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Gesundheit: Verborgene Universen

Die Physikerin Lisa Randall glaubt, dass sich direkt vor unserer Nase andere Welten auftun

Die Natur ist sparsam. Es sind nur vier verschiedene Nukleinsäuren, die unsere Gene kodieren und in ihrer mannigfachen Kombinatorik den Reichtum der Arten ausmachen. Das Leben sichert seinen Fortbestand also durch ein erstaunlich simples Prinzip. Und es gibt gute Gründe, anzunehmen, dass auch der Kosmos einfach aufgebaut ist. Auch hier ist die Antwort: vier. Denn Physiker unterscheiden gegenwärtig nur vier Naturgesetze – das der Schwerkraft, des Elektromagnetismus, der schwachen und starken Kernkraft. Mit diesem Kanon beschreiben sie die beobachtbare Welt vom Inneren des Atomkerns bis zur Entwicklung ganzer Galaxien.

Der bisher nicht beobachtbare Teil des Kosmos könnte allerdings ziemlich groß sein. Die amerikanische Physikerin Lisa Randall hält es für möglich, dass sich direkt vor unserer Nasenspitze andere Universen auftun, zu denen wir keinen unmittelbaren Zugang haben. Vielleicht deshalb nicht, weil wir in einem „Schlundloch eines höherdimensionalen Raums“ gefangen sind. Albert Einstein hat seine Relativitätstheorie zwar mit drei Raum- und einer Zeitdimension entworfen, also: vier. „Aber Einsteins Theorie funktioniert auch in mehr als vier Dimensionen“, entgegnete Lisa Randall vergangene Woche in Potsdam.

Im „Einstein-Forum“ stellte sie ihr soeben in deutscher Sprache erschienenes Buch „Verborgene Universen“ vor (S. Fischer Verlag, 560 Seiten, 19,90 Euro). Und es war spürbar, dass es hierzulande ähnlich begeisterte Leser finden wird wie in den USA. Nicht zuletzt dank der Popularität der Autorin, die mit 44 Jahren bereits auf eine glänzende Karriere zurückschaut.

Nach ihrer Professur am Massachusetts Institute of Technology bekam Lisa Randall als erste Frau einen Lehrstuhl für theoretische Physik in Princeton. Von dort wechselte sie zur nächsten Elite-Uni nach Harvard. Eine Bemerkung des damaligen Harvard-Direktors, Lawrence Summers, Frauen seien womöglich von Natur aus schlechter in Mathematik als Männer, parierte sie mit ihren Waffen: Weltweit wurde wohl kaum ein theoretischer Physiker in den vergangenen Jahren so oft in Fachzeitschriften zitiert wie sie.

Die drahtige Forscherin, die das Bergsteigen liebt, wagt auch in der Physik riskante Klettertouren. Sie arbeitet nicht am großen Weltentwurf, der Vereinigung aller vier Naturkräfte, sondern nimmt einzelne Gipfel in Angriff.

Warum etwa ist die Schwerkraft so viel kleiner als die drei anderen Kräfte? „Ein winziger Magnet kann eine Büroklammer hochheben, obwohl die gesamte Masse der Erde sie in die entgegengesetzte Richtung zieht“, sagt Lisa Randall. Gegenüber jenen Kräften, die den Atomkern zusammenhalten und Elektronen daran binden, sei die Gravitation mickrig.

Ursächlich dafür sind womöglich zusätzliche Raumdimensionen. Wenn es sie gibt, könnten sie die Schwerkraft ausdünnen. Da sie nicht an einen vierdimensionalen Kosmos gebunden ist, könnte sie in höhere Dimensionen entweichen.

Die Idee dahinter ist nicht neu. Sie entstammt der Stringtheorie. Damit verbindet sich die Vorstellung, dass die kleinsten Strukturen im Kosmos nicht punktförmig, sondern winzige Fäden sind: Strings. Sie schwingen wie die Saiten einer Violine, ihre verschiedenen Schwingungszustände bestimmen die Eigenschaften der Elementarteilchen.

Es gibt offene Strings, Fäden mit zwei Enden. Diese sind über ihre Endpunkte mit einer Fläche oder einem höherdimensionalen Raum verbunden, im Fachjargon: mit einer Bran. Daneben gibt es geschlossene Strings. Zu ihnen zählt das Teilchen, das die Schwerkraft vermittelt: das Graviton. Es ist nicht an irgendeine Bran gekettet, sondern kann sich in beliebigen Dimensionen ausbreiten. Dadurch könnte die Schwerkraft im sichtbaren Kosmos geschwächt werden. Gia Dvali und andere Forscher haben solche Modelle innerhalb der Stringtheorie entwickelt.

