettbewerb um die Elite in den deutschen Landen ist hart. Wer bietet die beste Universität an, die am meisten Studenten und Wissenschaftler anzieht, fragen sich kluge Köpfe von Tübingen bis Greifswald, von Köln bis Leipzig – und auch in Berlin und Brandenburg. Der brandenburgische Landesfürst, die Stadtherren und der Unirektor in Frankfurt an der Oder haben schließlich eine geniale Idee. Sie versprechen eine Art neue Wunder-Uni: Dort würden „die Geheimnisse aller göttlichen und menschlichen Dinge“ bekannt gegeben, heißt es in einem Schreiben des Rektors. Sie wollen so eine Schwäche der Konkurrenten ausnutzen: Die begnügen sich meistens mit einem profanen Hinweis auf ihre Studiengänge, wenn sie um Studenten werben.

Die Strategie geht auf. Als die Viadrina-Universität („die an der Oder gelegene“) in Frankfurt im Jahr 1506 gegründet wird, ist sie eine Sensation. 900 Studenten immatrikulieren sich, ein bis dahin einsamer Rekord im Reich.

Wenn die Viadrina heute mit den Feiern zu ihrem 500. Geburtstag beginnt, blickt sie trotz ihres triumphalen Starts auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Ja, lange schien es undenkbar, dass die Viadrina, die erste brandenburgische Landesuniversität und damit die Wiege des akademischen Lebens in der Region, überhaupt die Jahrhunderte überleben würde. 1811 schlossen die Preußen ihre älteste Hochschule sogar wieder, erst 1991 wird sie neu gegründet.

Ähnlich wie heute galt an der Schwelle vom Mittelalter zur frühen Neuzeit eine starke Universität für viele deutsche Landesfürsten und Stadtväter als „Wettbewerbsvorteil“, sagt der Historiker Martin Kintzinger. Und zwar beim Bemühen darum, wichtige Handelswege ins eigene Territorium zu lenken. Eine Uni zog viele Gelehrte und Studenten an – und je größer eine Stadt war, desto attraktiver wurde sie für Kaufleute, sagt Kintzinger, der die Gründung der Viadrina erforscht hat. Eine Uni war umso wichtiger, wenn einer Stadt der Niedergang drohte.

So auch in Frankfurt. Mit 5500 Einwohnern ist es in der Zeit eine normale Mittelstadt und dank der günstigen Lage an der Oder schon lange ein Handelszentrum. Im Vergleich mit anderen Städten gerät es um 1500 ins Hintertreffen. Konkurrenten wie Leipzig, Rostock und Greifswald haben in den Jahrzehnten zuvor eine Uni aufgebaut. Vier Jahre zuvor eröffnet zum Schrecken der Frankfurter das benachbarte Wittenberg seine Universität. Kein Wunder also, dass die Stadtväter die Gründung vorantreiben.

Die brandenburgischen Kurfürsten unterstützen das Vorhaben. Unis sollen im Deutschland der frühen Neuzeit auch die Beamten, Diplomaten und Leibärzte ausbilden, die der Fürst braucht. Und wer will seine Beamten schon beim Rivalen im Nachbarfürstentum in Lehre gehen lassen? Berlin ziehen die Kurfürsten als Standort nicht in Erwägung. Die ökonomische Bedeutung der Stadt ist zu gering.

Nach ihrem phänomenalen Start stürzt die Viadrina zunächst ab. Die Erstsemesterzahlen verringern sich drastisch (1508 kommen nur 140 Studienanfänger), viele Gelehrte fliehen nach kurzer Zeit. Sie hätten sich auf das Versprechen der Uni verlassen, ein akademisch anspruchsvolles Programm aufzulegen, sagt Kintzinger: „Das wurde aber nicht gehalten.“

Zu einer „ost-westlichen Begegnungsstätte“ entwickelt sich die Uni nach dem turbulenten Auf und Ab dennoch in der Folgezeit, heißt es auf der Viadrina-Homepage stolz – ganz wie heute also. Die Viadrina ist damals für viele Jugendliche aus Osteuropa tatsächlich ein günstiger Ort für ein Studium. Sehr viele andere Unis gibt es östlich der Oder schließlich nicht. Allerdings steht für junge Polen im 17. und 18. Jahrhundert Frankfurt als Studienort erst an vierter Stelle, deutlich nach Leipzig, Halle und Göttingen. Die meisten kommen nicht von weit her, sondern aus der Umgebung. Viele ziehen schon nach ein oder zwei Semestern weiter. Zudem wird mit der Gründung eine Landeskinderklausel eingeführt: Junge Brandenburger werden bei der Aufnahme bevorzugt.

Kritik an der Viadrina kommt immer wieder auf: Vor allem an der Disziplinlosigkeit der Studenten und Professoren, die später Einzug hält. „Es war jederzeit herkommens und bräuchlich, dass die Degen und das Gewehr, so den tumultierenden Studenten des Nachts auff der Gasse abgenommen worden, des andern Tages dem Rectori eingelieffert werden müssen", beklagt sich 1673 der Große Kurfürst. Auch die prominenten Studenten – die Humboldt-Brüder, Heinrich von Kleist, Carl Philipp Emanuel Bach und Ulrich von Hutten – äußern sich wenig schmeichelhaft über ihre Alma mater.

Preußische Historiker fällten deswegen ein vernichtendes Urteil: Eine Provinzuni sei die Viadrina gewesen, die man völlig zu Recht geschlossen habe. In den letzten Jahren wurde die Oder-Uni jedoch rehabilitiert. Anders als heute sei es in der Frühen Neuzeit die Hauptaufgabe aller deutschen Unis gewesen, treue Landesdiener auszubilden, sagt Notker Hammerstein, der Nestor der deutschen Unigeschichtsschreibung. Als eine solche Ausbildungsstätte habe die Viadrina im reichsweiten Vergleich gut mithalten können. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts setzt sie sich sogar an die deutsche Spitze. Als die Uni Heidelberg, bis dahin ganz vorne, im Dreißigjährigen Krieg zerstört wird, übernimmt Frankfurt ihre Rolle. Dazu tragen gute Professoren bei – und der enge Kontakt des Großen Kurfürsten nach Holland, der zu einem Austausch mit der in Europa führenden Uni Leiden führt.

Der schleichende Abstieg Frankfurts, der dann einsetzt, war „politisch gewollt“, sagt Hammerstein. Er beginnt, als der Brandenburgische Kurfürst 1694 die Universität Halle gründet. Dort sitzen Philosophen der Aufklärung, Studenten lernen mit neuen Methoden, Kranke zu heilen. Der Kurfürst und später die preußischen Könige stürzen sich auf die neue Uni und vernachlässigen Frankfurt. Das Ende der Viadrina besiegelt 1810 die Gründung der Berliner Universität. Der Grund für die Fusion der Frankfurter Hochschule mit der in Breslau klingt vertraut: Eine weitere Uni in der Nähe der neuen zu unterhalten, war den Preußen schlicht zu teuer.

Das Jubiläum wird heute mit einem Festakt gefeiert. Der Historiker Fritz Stern und Bronislaw Geremek, Ex-Außenminister Polens, erhalten die Ehrendoktorwürde.

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