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Gesundheit: Unsinnige Regelungen: Bachelor und Master überall sowie die Abschaffung des Kanzlers

George Turner, Universitätspräsident und (parteiloser) Senator für Wissenschaft und Forschung in Berlin über die neuen Tendenzen an der UniDie allgemeine Diskussion um mehr Wettbewerb zwischen den Hochschulen und um die Freiheit, in die sie entlassen werden sollen, darf nicht dazu führen, dass zwei Erscheinungen übersehen werden, die sich schon mittelfristig als höchst problematisch erweisen werden. Dies sind die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen sowohl an den Universitäten als auch an den Fachhochschulen und der Verzicht auf das Amt des Kanzlers, wie es an der Berliner Humboldt-Universität praktiziert werden soll.

George Turner, Universitätspräsident und (parteiloser) Senator für Wissenschaft und Forschung in Berlin über die neuen Tendenzen an der Uni

Die allgemeine Diskussion um mehr Wettbewerb zwischen den Hochschulen und um die Freiheit, in die sie entlassen werden sollen, darf nicht dazu führen, dass zwei Erscheinungen übersehen werden, die sich schon mittelfristig als höchst problematisch erweisen werden. Dies sind die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen sowohl an den Universitäten als auch an den Fachhochschulen und der Verzicht auf das Amt des Kanzlers, wie es an der Berliner Humboldt-Universität praktiziert werden soll.

Erinnern wir uns: Die Expansion der Hochschulen, konkret der Ausbau derselben, war Mitte der 60er Jahre übereinstimmend von allen politischen Entscheidungsträgern gewollt worden. Er sollte einhergehen mit einer strukturellen Veränderung des Hochschulwesens. Das Ziel war die Einrichtung von Gesamthochschulen. Davon redet heute niemand mehr. Der Kern, abgestufte Ausbildungsgänge vorzusehen, aber ist wieder aktuell. Man hat erkannt, dass große Zahlen von Studierenden (1,8 Millionen), die zugleich einen hohen Prozentsatz der in Betracht kommenden Gleichaltrigen darstellen (30 Prozent), anders ausgebildet werden müssen, als dies bei geringeren Zahlen möglich und sinnvoll war. Auch als die konkreten Zahlen noch niedriger waren, die Entwicklung sich aber abzeichnete, wurde bereits vorgeschlagen, dass alle Studierenden zunächst einen so genannten Kurzstudiengang von sechs Semestern zu absolvieren hätten und nur besonders Geeignete für ein anschließendes Graduiertenstudium zugelassen werden sollten.

Gegen die Einführung kürzerer Studiengänge ist vor allem der Hochschulverband zu Felde gezogen. Inzwischen denkt man nicht mehr an Kurzstudiengänge, sondern die Auffassung setzt sich durch, dass es einer Differenzierung der Abschlüsse nach angloamerikanischen Muster bedarf. Allerdings werden nicht, wie es sinnvoll wäre, zugleich auch die unterschiedlichen Aufgaben der Hochschularten berücksichtigt. Eine saubere Trennung könnte so aussehen, dass an den Fachhochschulen der Bachelor den Abschluss bildet, an den Universitäten zunächst der Bachelor erworben werden muss und es dann einer besonderen Zulassung zu einem Master-Studiengang bedarf. Die jetzt angestrebte und wohl auch zu erwartende Lösung, dass alle Hochschulen alle Titel vergeben können, wird zu einer weiteren Nivellierung und zu noch größerer Verwirrung führen als das bereits derzeitig der Fall ist.

Daran trägt der Hochschulverband mit seiner destruktiven Haltung ein erhebliches Maß an Mitschuld. Anstatt die veränderten Größenordnungen und die daraus zu ziehenden Konsequenzen zu akzeptieren, wurde so getan, als könne man das nicht mehr gültige Prinzip der Ordinarien-Universität, das bei kleinen Zahlen von Professoren durchaus vertretbar war, auch nach dem rasanten Ausbau (Anstieg der Zahl der Professoren von 5000 auf fast 40 000 innerhalb von drei Jahrzehnten) aufrecht erhalten.

Der Hochschulverband hat bei der Ablehnung zeitgemäßer Abschlüsse in differenzierter Form in erster Linie an seine Mitglieder gedacht: Es sollte nicht Professoren unterschiedlicher Wertigkeit geben, nämlich solche, die an der ersten Phase des Studiums beteiligt sind und andere, die das Privileg genießen, im Graduierten-Programm mitzuwirken. Dieser gewerkschaftliche Ansatz erweist sich jetzt als Bumerang. Hinfort sind alle noch viel gleicher - Universitäts- und Fachhochschulprofessoren.

Die zweite erwähnte negative Erscheinung ist dem Gebaren einiger Universitätskanzler zuzuschreiben. Wenn man meint, auf das Amt eines Kanzlers könne verzichtet werden und ein Vizepräsident sollte im Rahmen seiner Zuständigkeit entsprechende Aufgaben erledigen, kann dies nur erfolgreich sein, wenn der Vizepräsident eben die Qualifikation hat, die bisher ein Kanzler haben musste. Es handelt sich dabei um die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst, mit besonderen Kenntnissen des Haushaltsrechts.

Dort, wo die Universitäten eine Einheitsverwaltung haben, der Präsident sowohl an der Spitze der akademischen als auch an der allgemeinen Verwaltung steht, der Kanzler mithin als Vertreter des Präsidenten fungiert, gibt es keine in der Konstruktion angelegten Schwierigkeiten. Bei rechtlicher Selbständigkeit, das heißt einer "Doppelspitze", kommt es leicht zu Gerangel um Zuständigkeiten und unnötigen Verlusten an Energie. Das war - trotz eindeutiger Rechtslage - aber auch bei Institutionen mit Einheitsverwaltung zu beobachten. Entscheidend ist in aller Regel nicht die Rechtskonstruktion, sondern das Verhalten der Beteiligten, ihre Bereitschaft, die gegebenen Regeln zu akzeptieren. Hier hat der Sprecherkreis der Kanzler in der Vergangenheit nicht eben segensreich gewirkt. Das Bestreben, neben der Rektorenkonferenz eine eigenständige Vertretung auf Bundesebene mit selbständigen Tagungen und organähnlichen Repräsentanten zu etablieren, war nicht hilfreich für die Gesamtvertretung der Universitäten.

Nicht wenige haben solche Aktivitäten als überzogen angesehen. Die Kanzler wollten möglichst den Präsidenten ähnlich sein. Jetzt wird an der Konstruktion als solcher gerüttelt. Die Quittung wird am Berliner Beispiel an der Humboldt-Universität präsentiert, wo der Kanzler abgeschafft wurde.

Sinnvoll sind beide Entwicklungen im Ergebnis nicht; aufzuhalten sind sie vermutlich ebenso wenig. Wundern darf man sich nicht. Uneinigkeit unter Betroffenen über die Gestaltung und Leitung von Institutionen wird von interessierter Seite schnell genutzt, um eigenen Interessen Geltung zu verschaffen. So zeigt sich wieder einmal: Die einseitige, überzogene Vertretung isolierter Interessen schadet der Sache. Selbstverständlich will es niemand der Betroffenen gewollt haben. Bewirkt aber haben sie es. © 1999

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