Das Anliegen, mit Hilfe der Stringtheorie ein einheitliches Bild für alle vier Naturkräfte zu gewinnen, hat sich als äußerst schwierig herausgestellt. So einfach die Grundprinzipien sind, so unüberschaubar ist die Kombinatorik, ist die mathematische Struktur. Die Stringtheorie benötigt zehn oder elf Dimensionen, wobei vielfach angenommen wird, dass diese Dimensionen winzig, zusammengerollt und für uns unsichtbar sind. Wir sind Riesen, für die ein Gartenschlauch eine eindimensionale Linie ist, während eine Ameise, die darauf herumkrabbelt, eine zweidimensionale Schlauchwelt erlebt.

Mehr noch als die Zusatzdimensionen bereiten den Physikern die unzähligen Varianten der Stringtheorie Kopfzerbrechen. Sie alle konkurrieren miteinander, die versprochene Symphonie der Strings ist unvollendet.

In den USA bläst Stringtheoretikern momentan ein scharfer Wind ins Gesicht. Getreu dem Philosophen Karl Popper muss eine wissenschaftliche Theorie so beschaffen sein, dass sie überprüft und prinzipiell widerlegt werden kann. Verharrt sie in mathematischer Selbstbespiegelung, bleibt sie Spekulation.

„Bei der Stringtheorie wartet man seit 20 Jahren vergeblich auf überprüfbare Vorhersagen“, meint der Physiker Lee Smolin, der mit seinem kürzlich erschienenen Buch „The Trouble with Physics“ Stellung bezogen hat. Sein Kollege Peter Woit ist mit einer ähnlich scharfen Kritik an die Öffentlichkeit getreten. Der Titel seines Buches: „Not even wrong“, „Nicht einmal falsch“. Wegen solcher Kritik mussten sich die Forscher ihrerseits als „Popperazzi“ beschimpfen lassen.

„Das Problem besteht darin, dass die Stringtheorie für eine Energieskala definiert ist, die rund zehn Millionen Milliarden Mal größer ist als jene, die wir mit unseren heutigen Instrumenten experimentell erforschen können“, meint Lisa Randall. „Wir wissen noch nicht einmal, was passiert, wenn die Energie der Teilchenbeschleuniger um den Faktor zehn gesteigert werden wird.“

Die gegenwärtige Krise betrifft jedoch nicht nur die Stringtheorie, sondern auch die Teilchenphysik und Kosmologie. Ohne neue Experimente kommt man hier wie dort nicht weiter. Die Teilchenphysiker drehen sich mit ihren Vorstellungen von hypothetischen Higgs-Teilchen oder supersymmetrischen Partikeln ebenfalls seit Jahrzehnten im Kreis.

Tausende Wissenschaftler warten inzwischen gebannt auf den Betrieb des riesigen Beschleunigers in Genf. Der Aufwand, um den Erfahrungshorizont zu erweitern, ist enorm. 27 Kilometer misst der milliardenschwere Teilchenzertrümmerer im Umfang. Er soll von 2007 an laufen und bei den höchsten je erreichten Energien neue Bausteine der Materie sichtbar machen. Lisa Randall erwartet Überraschungen. Zugleich hegt sie Hoffnungen für ihr eigenes Modell.

„Ich bin keine Stringtheoretikerin“, sagt Randall. Sie benutzt ein verallgemeinertes Konzept der Branen, also der mit den Strings verknüpften Flächen oder Räume. Eine Bran ist für sie einem Duschvorhang ähnlich, auf dem Wassertröpfchen haften: eine Oberfläche oder Grenze eines höherdimensionalen Raums, die Teilchen und Kräfte beherbergen kann.

So studiert Lisa Randall zum Beispiel zwei Branen, die eine kleine, aber verzerrte fünfte Dimension abgrenzen. Anhand solcher Modelle macht sie deutlich, dass die Stärke der Schwerkraft erheblich davon abhängen kann, „wo man sich in der fünften Dimension befindet“. Auf der Bran, auf der wir uns aufhalten, in unserem Universum, ist die Schwerkraft womöglich schwach, auf einer anderen Bran dagegen stark. Die Physikerin meint, die Zusatzdimensionen könnten sogar „unendlich lang und trotzdem unsichtbar sein, wenn die Raumzeit entsprechend verzerrt ist“.

Aus Forschersicht sind Lisa Randalls Modelle interessant, weil sich daraus Konsequenzen für anstehende Experimente ergeben. Wenn sie mit ihren Vermutungen richtig liegt, könnten die Extradimension bei den Teilchenkollisionen in Genf Spuren hinterlassen: Für kurze Zeit würden Partnerteilchen des Gravitons erzeugt, Partikel, die sich in anderen Dimensionen bewegen, aber innerhalb des Detektors in bekannte Elementarteilchen zerfallen.

Bislang sind Lisa Randalls Branenwelten allerdings dehnbar wie Gummi. Sie schwimmen in einem Ozean der Möglichkeiten. Dem entsprechend legt die Havard-Physikerin sich auch nicht auf irgendeine Zahl der Zusatzdimensionen fest. Was wir wissen können? Die Antwort bleibt bis auf weiteres: vier.

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