zum Hauptinhalt

Gesundheit: „Unser Problem ist das Schulsystem“

Die Vorsitzende der Lehrer-Gewerkschaft über die neue Studie

Frau Stange, was ist Ihr erster Eindruck vom dritten PisaTeil?

Noch kenne ich nur eine Zusammenfassung. Mein allererster Eindruck ist, dass nicht viel Neues drin steht, sondern lediglich bereits bekannte Ergebnisse vertieft werden. Ein Beispiel ist die Wirkung des gegliederten Schulsystems auf Migrantenkinder.

Das scheint aber ein besonders interessanter Aspekt der Studie zu sein. Bereits ein geringer Anteil von Ausländerkindern soll das Bildungsniveau einer Klasse erheblich senken.

Ich glaube nicht, dass man von einer „erheblichen Senkung“ sprechen kann, wenn eine Klasse mit einem 20-prozentigen Anteil nicht deutscher Kinder um ein Drittel Schuljahr zurückliegt. Unzweifelhaft aber hat ein größerer Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in einer Klasse Auswirkungen auf das Leistungsniveau. Das kann nur bedeuten, dass wir viel intensiver und individueller fördern müssen. Im Übrigen bin ich dagegen, diesen Punkt herauszuheben.

Aber es kann doch nicht falsch sein, pädagogische Konsequenzen aus dem Migrantenproblem deutscher Schulen zu ziehen?

Wir haben kein Migrantenproblem, sondern eines mit unserem Schulsystem. Nicht die Kinder sind das Problem, sondern die unzureichende Förderung dieser Kinder. Dabei geht es um Kinder aus bildungsfernen, sozial benachteiligten Familien – egal ob sie nun mit der Muttersprache Deutsch aufgewachsen sind oder nicht. Wo beides zusammentrifft, haben wir allerdings eine besonders schwierige Situation. Durch das in Haupt-, Real- und Gesamtschule und Gymnasium gegliederte Schulsystem verlagern wir das Problem an die Haupt- und Gesamtschulen.

An welcher Schulform haben denn benachteiligte Kinder die besten Bildungschancen?

Das beste ist, wenn alle Kinder in einer Schule lernen. Dann würde sich der Anteil der benachteiligten Kinder – auch mit Migrationshintergrund – verteilen und die Lehrer wären gezwungen, alle Kinder individuell zu fördern. In Deutschland haben wir die integrierte Gesamtschule. Aber als Teil des gegliederten Schulsystems ist sie zum Sammelbecken von Kindern geworden, die andere Schulen abgeschoben haben. In den bei Pisa erfolgreichen skandinavischen Ländern und Kanada lernen alle von der ersten bis zur neunten oder zehnten Klasse gemeinsam.

Die Bildungsforscher haben auch große Unterschiede bei der Notenvergabe festgestellt. Für ein und dieselbe Mathearbeit bekommt ein Schüler von dem einen Lehrer eine 2, von einem anderen jedoch eine 4 oder 5.

Hier wird deutlich, wie falsch die viel verbreitete Meinung ist, Zensuren seien ein objektiver Maßstab. Tatsächlich sind sie abhängig vom Leistungsniveau der Klasse, der Schule und der Schulform. Zensuren sind eben auch ein Instrument zur Motivation von Kindern. Ein Lehrer an einer Hauptschule wird sich sehr genau überlegen, ob er einem Schüler eine 3 oder 4 gibt, wenn er ihn durch die bessere Note ermutigen kann.

Was kann man gegen uneinheitliche und ungerechte Benotungen tun?

Wir müssen den Schüler in seiner Entwicklungsperspektive beurteilen und ihn nicht nur punktuell für Einzelleistungen benoten. Wir brauchen aber auch nationale Bildungsstandards. Sie sollen Lehrern und Eltern sagen, was Schüler wissen und können sollen. Die GEW unterstützt eine entsprechende Initiative des Bundesbildungsministeriums und der Kultusministerkonferenz. Es geht um Mindeststandards, die auch ein Hauptschüler erreichen kann. Sie dürfen auf keinen Fall zur Auslese beitragen.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false