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Gesundheit: Verhalten optimistisch

Die OECD bescheinigt den deutschen Schülern ein „hohes kognitives Potenzial“ – und erkennt Veränderungen an

Für ihn sind die deutschen Ergebnisse eine Enttäuschung, erklärte Andreas Schleicher, Pisa-Koordinator der OECD am Montag – zuerst morgens in Brüssel und noch einmal abends in Berlin.

Während das kleine Finnland den europäischen Durchschnitt kaum anheben könne, drücke Deutschland, das bevölkerungsreichste EU-Land, auf das europäische Niveau. Asien schneide deutlich besser ab. Polen gilt als das Land, das seit der ersten Pisa-Studie bei seinen schwachen Schülern die größten Fortschritte erzielen konnte. „Das zeigt, dass Verbesserungen möglich sind“, sagte Schleicher. Die Frage, ob Deutschland sein dreigliedriges Schulsystem aufgeben müsse, wollte Schleicher nicht direkt beantworten. Implizit machte er aber deutlich, dass dies seine Ansicht ist. Deutschland gehöre nicht zu jenen Staaten mit „offenen“ Bildungssystemen, die einen „konstruktiven Umgang mit Heterogenität“ üben.

In Deutschland sieht man Schleichers ständige Kritik an den Schulreformen nicht gern. Die Kultusminister, die die Pisa-Studie in Auftrag gegeben haben, und der Schulforscher Manfred Prenzel traten nicht mit Schleicher gemeinsam vor die Presse. Um seiner Pressekonferenz am Abend in Berlin zuvorzukommen und die Daten früher als er öffentlich zu kommentieren, verlegten sie ihre Vorstellung der Studie hastig nach vorn. Die Kultusminister sehen die „positiven Tendenzen“ als „Bestätigung für die Arbeit der deutschen Schulen in den vergangenen Jahren“. Auch aus Sicht der deutschen Pisa-Forscher gibt die Studie Anlass zu verhaltenem Optimismus.

Es gebe „signifikante Zuwächse“ in Teilbereichen der mathematischen Kompetenz und generell in den Naturwissenschaften, heben die deutschen Pisa-Forscher hervor. Die Befunde zeigten, dass in Deutschland seit Pisa 2000 „Veränderungen in Gang gekommen sind“. Bayerns Kultusministerin Monika Hohlmeier regte an, das Sinus-Projekt für einen verbesserten Unterricht flächendeckend einzuführen und ein vergleichbares Projekt zur Verbesserung der Lesefähigkeiten zu starten.

Die 15-Jährigen erreichen in Deutschland unter 29 OECD-Staaten in Mathematik diesmal den 16. Rang (503 Punkte) und liegen nun im OECD-Durchschnitt (siehe Grafik). Bei Pisa I lagen sie auf dem 20. Platz (490 Punkte). Auch in den Naturwissenschaften liegen die deutschen Schüler nun nicht mehr unter dem Durchschnitt. Sie verbesserten sich vom 20. auf den 15. Platz. Im Lesen (Platz 19, vorher 21) gibt es keine signifikante Verbesserung, die Forscher interpretieren das als „Stabilisierung“.

Offenbar haben die deutschen Jugendlichen ein hohes „kognitives Potenzial“: Im Bereich „Problemlösen“, der erstmals bei Pisa untersucht wurde, gelangten die Schüler deutlich über den OECD-Durchschnitt. Aus Sicht der Forscher ist das bemerkenswert, denn die beim „Problemlösen“ abgefragten analytischen Fähigkeiten hängen eng mit mathematischen Kompetenzen zusammen (siehe Kasten). „Deutsche Schüler sind nicht dumm und doof“, kommentierte Prenzel.

Zu dem besseren Ergebnis dieser Pisa-Runde haben aber nicht alle Schülergruppen in Deutschland beigetragen. Die stärksten Leistungszuwächse erzielte die Gruppe der schwächeren Gymnasiasten. In einigen Bereichen konnten sich auch Realschüler und Schüler an integrierten Gesamtschulen deutlich verbessern. Doch die Hauptschüler stagnierten. Prenzel führt das darauf zurück, dass die Schüler solche Probleme mit in die Schule brächten, dass die Lehrer ihre Aufgabe hier nicht in einem verbesserten Fachunterricht sähen, sondern im „stabilisieren“ der Schüler.

Der Anteil der Risikoschüler mit extremen Schwierigkeiten konnte seit Pisa I nicht gedrückt werden. Die Pisa-Forscher fordern Anstrengungen – die aber nicht „zu Lasten weiterer Bemühungen um die Entwicklung der Kompetenzen im oberen Leistungsbereich“ gehen dürften. Die Gruppe der Mathematik-Risikoschüler ist in Deutschland mit 21,6 Prozent kaum größer als im OECD-Mittel (21,4 Prozent). Die höchste Kompetenzstufe erreichen in Deutschland 4,1 Prozent, international vier Prozent. Im Lesen jedoch liegen mehr Schüler in Deutschland auf oder unter der ersten Kompetenzstufe als international (22,3 gegenüber 19,1 Prozent im OECD-Schnitt). Diese Schüler haben massive Schwierigkeiten, auch nur einfache Texte zu verstehen.

Welche Leistungen die Schüler erzielen hängt in Deutschland deutlich davon ab, auf welchen Schultyp die Schüler gehen. Die Chancen, ein Gymnasium zu besuchen, sind allerdings keineswegs nur von den Leistungen der Schüler, sondern maßgeblich auch von ihrer sozialen Herkunft abhängig. Bei gleichen kognitiven Fähigkeiten ist die Chance eines Schülers aus der obersten Schicht, aufs Gymnasium statt auf die Realschule zu kommen, mehr als fünf Mal so groß wie für Schüler aus der unteren Mittelschicht. Migranten haben es in Deutschland schwerer als in anderen Ländern. Mehr noch: Schüler, die wie beide Eltern im Ausland geboren wurden, schneiden in Mathematik besser ab, als Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden und ausländische Eltern haben. Warum genau das so ist, wird sich erst klären, wenn die nationale Zusatz-Untersuchung ausgewertet ist, sagte Prenzel. Bislang zeige sich jedenfalls, dass es sich bei hier geborenen Ausländern häufig um Türken aus bildungsfernen Schichten handle, neu zugezogene Ausländer dagegen oft aus der ehemaligen Sowjetunion stammen und bessere Bildungsbiographien haben.

In Mathematik erreichen die deutschen Jungen im Mittel neun Punkte mehr als die Mädchen (international elf Punkte). In manchen Ländern ist dieser Unterschied viel geringer. Beim Lesen sind die deutschen Mädchen im Schnitt sogar 42 Punkte vor den Jungen (international: 34 Punkte), 50 Punkte entsprechen einem Lernzuwachs von anderthalb Schuljahren.

Die 15-Jährigen in Deutschland haben in der Woche im Schnitt drei Stunden Mathematik, der OECD-Schnitt liegt bei 3,6 Stunden. In Staaten der Spitzengruppe wird zum Teil deutlich weniger (Finnland 2,6; Niederlande 2,5 Stunden) Matheunterricht erteilt, in anderen mehr (Korea 4,1 Stunden).

Die Kultusminister kündigten an, die nach Pisa I eingeleiteten Reformen forcieren zu wollen – besonders die Verbesserung des Unterrichts, die Förderung schwacher Schüler und die Lehreraus- und -weiterbildung.

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