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Verletzungen: Glatter Bruch

Tausende Berliner sind in den vergangenen Wochen auf vereisten Gehwegen ausgerutscht – mit zum Teil fatalen Folgen. Wie werden komplizierte Sturzverletzungen behandelt? Besuch im Unfallkrankenhaus Berlin und in einer chirurgischen Praxis.

Ramon Koslowski hält die Hand seiner Verlobten. Beistand und menschliche Wärme kann er jetzt gut gebrauchen. Vor einer Woche rutschte der 22-jährige Hellersdorfer aus und brach sich zwei Knochen im rechten Bein. Jetzt liegt er in der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie des Unfallkrankenhauses Berlin in Marzahn und wartet auf seine Operation.

Er ist wahrlich nicht der einzige Berliner, dem das in den letzten Tagen passiert ist. Ein knackiger Winter, wie es ihn schon seit Jahren nicht mehr gegeben hat, sowie Nachlässigkeit bei der Schneeräumung haben aus der Stadt vor allem in der vergangenen Woche eine spiegelglatte Rutschbahn gemacht. Die Glätte fordert ihre Opfer. An einem normalen Tag werden im Unfallkrankenhaus rund 140 Patienten in die Rettungsstelle eingeliefert, darunter Fälle von Luftnot, Schlaganfall oder Herz-Rhythmus-Störungen. „Seit es so glatt ist, hat sich diese Zahl gefühlt verdreifacht. Wir haben aufgehört zu zählen“, erklärt Sprecherin Esther Heyer. Besonders viele junge Patienten seien darunter, denn die Alten laufen vorsichtiger. Generell sind immer Wetterumschwünge ein Problem, etwa Tauwetter und Frost, denn das ändert die Beschaffenheit des Bodens, und die Menschen stellen sich nicht so schnell darauf ein.

Wenn etwas bricht, geschieht das meistens in den körperfernen Extremitäten, also in den Armen und Beinen. Aber auch Hüfte, Schultern und Oberschenkelhals sind betroffen. Bei Ramon Koslowski war es das Schienbein knapp über dem Sprunggelenk und zusätzlich auch das Wadenbein – die beiden Knochen brechen häufig gleichzeitig. „Ich überquerte eine breite Straße“, erzählt er. „Die Mittelinsel war leicht abschüssig und spiegelglatt, mein rechter Fuß ist komplett weggerutscht.“ Er verspürte einen starken Schmerz und dachte nur: „Nicht schon wieder!“ Denn 2009 musste er schon einmal ins Unfallkrankenhaus, auch damals waren die Beine betroffen. Er blieb auf der Straße liegen, Passanten riefen einen Krankenwagen, und so kam er erneut ins Marzahner Klinikum. Sein Unterschenkel wurde mit einem „Fixateur externe“, einem äußeren Festhalter, ruhiggestellt. Das Gerät soll Knochen und Gelenke, die nach dem Bruch anatomisch ungünstig zueinander liegen, wieder so weit in eine normale Stellung bringen, dass eine bleibende Schädigung des Gewebes verhindert wird. Jetzt verbringt Ramon Koslowski schon mehrere Tage auf der Station. „Das Gewebe um die Bruchstelle schwillt an“, erklärt Nikolai Spranger, Facharzt für Chirurgie. „Wir müssen erst abwarten, bis es abgeschwollen ist, bevor wir den Eingriff vornehmen. Sonst könnten wir die Stelle anschließend nicht mehr richtig schließen.“

Mit dem „Eingriff“ meint Spranger, dass ein rund 30 Zentimeter langer Nagel ins Knochenmark von Ramon Koslowskis Schienbein getrieben wird. Er stabilisiert den Knochen von innen. Auf dem wesentlich dünneren Wadenbein wird dagegen eine Platte aus Titan verschraubt. Beide, Nagel wie Platte, haben nur eine Funktion: den Körper in Ruhe die eigentliche Arbeit machen zu lassen. Denn die Heilung erfolgt dadurch, dass die Knochen langsam wieder zusammenwachsen. Bei jungen Patienten wie Ramon Koslowski ist es wahrscheinlich, dass Nagel und Platte nach etwa eineinhalb Jahren wieder entfernt werden. Bei älteren Patienten geht man jedoch zunehmend dazu über, sie im Körper zu belassen. „So vermeidet man eine erneute Operation mit allen Risiken, etwa dem, Nervenstränge zu verletzen“, erklärt Nikolai Spranger.

Auch Handgelenksbrüche werden auf diese Weise – mit einer Platte – behandelt. Sie sind sogar noch häufiger als Brüche im Bereich des Sprunggelenks. Etwa jeder sechste Bruch, den ein Mensch sich zuzieht, ist ein Bruch des Handgelenks – weil sich die Menschen beim Ausrutschen instinktiv auf die ausgestreckte Hand stützen. Und dann bricht die schwächste Stelle. Das ist in diesem Fall die Speiche, ein Knochen, der mit der so- genannten Handwurzelreihe das Handgelenk bildet.

Auf der anderen Seite der Stadt, in Charlottenburg, kennt sich Helmut Lehnert aus mit Händen. Der Facharzt für Orthopädie ist Mitbegründer des Ärztezentrums „Meviva“. Acht Fachärzte – Orthopäden, Sportmediziner und Handchirurgen arbeiten dort und operieren in zwei ausgelagerten OP-Zentren. Normalerweise behandeln sie Haushalts-, Arbeits- oder Sportunfälle oder Arthrosen. Doch zurzeit ist auch bei „Meviva“ alles anders. Lehnert bestätigt, dass die Zahl der Patienten, die auf Eis ausgerutscht sind, um etwa das Dreifache gestiegen sei – der gleiche Faktor wie beim Unfallkrankenhaus in Marzahn.

Insgesamt 150 Patienten haben er und seine Kollegen in der vergangenen Woche behandelt. Operiert wurden davon nur zwölf, aber auch sie wurden mit einer Titanplatte versorgt, die wahrscheinlich im Körper bleiben wird. Wenn die Patienten einverstanden sind. „Obwohl die Funktion der Hand durch die Platte in keinster Weise eingeschränkt ist, verspüren manche Patienten psychisch ein großes Unwohlsein bei dem Gedanken, einen Fremdkörper im Handgelenk zu haben“, so Lehnert. „Wer will, bekommt die Platte wieder raus.“

Der große Vorteil der Platte besteht darin, dass sie, anders als ein Gips, während des Heilungsprozesses die Beweglichkeit der Finger erlaubt, sodass der Betroffene mit ihnen üben und ihre Funktionsfähigkeit schneller wieder herstellen kann. In den 70er Jahren hat man noch zu 90 Prozent konservativ, also mit Gips, behandelt. Dann kamen immer häufiger die Platten zum Einsatz. Die Technik existiert schon seit den 30er Jahren, damals verwendete man allerdings noch kein Titan, sondern rostfreien Stahl.

Ramon Koslowski wird darüber nicht viel nachdenken, er hat andere Probleme. Der Elektriker in Ausbildung hatte schon 2009 ein Lehrjahr wegen seines ersten Unfalls verloren. Nach der OP muss er noch drei Tage im Krankenhaus bleiben und dann sechs Wochen zu Hause verbringen, bis sein Bein wieder belastbar ist. Dann ist wenigstens das Eis abgeschmolzen. Hoffentlich. In diesem Winter weiß man nie.

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