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Gesundheit: Umwege zur Demokratie

Die Alliierten haben die Deutschen nach 1945 nicht nur umerzogen – sie setzten auch auf Kontinuität

„Ich bin stolz, mir trotz mancher Widerwärtigkeiten doch meinen Glauben bewahrt zu haben“, heißt es im Tagebuch eines Berliners Ende April 1945. Drastisch führen die Alliierten den Deutschen nach Kriegsende vor Augen, was es mit diesem Glauben auf sich hatte. Mit eigenen Augen sollen sie die Wirklichkeit der (nunmehr befreiten) Konzentrationslager sehen. In den Kriegsgefangenenlagern werden Fotos der KZs an die Bäume gehängt: Der Beginn der Resozialisierung der deutschen Gesellschaft. „Alles deutete auf eine dunkle Zukunft, doch in die Scham über das Vergangene mischte sich mehr und mehr ein Gefühl der Befreiung“, sagt Hermann Graml, 1945 Kriegsgefangener der Alliierten, heute einer der prominentesten Zeithistoriker Deutschlands.

Die Ergebnisse ihrer Forschung zur „Errichtung der Besatzungsverwaltungen“ in Ost und Westdeutschland präsentierten jetzt Hermann Graml und Jan Foitzik, beide vom Institut für Zeitgeschichte in München und Berlin, zum Auftakt einer Vortragsreihe zur Nachkriegszeit im Haus der Demokratie. Die Politik der Alliierten folgt zunächst Sicherheitsbedürfnissen. Sie wollen den Militarismus beseitigen, die Rüstungsindustrie demontieren und die geistigen Wurzeln des deutschen Expansionismus bekämpfen. Die gezielte Suche nach den Schuldigen an den NS-Verbrechen zeigt, dass ein Kollektivschuld-Vorwurf im Handeln der Alliierten keine Rolle spielte. In wirtschaftlicher Hinsicht trugen die Demontage von Rüstungsbetrieben und reparationspolitische Zugriffe im Westen freilich keine vernichtenden Züge: „Die Wirtschaft der Westzonen erreichte 1947 dreißig Prozent ihrer Produktivität des Jahres 1936“, sagt Graml.

Es entsteht eine neue Pressekultur. Alliierte Blätter wie die „Wandlung“, „Sammlung“ oder „Gegenwart“, in denen neue Literatur internationaler Autoren zu finden ist, werden gut angenommen. „Sie wurden aufgesogen wie Regenwasser auf dürrer Savanne“, sagt Hermann Graml. „Die Neue Zeitung“, deren Feuilleton-Redakteur Erich Kästner wird, gehöre zu den besten deutschen Zeitungen des letzten Jahrhunderts. „Die Tatsache, dass sie von Rotationsmaschinen einer Münchner Druckerei gedruckt wurde, die bis Mai 1945 den ,Völkischen Beobachter’ produzierten, ändert nichts daran“, sagt Graml. Einschränkungen der wiedererlangten Pressefreiheit betreffen Schriften mit NS-Ideologie sowie Kritik an der alliierten Besatzung.

Die Rolle der Alliierten bei der Umerziehung der deutschen Gesellschaft sei bislang überschätzt worden, fand Graml jetzt heraus. Sozialstaat, Föderalismus und Berufsbeamtentum mussten nicht von den Siegermächten implementiert werden. Diese Dinge hatte es in Deutschland schon einmal gegeben. Kontinuitäten gibt es allerdings auch in negativer Hinsicht, legen doch die Besatzer in den Westzonen bei der Entnazifizierung einen zunehmenden Pragmatismus an den Tag. Als unentbehrlich erachtete Fachleute akzeptieren sie nicht selten trotz brauner Vergangenheit. Eine intensive Kooperation mit einem solchen „Fachmann“ geht beispielsweise der CIA mit Generalmajor Reinhard Gehlen ein, unter Hitler Chef der nachrichtendienstlichen Abteilung „Fremde Heere Ost“.

Die Zusammenarbeit der CIA mit der „Organisation Gehlen“ belegen in ihrer ganzen Breite jetzt erstmals vom „National Security Archive“ veröffentlichte Dokumente der CIA. Zeitweise stehen auf der Gehaltsliste des ÚS-Nachrichtendienstes so prominente Alt-Nazis wie Klaus Barbie, Chef der Gestapo in Lyon, SS-Obergruppenführer Franz Alfred Six, einst im Reichssicherheitshauptamt tätig, oder SS-Oberführer Willi Krichbaum, vormals zuständig für Aktivitäten der Gestapo in Südosteuropa.

1956 wird aus der „Organisation Gehlen“ der Bundesnachrichtendienst (BND). Gehlen selbst erhält bei seinem Ausscheiden aus dem Amt im Jahr 1968 das große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband. „Die CIA hat gegen geltendes Gesetz verstoßen und hat diejenigen Amerikaner verhöhnt, die ihr Leben gaben, um die Nazis zu bekämpfen“, sagt Elizabeth Holtzman, ehemalige Kongressabgeordnete und Mitarbeiterin einer Arbeitsgruppe zur Dokumentation der „U.S. Intelligence and the Nazis“, die unlängst in den USA der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Wie aber sah es in der sowjetischen Zone aus? Kam es zu einem Re-Import preußischen Rechts, das im Laufe des 19. Jahrhunderts in breitem Umfang in Russland rezipiert wurde? Spuren davon mögen sich in den vielen Sammlungen von Gesetzestexten finden, die überliefert sind. Doch zeige ein Blick auf die Praxis, das die Auslegung der Rechtsnormen großzügig ins Belieben des jeweiligen Kommandanten der sowjetischen Militäradministration gestellt wurde: „Nach der Lektüre von dreihundert Lehrbüchern russischen Rechts ist mir nicht klar, welche Rechtsvorschrift letzten Endes galt“, sagt Jan Foitzik.

Weitere Termine in der Reihe „Zwischen Krieg und Frieden. Die deutsche Gesellschaft unter alliierter Besatzung 1945-1949“: 11. Mai, 19.30 Uhr: Ziele und Ergebnisse der Entnazifizierung. 8. Juni, 19.30 Uhr: Aufnahme und Integration der Vertriebenen. 14. September, 19.30 Uhr: Nachkriegswirtschaft zwischen Reparationen und Neuaufbau. Immer im Haus der Demokratie, Greifswalder Straße 4, Berlin-Prenzlauer Berg.

Hans von Seggern

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