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Gesundheit: Überlebenskünstler

Die wenigen hundert Ureinwohner auf der indischen Inselgruppe der Andamanen haben die Flutwelle offenbar überstanden. Gefährdet sind sie aber trotzdem

Ein Paradox: Da versagen die Warnsysteme der hoch technisierten Welt, Radarsysteme, E-Mails, Radio, Telefon können nicht verhindern, dass bis zu 200 000 Menschen durch die Flutwelle sterben. Und gleichzeitig, nur 500 Kilometer vom Epizentrum des Bebens entfernt, auf einer Inselgruppe im Golf von Bengalen, halten steinzeitlich lebende Menschen inne. Horchen. Beobachten die Vögel, den Wind, das sich zurückziehende Meer. Geben sich Zeichen, laufen zu den höchsten Punkten der Insel, klettern auf Bäume. Und überleben die Welle.

So ähnlich muss es gewesen sein auf den Andamanen, jener Inselgruppe, die, zusammen mit den Nikobaren, rund 1000 Kilometer östlich von Kalkutta liegt. Einige der insgesamt rund 500 Inseln, von denen nur 30 bis 40 bewohnt sind, sind von der Flutwelle überspült worden und offenbar verrutscht oder gar verschwunden.

Die knapp 500 Ureinwohner der nördlich gelegenen Andamanen, die zum Teil noch ohne Kontakt zur Zivilisation leben, sind nach Angaben der indischen Küstenwache jedoch lebend gefunden worden; die Nord-Sentinelesen beschossen gar einen Hubschrauber, der auf der Suche nach ihnen in der Luft kreiste, mit Pfeilen. Wie es übrigens ihre Gewohnheit ist: Die etwa 100 Nord-Sentinelesen gehören zu den feindseligsten Stämmen auf den Andamanen, fast alle Kontaktversuche endeten bisher in einem Hagel aus Pfeilen. Wie auch die Onge (etwa 100 Menschen) und die Jarawa (etwa 300) gehören die Sentinelesen zu den „Negritos“, sie sind klein und schwarzhäutig, haben aber zum Teil blonde Locken.

„Um die Stämme auf den Andamanen habe ich mir nicht so viele Sorgen gemacht“, sagt Claudia Krebs, Ethnologin und Kustodin für Südasien am Leipziger Museum für Völkerkunde. „Sie leben seit 30 000 Jahren auf diesen Inseln, auf denen es immer wieder zu Beben kommt, und wissen die Zeichen zu deuten.“

Anders sieht es auf der südlichen Inselgruppe der Nikobaren aus: Hier leben um die 30 000 Ureinwohner zentralasiatischen Ursprungs, zumeist in Küstennähe. Sie sind am stärksten assimiliert, handeln mit den indischen Siedlern und bauen Gemüse an. Von den Nikobaresen sind offenbar tausende in der Flut umgekommen, und die Hilfe läuft nur schleppend an, weil die indische Regierung die Arbeit der ausländischen Hilfsorganisationen bisher auf die Inselhauptstadt Port Blair beschränkt.

„Überlebt haben diejenigen Ureinwohner, die am stärksten zurückgezogen und naturverbunden leben“, sagt Ulrich Delius, Asienreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker. Er hofft, dass diese Tatsache den Indern, die die „Wilden“ traditionell verachten, etwas mehr Respekt einflößt. Die indische Regierung jedenfalls hat angeordnet, die Frühwarnsysteme der Ureinwohner zu studieren, um Küstenbewohner besser schützen zu können.

Die Andamanen und Nikobaren wurden von den Briten kolonisiert, die dort eine Strafkolonie errichteten, und gehören seit der indischen Unabhängigkeit rechtlich zu Indien. Die meisten der rund 370 000 Menschen, die hier vor der Flut lebten, sind Siedler aus Indien, auch viele Militärs und Ex-Militärs, denn die indische Regierung unterhält auf Cap Nicobar eine – inzwischen zerstörte – Militärbasis zur Überwachung der strategisch bedeutsamen Seestraße von Malacca.

Das ist einer der Gründe, warum Ausländer schwer Zugang zu den Inseln haben: Einige können nur mit Sondererlaubnis betreten werden. Die Ethnologin Claudia Krebs etwa wollte vor Ort das Leben der Stämme auf den Andamanen erforschen, erhielt aber keine Erlaubnis: „Nur indische Wissenschaftler dürfen dort forschen.“ Was wir über das Leben der Ureinwohner auf den Andamanen wissen, stammt zu großen Teilen aus den Forschungen des Inders Vishvajit Pandya, der in den Achtzigern ein Jahr bei den Onge gelebt und ihre Sprache gelernt hat. Die Ureinwohner leben demnach tatsächlich wie in der Altsteinzeit: Sie ernähren sich von Fischen, die die Männer mit Pfeil und Bogen töten oder die die Frauen in Lagunen aufsammeln, sie jagen, sammeln Beeren und Honig und bauen nichts an. Je nach Saison wandern sie von der Küste ins Inland und wieder zurück. In ihrer Vorstellung teilen sie sich die Insel mit den Geistern, denen sie sich nah verbunden fühlen: Kinder, die geboren werden, gelten als Wiedergeburten der Großeltern. Eine Hierarchie zwischen Männern und Frauen gibt es nicht, so Krebs.

Doch auch das Leben der Ureinwohner ist im Wandel. Während die Nord-Sentinelesen und die Shompen (etwa 250 Menschen) bisher alle Kontakte mit der Außenwelt erfolgreich abgewehrt haben, besuchen die rund 300 Jarawa hin und wieder nahe gelegene Siedler-Ortschaften. Eine Straße, die ihr Gebiet durchschneidet, führt immer wieder Fremde zu diesen Negritos. Die Onge, die Pandya vor 20 Jahren studierte, sind mittlerweile zwangsangesiedelt worden – sie können nicht mehr frei schweifen und gehen nur noch teilweise auf Jagd.

„Nomaden sind für alle Regierungen ein Ärgernis“, sagt Ulrich Delius. Wie überall drohen den Ureinwohnern Gefahren durch die Einschränkung ihres Lebensraums, westliche Krankheiten, Alkohol, Identitätsverlust. Und jetzt natürlich durch die Flutwelle: Sie hat große Massen von Schutt an die Strände geschwemmt und damit die Korallenriffe zerstört, in denen die Ureinwohner fischen. „Sie haben zwar überlebt“, sagt Delius. „Aber ihre Zukunft sieht trotzdem düster aus.“

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